Es war wohl mal wieder Zeit für Die Zeit: Zeit für Klimamobbing. Diesmal von Otto Wöhrbach, erschienen am 20. Oktober 2018:
Die Erderwärmung? Hat’s doch schon immer gegeben!
Mit diesem Argument wird gern beschwichtigt: So schlimm könne der Klimawandel dann ja nicht sein. Doch wissenschaftlich ist das Unsinn.
Herrlich dieses Spiel mit der Rhetorik: Skeptikerausspruch zitieren und dann als minderwertig, hirnrissig hinstellen. Lupenreines Klimaskeptikermobbing. Bevor wir in die Argumentation von Herrn Wöhrbach schauen, wollen wir wissen, mit wem wir es zu tun haben. Aus dem Autorenprofil lernen wir, dass es sich um einen freien Autor der Zeit handelt:
Der Autor studierte Physik, Mathematik und Philosophie in Tübingen und leitete bis 2016 das Planetarium Freiburg. Seither schreibt er als freier Autor über Astronomie und Planetenforschung, vor allem für den „Tagesspiegel“ und die „Badische Zeitung“.
Immerhin ein wissenschaftlicher Hintergrund. Aber leider zu sehr in der physikalischen Modellierungsecke zu verorten. Ob Otto Wöhrbach die Klimageschichte und die geowissenschaftliche Sichtweise beherrscht? Das Thema Astronomie erinnert an Harald Lesch, der unsere liebe Sonne und ihre Schwankungen klimatisch für komplett nutzlos hält. Schauen wir mal in Wöhrbachs Artikel hinein:
So schlimm könne es ja alles nicht sein – schließlich hat sich das Klima der Erde schon oft geändert im Verlauf ihrer 4,6 Milliarden Jahre langen Geschichte. Dieser Gedanke erscheint naheliegend, aber er ist in gleich mehrfacher Hinsicht falsch. Und er führt leicht zu folgenden fünf Trugschlüssen:
So lieben wir es: Mathematisch streng gegliedert. Fünf Trugschlüsse der doofen Skeptiker. Hier Nummer 1:
Trugschluss 1: Zeiten des Klimawandels sind harmlos
Au weia. Wöhrbach fabuliert über ein Massenaussterben an der Perm-Trias-Grenze und will daraus ablesen, dass Wärme für das Leben schlecht ist. Thema verfehlt. Das Mesozoikum (Trias, Jura, Kreide) war sehr warm und voller Leben. Dinosaurier und Korallen liebten die Zeit. Der CO2-Gehalt der Atmosphäre war vielfach höher als heute. Wöhrbachs Argument geht nach hinten los. Schwach. Es gibt eine Vielzahl von Theorien für das Aussterbeereignis an der Perm-Trias-Grenze, darunter auch Vulkanausbruchsserien und Meteoriteneinschläge. Wöhrbach pickt sich eine einzige heraus, den angeblichen ‚Runaway Greenhouse Effect‘. Das ist Rosinenpickerei, haarscharf an der Grenze zur Fehlinformation.
Trugschluss 2: Klimawandel ist gleich Klimawandel
[…] Schon heute herrschen andere Klimaverhältnisse als während des gesamten zurückliegenden Quartärs, dem Zeitabschnitt der Erdgeschichte also, in dem sich die Menschheit seit knapp drei Millionen Jahren entwickelt. Die kleineren Schwankungen in diesem Zeitraum wurden dabei vermutlich von geringfügigen Änderungen der Helligkeit der Sonne verursacht. Zum Beispiel während der Kleinen Eiszeit, die je nach Quelle ungefähr im 13. Jahrhundert begann (Geophysical Research Letters: Miller et al., 2012) und spätestens im 19. Jahrhundert endete (Science: Oerlemans, 2005). Während dieser Periode war es durchschnittlich etwas kälter als heute. Den alten Römern dagegen spielte eine wärmere Phase in die Hände: Das römische Klimaoptimum befreite die Alpenpässe von Schnee und Eis und öffnete sie für die Eroberung Galliens und Germaniens.
