Wikipedia-Deckname ‚Neudabei‘: Er kam des nachts und löschte aus Ärger einfach das Literaturverzeichnis

Von Sebastian Lüning

Hunderttausende Menschen haben eine persönliche Webseite, auf der sie sich und ihre Aktivitäten detailliert beschreiben. Nun ist eine weitere Seite dazugekommen, nämlich meine eigene. Auf luening.info können Sie sich ein Bild machen, was für ein Typ der Sebastian Lüning eigentlich ist. Bisher fand man per Google zwar bereits eine Menge von Mosaiksteinchen im Netz, das neue persönliche Profil gibt nun aber erstmals einen Komplettüberblick. Als im Zuge der Veröffentlichung unseres Buches „Die kalte Sonne“ vor gut sechs Jahren plötzlich auch Wikipedia-Seiten über mich in der deutsch- und englischsprachigen Online-Enzyklopädie entstanden, war ich zunächst hocherfreut. Das musste doch bedeuten, dass ich jetzt berühmt war. Ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und eine eigene Wikipediaseite besitzen – wichtige Ziele im Leben eines Menschen. Erst später merkte ich, dass der einzige Zweck der Wikipediaseiten war, meine wissenschaftlichen Ansichten in Frage zu stellen. Was ist nun eigentlich besser? Keine Wikipedia-Seite oder eine, die allein zu Mobbingzwecken eingerichtet wurde? Dann vermutlich eher keine.

Der Wunsch wurde erhört. Irgendwann in den letzten Monaten wurde meine englische Wikipediaseite gelöscht. Der Lüning ist zu unbekannt, löschen wir ihn einfach mal wieder. Gut so. Nun gibt es aber leider immer noch meine deutschsprachige Wikipediaseite. Auch dort wird gelegentlich angeregt, den Artikel zu löschen. Man tut sich jedoch schwer, da man das Buch dann doch zu bedeutend hält. Aus diesem Grund versucht man das Wikipediaprofil schließlich doch aktuell zu halten. Irgendwie stieß man jetzt auf meine neue persönliche Webseite und verlinkte sie. Das ist Standard bei allen Personen-Artikeln auf Wikipedia. Durch diese Ergänzung wurden jedoch offenbar einige der Aktivisten-Wikipedianer aufgeschreckt. Plötzlich gab es eine gute Alternative zur stark verzerrten Wikipedia-Sichtweise auf meine Person. Da hatte man sich jahrelang Mühe gegeben, den Lüning aus ideologischen Gründen schlecht aussehen zu lassen, und nun existierte es plötzlich eine Originalquelle, die viel umfangreicher und wahrheitsgetreuer informierte.

Man kann sich den Ärger bildlich vorstellen, der in den Aktivisten hochstieg. Was tun? Den Link zur persönlichen Webseite konnte man nicht wieder rausnehmen, da dies gegen die Wikipedia-Prinzipien verstoßen würde. Also musste man sich anderweitig rächen. Ein Aktivist mit dem Tarnnamen ‚Neudabei‘ schritt zu archaischen Methoden und löschte einfach das gesamte Literaturverzeichnis aus meinem Profil, das digitale Äquivalent der Bücherverbrennung, über die Wikipedia schreibt:

Eine Bücherverbrennung ist die demonstrative Zerstörung von Büchern oder anderen Schriften durch Feuer. Es handelt sich dabei um die bekannteste Form der Bücherzerstörung. Die meist öffentlich durchgeführten Verbrennungen erfolgten wegen moralischer, politischer oder religiöser Einwände gegen den Inhalt der Schrift und kamen sowohl als staatlich inszenierte oder geduldete Maßnahme als auch als Mittel öffentlichen Protestes gegen staatliche Gewalt vor. Missliebige Bücher wurden u. a. als blasphemisch, häretisch, ketzerisch, unmoralisch, obszön, aufrührerisch und hochverräterisch sowohl symbolisch als auch tatsächlich verbrannt.

Noch im Februar 2018 enthielt meine Wikipediaseite Details zu acht Publikationen, was eine kleine Auswahl von insgesamt 41 Veröffentlichungen darstellt. Drei der genannten Publikationen stammten aus dem Bereich Klimawandel. Aktivist ‚Neudabei‘ scherte das nicht und löschte alles plump. Eine perfide Taktik: Zunächst wird im Text behauptet, alles was die Person zum Thema Klimawandel geschrieben habe, sei Quatsch. Und dann werden auch noch entsprechende begutachtete Papers aktiv im Profil gelöscht, um die eigene Deutung zu untermauern. Niemand der anderen Wikipedia-Autoren schritt ein. Die fadenscheinige Löschung wurde damit stillschweigend durchgewunken.

