An: Deutschlandfunk
Von: Sebastian Lüning
Gesendet: 19.4.2015
Antwort: 24.4.2015
Sehr geehrte Redaktion,
In der Klimadebatte werfen sich die beiden Seiten gegenseitig vor, Rosinenpickerei zu betreiben und unbequeme Studienergebnisse jeweils zu ignorieren. In der medialen Berichterstattung ist ein ausgewogenes Angebot aller Ergebnisse wünschenswert, unabhängig von ihrer Kompatibilität mit der ein oder anderen Richtung. Wie Ihnen sicher bekannt ist, gibt es auch beim Thema Golfstrom unter den Klimawissenschaftlern unterschiedliche Sichtweisen.
Am 15.12.2014 gaben die Universität Heidelberg sowie das Geomar die folgenden Pressemitteilungen heraus:
Klimawandel: Ozeanzirkulation im Atlantik ist stabiler als gedacht
http://www.uni-heidelberg.de/presse/meldungen/2014/m20141215_klimawandel_ozeanzirkulation_atlantik_stabiler.html
Klimawandel: Ozeanzirkulation im Atlantik war stabiler als erwartet
http://www.geomar.de/news/article/klimawandel-ozeanzirkulation-im-atlantik-war-stabiler-als-erwartet/
Nur wenige Monate später, am 24. März 2015, gab das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) eine hiervon abweichende Interpretation bekannt:
Golfstromsystem verliert an Kraft – Klimawandel im Verdacht
https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/atlantic-ocean-overturning-found-to-slow-down-already-today
Sie haben in Ihrem Programm ausführlich über die PIK-Arbeit berichtet, während ich zur Heidelberg/Geomar-Studie von Ihnen keinen Artikel finden konnte. Da Sie offenbar die Thematik generell für Ihre Leser als geeignet und attraktiv einstufen, wundere ich mich über diese Auslassung.
http://www.deutschlandfunk.de/klimawandel-golfstrom-laesst-nach.697.de.html?dram:article_id=315164
Mein Frage an Sie: Aus welchen Gründen hat es die Heidelberg/Geomar-Studie nicht in Ihr Programm geschafft? Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen, die ich gerne im Blog www.kaltesonne.de bekanntgeben würde.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. habil. Sebastian Lüning
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Von: Georg Ehring, Deutschlandfunk, Redaktionsleiter Wirtschaft und Umwelt
An: Sebastian Lüning
Gesendet: 24.4.2015
Sehr geehrter Herr Lüning,
besten Dank für Ihre Mail. Wir haben die Studie des PIK in unserer Sendung „Umwelt und Verbraucher“ aufgegriffen, denn das Thema war für uns interessant: Die aktuell beobachtete Abschwächung des Golfstroms, zurück zu führen auf das Abschmelzen des Grönlandeises, was wiederum nach Vermutung der Autoren mit dem menschengemachten Klimawandel zusammenhängt. Wir berichten häufig über dieses Thema, neue Erkenntnisse dazu sind uns wichtig.
Die Studie von Universität Heidelberg und Geomar war für uns weniger von Belang, denn sie behandelte kein aktuelles Umweltthema: Sie beschäftigt sich mit dem Golfstrom in den vergangenen 140.000 Jahren und kommt zu dem Schluss, dass er in dieser Zeit stabiler war als früher vermutet.
Die beiden Studien widersprechen sich übrigens nicht, sie beschäftigen sich mit verschiedenen Zeiten und verschiedenen Themen: Die eine mit dem menschengemachten Klimawandel heute, die andere mit dem natürlichen Klimawandel der vergangenen 140.000 Jahre. Evelyn Böhm von der Universität Heidelberg weist in der Pressemitteilung ausdrücklich darauf hin, dass sich aus der Studie zur vergangenen Entwicklung nur begrenzt Rückschlüsse ziehen lassen auf die möglichen Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels: „Denn die heutigen CO2-Emissionen bedeuten einen bis dato nie dagewesenen Eingriff in das Klimasystem.“
Prof. Rahmstorf sagt in dem Interview mit dem Deutschlandfunk ein begrenztes Ausmaß der Abschwächung des Golfstroms voraus: „Diese Abschwächung ist allerdings nicht so stark, dass es zu einer Abkühlung über den Landmassen über Europa kommt, sondern da beobachten wir ja nach wie vor eine Erwärmung im Zuge der allgemeinen globalen Erwärmung durch die Treibhausgase.“ Mit einem Zusammenbruch des Golfstroms sei nicht zu rechnen, auch dies im Einklang mit der Studie aus Heidelberg/Geomar.
Wenn die beiden Studien sich widersprechen würden, hätte es in der Tat nahegelegen, sich trotz des unterschiedlichen Themenschwerpunkts mit beiden zu beschäftigen, dies war aber nicht der Fall.
