Wer zieht denn da? Der mögliche Einfluss von planetarischen Gezeiteneffekten auf die Sonne und das Erdklima

Der Sommer neigt sich allmählich dem Ende entgegen. Der eine oder andere von Ihnen war vielleicht an der Nordsee. Es ist immer wieder ein faszinierendes Schauspiel zu sehen, wie sich zweimal am Tag das Wasser zurückzieht, nur um ein paar Stunden später dann auf mysteriöse Weise wieder aufzutauchen. Schuld hat natürlich der Mond. Alle zwei Wochen fällt die Flut zudem besonders stark aus. Das ist immer dann, wenn Sonne, Monde und Erde in einer Linie stehen, dann zerren sie nämlich besonders stark an den irdischen Wassermassen.

Das Spiel der Gezeiten ist nichts anderes als ein Gravitationseffekt, ausgeübt durch andere Körper in unserem Sonnensystem. Die genannten Phänomene spielen sich alle im Stunden- bis Monats-Maßstab ab. Könnte es hier vielleicht nicht auch Effekte geben, die längerfristig ablaufen und möglicherweise unser Klima beeinflussen? Die Forschung steht in dieser Frage noch ziemlich am Anfang. Auf Basis von neueren Publikationen wollen hier einige Anregungen zur Diskussion geben.

Bereits seit etlichen Jahren arbeitet Walter Fett über den Zusammenhang von Regenmengen in Abhängigkeit zur Mondstellung. Letztendlich spiegelt dies also die Sonne-Mond-Gezeitenkräfte wieder. Dabei fand Fett eine auffällige Synchronität zwischen Regen und Mondbahn und postuliert daher eine mondperiodische Niederschlagsverstärkung. Eine verrückte Idee? Nun, Professor Walter Fett ist promovierter Diplom-Meteorologe und war Hochschullehrer an der FU Berlin sowie Direktor am Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des Bundesgesundheitsamts in Berlin-Dahlem. Es wäre daher voreilig, seine Ergebnisse einfach so zu ignorieren. Seine entsprechenden Publikationen kann man auf seiner Webseite einsehen. In einer Arbeit aus 2011 schreibt Fett:

Der beobachtete Befund: Die Mondstellung moduliert  in Abhängigkeit von Sonne und Galaxis die monatliche Terminierung einer einfach und eindeutig festlegbaren und gleichbleibend qualifizierten Größe wie den monatlichen Maximalniederschlag in gravierendem und globalem Maße. Die zwangsläufige Frage: In welchem Ausmaß mag dann erst der dahinterliegende physikalische Prozess wirksam und für das Klima mitbestimmend sein, der derart eindeutig einer extraterrestrischen Steuerung unterliegt? Und in welchem Ausmaße konkurriert er dann mit den als anthropogen verursacht angesehenen Prozessfolgen?

Auch eine norwegische Gruppe um Ole Humlum von der Universität Oslo nimmt einen gewissen Mondeinfluss bei der klimatischen Entwicklung der Erde an. In einem Artikel, der 2011 im Fachmagazin Advances in Meteorology erschien, zeigten sie anhand der Temperaturentwicklung der letzten hundert Jahre von Spitzbergen, dass es hier natürliche Zyklen gibt, die gut mit den bekannten Zyklen der Mondbahn um die Erde zusammenpassen. Andere Zyklen scheinen hingegen eher durch Sonnenaktivitätszyklen erklärbar zu sein.

Die vielfältige Beeinflussung der Erde (und ihrer Lebewesen) durch die Mondgezeiten ist also klar erkennbar. Gehen wir daher nun einmal einen Schritt weiter. Wie sieht es eigentlich auf unserer Sonne selber aus? Sie zerrt doch zusammen mit dem Mond an unsere Erdoberfläche. Das bedeutet, dass auch Kräfte auf der Sonne selbst wirken müssten. Und da es nicht nur Mond und Erde gibt, die um die Sonne herumschwirren, sondern auch die riesigen Gasplaneten Jupiter und Saturn, sollte man hier schon etwas genauer hinschauen.

Bevor wir dies jedoch tun, führen wir zunächst einen Plausibilitätscheck in der Milchstraße durch. Gibt es dort vielleicht irgendwo einen Stern, dessen Leuchtkraft durch Planeten oder Monde beeinflusst wird? Wir haben Glück: Ja, gibt es. Ein Forscherteam um Jason Thomas Wright hat 2008 im Astrophysical Journal einen Stern beschrieben, dessen Leuchtkraft gemäß einem 9-Jahres-Zyklus anschwillt und wieder abebbt. Das Interessante ist nun, dass dieser Stern einen Jupiter-ähnlichen Planetenbegleiter hat. Und dessen Umlauf um den Stern beträgt ebenfalls ungefähr 9 Jahre. Offensichtlich führen Gezeiteneffekte hier zu Änderungen in der Strahlkraft des Muttersterns. Das Paper kann man übrigens auf der verlinkten Seiten kostenlos als pdf herunterladen. Siehe auch Bericht auf Tallbloke.

Es stellt sich also die Frage, ob es so etwas auch in unserem Sonnensystem geben könnte. Und in der Tat, ein 60-jähriger Jupiter-Saturn-Zyklus ist möglicherweise auch auf der Erde wirksam (siehe Gastbeitrag von Nicola Scafetta auf S. 135-140 in unserem Buch „Die kalte Sonne“). In einem Artikel im Tallbloke Blog versuchte der Astrophysiker Ian Wilson das Zusammenspiel zwischen Jupiter und Sonnenaktivität zu ergründen. Er vermutet, dass die Anziehungskraft des Jupiter die Konvektionszone der Sonne beeinflusst.

Auch Scafetta selbst hat nun in einem begutachteten internationalen Journal hierzu publiziert. In der Juni-2012-Ausgabe des Journal of Atmospheric and Solar-Terrestrial Physics beschrieb Scafetta einen Mechanismus, bei dem die Intensität des Fusionsreaktors der Sonne durch die Änderung der Gravitationskräfte der Planeten beeinflusst wird (siehe auch Artikel auf Tallbloke). Der Grundgedanke ist durchaus plausibel, insbesondere wenn man die Analog-Studie der Wright-Gruppe für das Fallbeispiel außerhalb des Sonnensystems mit berücksichtigt.

Nun gibt es natürlich auch heftige Kritiker, die den Gezeiteneinfluss von Planeten auf die Sonnenaktivität für unmöglich halten. Die vorgebrachten Argumente gegen den Mechanismus sind jedoch nicht immer stichhaltig (siehe Beitrag hierzu auf Tallbloke). Andere Wissenshafler wiederum sehen bei den planetarischen Gezeiten einen wichtigen Erklärungsansatz. Hierzu gehört zum Beispiel Ivanka Charvátová von der tschechischen Akademie der Wissenschaften, die im Mai 2011 hierzu ein längeres Interview gab. Weitere Studien werden notwendig sein, um die Bedeutung der planetarischen Gezeitenkräfte auf die Sonnenaktivität und auf das Erdklima klären zu können.

 

Abbildungsquelle oben rechts: NASA