Ein unerhörter Vorgang. Wer ist dieser ‚Neudabei‘, der sich so etwas in der größten Online-Enzyklopädie leisten kann, die mittlerweile als Standardinformationsquelle sogar an den Schulen eingesetzt wird? Was qualifiziert ‚Neudabei‘, beim Thema Klimawandel und anderswo an vorderster Front mitzuschreiben und zu urteilen? Ist er ausgebildeter Naturwissenschaftler, hätte also die Möglichkeit, die Materie zu verstehen, über die er auf Wikipedia schreibt? Wir schauen in das Wikipedia-Profil von ‚Neudabei‘. Aber oh Schreck, dort steht ja gar nichts, nur gähnende Leere. Und auch früher hat dort nie etwas gestanden, wie die Versionsgeschichte verrät. Aktivist ‚Neudabei‘ agiert also vollkommenen aus dem Verborgenen. Er könnte ein Greenpeace- oder WWF-Aktivist sein. Vielleicht ist er Blumenhändler oder sammelt gerne Briefmarken. Man weiß es nicht, denn er gibt nichts über sich preis. Wie ein Heckenschütze operiert er aus dem Busch heraus und sucht sich seine Opfer. Selber wird man ihn gut getarnt im Dickicht nie aufspüren können. Man weiß lediglich, dass sich ‚Neudabei‘ im Oktober 2014 registriert hat, also eigentlich doch „nicht ganz neu dabei“ ist. Er scheint relativ viel Zeit zu haben, denn er schafft etwa zwei Wikipedia-Bearbeitungen pro Tag.

Wenn man dann etwas tiefer im Netz gräbt, stößt man doch auf etwas. Im Dezember 2016 hatte ‚Neudabei‘ ein Wikipedia-internes Verfahren am Hals. Es wurde der Verdacht geäußert, sein Account könnte eine Zweitidentität sein, was unter dem schönen Wikipediafachbegriff „Sockenpuppe“ läuft. Das Ganze heißt „Checkuser-Anfrage“. Der Vorwurf lautete damals:

„Bei Benutzer:Neudabei wurde schon mehrfach der Verdacht geäußert, dass es sich um eine Sockenpuppe handelt. [1] [2] Derzeit agiert er sehr aggressiv rund um den Artikel Gore-Effekt. Er hat zwei LA und eine LP beantragt, die alle zurückgewiesen wurden, hat 97% des Artikeltexts gelöscht und versucht, den Begriff auch aus anderen Artikeln zu entfernen. Mit ausschweifenden Diskussionen, Reverts, Edit-Wars und VM verhindert er den Wiederaufbau des seit sieben Jahren bestehenden und nun nur noch als Stub existierenden Artikels. Dabei wird er auffällig von einer wechselnden IP-Adresse in der Range 87.15* unterstützt. Sie scheint ihm wie ein Schatten über verschiedenste Artikel- und Diskussionsseiten zu verfolgen, um immer nur kurze Zeit später Neudabei beizustehen und bei Edit-Wars, Reverts, Meinungen und VM zu helfen. Sowohl von Neudabei wie der IP kommen auffällig viele VM rund um den Artikel. Beide ähneln sich inhaltlich wie sprachlich stark. „

Das Verfahren ist in einem schwer verständlichen Wikipedia-Kauderwelsch verfasst. Hier sind Nerds wirklich unter sich, die offenbar kaum etwas anderes machen, als sich in ihrem Zweitleben Wikipedia-Scheingefechte liefern. Überlegen Sie sich gut, ob Sie so Ihre Zeit verbringen wollen. Der innere Zirkel dieser Gemeinschaft genießt sichtlich die damit einhergehende Macht, wobei sie dabei noch nicht einmal ihre wahre Identität preisgeben müssen. Gut vermummt gehen sie so in ihrer Freizeit auf die Jagd nach Abweichlern ihrer eigenen Vorstellungen und löschen und editieren alles, was ihnen nicht in den Kram passt. Das konkrete Verfahren gegen ‚Neudabei‘ wurde ürbigens bereits nach wenigen Tagen durch den ‚zuständigen Checkuser-Berechtigten‘ eingestellt. Niemand weiß, ob die beiden vielleicht sogar im selben Dorf leben oder zur selben Greenpeace-Ortsgruppe gehören. Transparenz wird bei Wikipedia leider sehr kleingeschrieben.

Auch auf der Profilseite von ‚Neudabei‘ kann man tief im Inneren noch etwas entdecken. Wie bereits festgestellt, ist die Benutzerbeschreibung leer. Und auch im Diskussionsbereich zum Profil findet sich nichts. Nun gibt es aber noch frühere Versionen des erst am 31. Juli 2018 komplett leergeräumten Diskussionsbereichs, dazu muss man auf den Reiter „Versionsgeschichte“ klicken. Sie sehen schon, dass ist alles ganz schön kompliziert. Aber hier wird man plötzlich fündig und trifft auf eine riesige Latte von Einträgen. Im November 2014 wurde von einem User vermutet, es könne sich bei ‚Neudabei‘ um einen Redakteur der Süddeutschen Zeitung handeln. ‚Neudabei‘ reagierte umgehend:

Das ist ganz einfach grober Unfug. Ich bin weder Journalist noch Aktivist. Damit habe ich alles dazu gesagt.

