Der Sommer ist in vollem Gange und das mühsam im Winter gebildete arktische Meereis schmilzt langsam dahin. Das Minimum der arktischen Meereisausdehnung wird typischerweise Mitte September erreicht. Im Vorjahr (2012) hatte es einen neuen Schmelzrekord für die Satellitenära gegeben, die allerdings erst 1979 offiziell begann. Wie sieht es dieses Jahr aus? Das Zentrum für Ozean und Eis des Dänischen Meteorologischen Dienstes gibt täglich eine neue Eis-Graphik heraus, in der man die Situation nachvollziehen kann. Die arktische Meereisausdehnung von 2013 ist als dicke schwarze Linie dargestellt (Abbildung 1). Dieses Jahr gibt es deutlich mehr Eis als in den drei Vorjahren, vielleicht hat dies mit dem besonders kalten Winter und dem späten Sommeranfang zu tun. Mal sehen, wie sich dies weiterentwickelt. Auch in Alaska und der Ostsee wurden diesen Winter und Frühling größere Meereisflächen festgestellt als üblich.
Abbildung 1: Arktische Meereisausdehnung im Jahresvergleich. Quelle: DMI.
Mittlerweile amtlich bestätigt ist, dass das nordpolare Meereisminimum von 2012 vor allem durch einen starken Sturm verursacht wurde. Gleich drei neue Studien konnten dies jetzt dokumentieren (Simmonds & Rudeva 2012, Parkinson & Comiso 2013 sowie Zhang et al. 2013). Der Sturm riss die Eisdecke auf und trieb riesige Schollenberge auf den Ozean hinaus. Mitgeholfen hat dabei sicher auch die reduzierte Eismächtigkeit. Die hohen Temperaturen der aktuellen Modernen Wärmeperiode ließen die Dicke des Meereises im Laufe der Zeit immer weiter schrumpfen, so dass der Wind jetzt leichteres Spiel hat als zuvor.
Wie sah es vor der Satellitenära aus? Hier gibt es eine handfeste Überraschung: Dünnes und schrumpfendes Eis gab es auch früher schon, konnte aber aus logistischen Gründen nicht flächenmäßig erfasst werden. Eine besonders meereisarme Phase gab es in der Arktis zwischen 1920 und 1950 als sogar U-Boote direkt am eisfreien Nordpol auftauchen konnten. Eine schöne Übersicht über diese Periode kann man in Judith Currys Blog lesen.
Wie passt dies alles zusammen mit der Idee, das Meereis würde sich immer nur in die eine Richtung bewegen, nämlich schrumpfen? Streng genommen begann die Satellitenära der Meereismessungen auch gar nicht 1979, sondern bereits ein paar Jahre zuvor. Und wenn man diese frühen Daten mit aufträgt, so tritt ein unerklärlicher Schlenker in der Kurve auf (Abbildung 2). Die Meereisbedeckung 1973-1975 war deutlich geringer als zu Beginn der „offiziellen“ Messreihe 1979. Interessanterweise war diese Graphik sogar im 1. IPCC Klimabericht enthalten, wurde dann aber in den Nachfolgeberichten aus welchen Gründen auch immer ausgemustert – passte wohl nicht in die Katastrophen-Story.
Abbildung 2: Arktische Meereisausdehnung 1973-1990. Aus IPCC AR1.
Allmählich kommen die Forscher nun aber dahinter, wie diese Meereisschwankungen zustande kommen könnten. In einem Paper im Fachmagazin International Journal of Climatology konnte eine Forschergruppe zeigen, dass die Meereisausdehnung im westlichen Arktischen Ozean zu 40-79% von natürlichen Ozeanzyklen kontrolliert wird. Dazu gehört z.B. auch die Arktische Oszillation (AO). Ein anderes Wissenschaftlerteam des MIT erstellte jetzt verbesserte arktische Meereis-Prognosen, wobei Ozeanzyklen und die damit verbundene Strömungsmuster eine wichtige Rolle spielen.
Wenn man natürliche Ozeanzyklen miteinbezieht, dann wundert es auch nicht, dass die Meereis-Saison in der Beaufortsee in der kanadischen Arktis heute deutlich länger andauert als im späten 19. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hierauf wies jetzt eine Studie im Fachjournal Biogeosciences hin, in welcher die Autoren die Meereisbedeckung der Region für die vergangenen 150 Jahre rekonstruierten. Während heute das Eis 9,4 Monate pro Jahr die Beaufortsee bedeckt, waren es früher nur 8,3 Monate. Damals war das Meerwasser in diesem Meer um etwa 3°C wärmer als heute. Laut den neuen Untersuchungen spielen auch hier die Arktische Oszillation sowie die Pazifische Dekaden Oszillation (PDO) eine große Rolle.
Die Suche nach weiteren Einflussgrößen für die arktische Meereisbedeckung geht indes weiter. Dabei gibt es Anzeichen, dass auch hier die Sonne ihre Finger mit im Spiel haben könnte. Auch Änderungen in der Messmethodik bzw. Auswertungsroutine haben Sprünge in den Kurven verursacht. Hat schmelzendes arktisches Meereis eigentlich nur Nachteile? Einen Beitrag zum Meeresspiegelanstieg leistet es nicht, da es fast genausoviel Wasser verdrängt, wie das eigene Schmelzvolumen ausmachen würde. In Judith Currys Blog werden einige wirtschaftliche Vorteile eines eisärmeren arktischen Ozeans genannt.
Schließlich will jeder wissen, wie es mit dem arktischen Meereis weitergeht. Vor einigen Jahrzehnten sagten Forscher bereits für heute einen eisfreien Arktischen Ozean voraus. Da dies nicht eintrat, wurde die Prognose kurzerhand auf 2030 verschoben. In den Geophysical Research Letters hat sich ein Forscherteam mehr Mühe gemacht und umfangreiche Berechnungen angestellt. Das Resultat: Selbst unter Annahme der aggressivsten Erwärmungsprognosen wäre erst gegen Ende des 21. Jahrhunderts mit einem im Sommer eisfreien Nordpolarmeer zu rechnen bzw. gegen Ende des 23. Jahrhunderts mit einem ganzjährig eisfreien arktischen Ozean.