Schlecht gemixtes Halbwissen gepaart mit Fake News. Den Wechsel zwischen Eiszeiten und den warmen dazwischenliegenden Interglazialen nennt Wöhrbach „kleinere Schwankungen“. Das soll er mal einem Schleswig Holsteiner erzählen, dessen Haus in der letzten Eiszeit unter einem Kilometer Eis begraben wurde. Das ist wirklich peinlich, Herr Wöhrbach.
Dann führt der Physiker die Kleine Eiszeit an und verniedlicht sie mit „…war es durchschnittlich etwas kälter als heute„. Eine krasse Fehlinterpretation aus der modernen schön gewärmten Lehnstuhlperspektive. Unsere Vorfahren in Deutschland werden das deutlich anders gesehen haben. Die Temperaturen waren in der Kleinen Eiszeit bis zu 2°C kälter, die Sommer kalt und verregnet, viele Ernten zerstört, Krankheiten breiteten sich aus, Gletscher wuchsen weltweit stark an. Die Kleine Eiszeit war eine der kältesten Phasen der gesamten letzten 10.000 Jahre. Wöhrbach wusste das offenbar nicht. Die Mittelalterliche Wärmeperidoe lässt Wöhrbach aus, dafür führt er immerhin die Römische Wärmeperiode an. Dann widmet er sich wieder dem Klima im Millionen-Jahre-Maßstab.
Das wilde Zusammengewürfele von Klimawandel verschiedener Zeitskalen ist wenig zielführend. Während die durch Erdbahnschwankungen hervorgerufene Milankovic-Zyklik für das Quartär sehr relevant ist, spielt sie für den mehrfachen warm-kalt-warm-Wechsel der letzten 2000 Jahre keine Rolle. Offenbar merkt Otto Wöhrbach gar nicht, dass sein Text zu „Trugschluss 2“ eher die Skeptikerseite stützt. Zunächst misrepräsentiert er den aktuellen Wissensstand der Paläoklimatologe, dann bleibt er auch noch Erklärungen für die starke natürliche Klimadynamik der letzten 2000 Jahre schuldig. Der Zeit möchte man zurufen: Weshalb hat hier niemand vor Veröffentlichung des Artikels probegelesen?
Trugschluss Nummer 3: Die Entwicklung ist jederzeit aufzuhalten
Wöhrbach fabuliert wild, ohne zu überzeugen. Sein Denken ist durch vermeintliche PIK-Kipppunkte kontaminiert. Zudem ignoriert er, dass es in der Kimageschichte der letzten Jahrzehnte bis Jahrtausende stets Entwicklungen in beide Richtungen, sowohl wärmer als auch kälter, gegeben hat. Nichts ist für immer. Es wäre falsch, jeden Kurzzeittrend in die weite Zukunft fortschreiben zu wollen. Fehlendes klimahistorisches Wissen führt Wöhrbach hier auf einen argumentativen Holzweg.
Trugschluss 4: Der Anstieg der Treibhausgase ist ein natürlicher Vorgang
Zur Info: Die Mehrheit der Skeptiker akzeptiert, dass der Anstieg des CO2 in der Atmosphäre durch die Nutzung fossiler Brennstoffe bedingt ist. Die Frage ist vielmehr: Wie stark erwärmend wirkt dieses zusätzliche CO2? Weshalb geht Wöhrbach nicht auf den großen Unsicherheitsbereich der CO2-Klimasensitivität ein? 1,5-4,5°C pro CO2-Verdopplung.
Trugschluss 5: Die Natur kann sich anpassen
Es ist unglaublich, wieviele Fehleinschätzngen man in einem so kurzen Artikel unterbringen kann. Wöhrbach behauptet fälschlicherweise, dass die Geschwindigkeit des Klimawandels heute viel höher als je zuvor war. Außerdem behauptet er, Extremwetter sei häufiger geworden. Beides ist falsch. Siehe z.B. hier und hier.
Unterm Strich haben wir einen zweiten Harald Lesch: Viel aktivistischer Drang, aber kaum belastbare Fachkennnisse. Die Zeit tut sich mit solch schlecht recherchierten Artikeln zum Thema Klimawandel keinen Gefallen, verspielt auch den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit in diesem politisch hochsensiblen Themenbereich, der stattdessen äußerste Sorgfalt erfordert.