Aktivist ist er auf jeden Fall, sonst würde er sich nicht so sehr im Bereich Klimwandel auf der Alarmseite einsetzen, insbesondere auf den Wikipediaseiten zu EIKE und Horst-Joachim Lüdecke. Ob wenigstens der erste Teil seiner Aussage stimmt, dass er kein Journalist sei? Falls er einer wäre, wäre es schlau, wenn er dies zugeben würde? Er weiß ganz genau, dass sein Beruf nicht überpüft werden kann. Wenn es brenzlig würde, könnte er seinen Account einfach löschen und sich in Luft auflösen. Bereits einen Monat nach seinem Auftauchen in Wikipedia 2014, musste ‚Neudabei‘ eine Sperrprüfung über sich ergehen lassen, die aber bereits vier Stunden später wieder aufgehoben wurde. Es hätten sich Benutzer für ihn eingesetzt. Sein eigenes Netzwerk, das er in Windeseile aktivierte?

Hallo, es gibt eine Sperrprüfung: [1], falls du Interesse dazu hast und hier begründen möchtest warum du sie wünschst (z.B. warum indefinite Sperre nicht berechtigt, warum kein Schaden zu erwarten ist etc.; es kann übertragen werden auf Sperrprüfung von anderen Nutzern). —Casra (Diskussion) 19:17, 8. Nov. 2014 (CET)

Moin, nachdem sich mehrere Benutzer sehr für dich eingesetzt haben, habe ich die Sperrung deines Kontos aufgehoben. Jedoch hat sich bei der Arbeit an dem Artikel eine ungute Dynamik entwickelt, deshalb möchte ich dir die Punkte hier aufzeigen. Die Wikipedia ist nicht die freie Presse, hat auch nicht die Aufgabe etwas bekannt zu machen bitte dazu WP:WWNI lesen. Unterlasse also bitte hektische, aktionistische Edits, um diese Affäre möglichst schnell, möglichst breit bekannt zu machen. Für die Wikipedia als Enzyklopädie sind Qellen für die verschiedensten Aussagen, gerade in heiklen Themenfeldern extrem wichtig. […] Gruß —Itti 23:10, 8. Nov. 2014 (CET)

Und es hat sich leider im Laufe der Jahre nichts geändert. Noch immer fällt ‚Neudabei‘ durch aktionistische Edits auf. Zwischen dem 17. und 19 August 2018 bearbeitete er meine Wikipedia-Seite gleich fünf Mal. Zum Teil liegen zwischen den nervösen Edits nur 5 Minuten, was von emotionaler Aufgewühltheit zeugt. Gut gemeinte Ratschläge von 2014 schlug ‚Neudabei‘ einfach in den Wind:

Hi Neudabei. Du schreibst: « Der Grund für meine Sperrung ist für mich nicht nachvollziehbar.» Mein Rat: Schreib nicht einfach drauflos. Bedenke alles erst. Nicht, dass ich der Oberweise wäre, beileibe nicht, der Rat gilt auch für mich (und für alle eigentlich). Das Internet hat die Eigenart, so verführerisch einfach zu sein … man kann einfach so was machen, einfach so jemandem eine draufhauen, einfach so was loswerden… Schreibst du dagegen einfach so, wie du mit dem Nachbarn reden würdest – dann ist alles ok. Digitale Kommunikation ist ein Chaos – es liegt an uns, da etwas Ordnung reinzubringen. Man muss nicht bei jedem Wahnsinn mitmachen.–Andras Corvi (Diskussion) 00:21, 9. Nov. 2014 (CET)

Es wird klar: Wikipedia hat ein riesiges Transparenz-Problem. Im Laufe der Jahre haben sich hier anonyme, nerdige Autoren im System festgekrallt, über deren Motive und mögliche Interessenskonflikte wir nichts wissen. Das Konzept anonymer Bearbeitungen ist insbesondere im Bereich politisch sensibler Themen vollends gescheitert. Die einzige Lösung wäre, die vollständige Offenlegung aller Autorennamen, um das Vertrauen in das System wieder zuückzugewinnen. Genau wie bei Demonstrationen, muss nun auch bei Wikipedia endlich ein Vermummungsverbot kommen, ansonsten regiert weiter die Willkür, was letztendlich zur Unbrauchbarkeit der vormals gut gemeinten Online-Enzyklopädie führt. Es besteht dringender Handlungsbedarf.