Es grüßt Sie freundlich
Georg Ehring
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Von: Sebastian Lüning
An: Georg Ehring, Deutschlandfunk, Redaktionsleiter Wirtschaft und Umwelt
Gesendet: 24.4.2015
Antwort: 29.4.2015 (siehe unten)
Sehr geehrter Herr Ehring,
Zunächst einmal recht herzlichen Dank für Ihre Antwort. Sie haben schon Recht, dass die beiden Studien unterschiedliche Zeiträume abdecken. Trotzdem lässt sich aus der Stabilität der letzten 140.000 Jahre schon ein Stück weit herauslesen, dass die Stabilitätshypothese möglicherweise auch für die Heutezeit Gültigkeit hat. In der Pressemitteilung der Universität Heidelberg heißt es daher auch “Die Ozeanzirkulation im Atlantik, die einen entscheidenden Einfluss auf das Erdklima hat, ist stabiler als bislang angenommen.” Wenn die Ergebnisse für heute keinerlei Relevanz hätten, dann stünde dort vermutlich “…war stabiler als angenommen.”
Ich möchte Ihren berechtigten Einwand aber gerne aufgreifen und Ihnen aktuelle Studien nennen, welche die letzten Jahrzehnte abdecken und ebenfalls einen stabilen Golfstrom beschreiben. Hier wäre zunächst eine Arbeit aus dem Januar 2014 eines Forscherteams um Thomas Rossby von der University of Rhode Island in den Geophysical Research Letters:
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/2013GL058636/abstract
Dort heißt es im Abstract:
On the long-term stability of Gulf Stream transport based on 20 years of direct measurements
In contrast to recent claims of a Gulf Stream slowdown, two decades of directly measured velocity across the current show no evidence of a decrease. Using a well-constrained definition of Gulf Stream width, the linear least square fit yields a mean surface layer transport of 1.35 × 105 m2 s−1 with a 0.13% negative trend per year. Assuming geostrophy, this corresponds to a mean cross-stream sea level difference of 1.17 m, with sea level decreasing 0.03 m over the 20 year period. This is not significant at the 95% confidence level, and it is a factor of 2–4 less than that alleged from accelerated sea level rise along the U.S. Coast north of Cape Hatteras. Part of the disparity can be traced to the spatial complexity of altimetric sea level trends over the same period.
Zur gleichen Schlussfolgerung war auch bereits die NASA vor einigen Jahren gekommen. In einer Pressemitteilung vom 25. März 2010 gab die Behörde bekannt:
http://www.nasa.gov/topics/earth/features/atlantic20100325.html
NASA Study Finds Atlantic ‘Conveyor Belt’ Not Slowing
New NASA measurements of the Atlantic Meridional Overturning Circulation, part of the global ocean conveyor belt that helps regulate climate around the North Atlantic, show no significant slowing over the past 15 years. The data suggest the circulation may have even sped up slightly in the recent past. The findings are the result of a new monitoring technique, developed by oceanographer Josh Willis of NASA’s Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, Calif., using measurements from ocean-observing satellites and profiling floats. The findings are reported in the March 25 issue of Geophysical Research Letters. […] For now, however, there are no signs of a slowdown in the circulation. “The changes we’re seeing in overturning strength are probably part of a natural cycle,” said Willis. “The slight increase in overturning since 1993 coincides with a decades-long natural pattern of Atlantic heating and cooling.”
Liege ich mit meiner Vermutung richtig, dass Sie in Ihrem Programm auch diese Arbeiten ausgespart haben? Ich fände es wichtig, dass Sie in Ihrer Berichterstattung das ganze Meinungsspektrum abdecken. Ihre Zuhörer und Leser bekommen durch diese Auslassungen ein ganz falsches Bild, dass sich die Wissenschaft in der Golfstrom-Frage einig wäre. Dies ist aber absolut nicht der Fall. Ich kann Ihnen in diesem Zusammenhang noch den Meinungsbeitrag der angesehenen Klimawissenschaftlerin Judith Curry empfehlen, die die PIK-Arbeit überaus kritisch bewertet:
http://judithcurry.com/2015/03/25/whats-up-with-the-atlantic/
Mit besten Grüßen
Sebastian Lüning
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Von: Georg Ehring, Deutschlandfunk, Redaktionsleiter Wirtschaft und Umwelt
An: Sebastian Lüning
Gesendet: 29.4.2015
Sehr geehrter Herr Lüning,
besten Dank für Ihre Antwort. Die Frage, wie stabil der Golfstrom ist, haben wir in unserem Programm in den vergangenen Jahren immer wieder behandelt – aus unterschiedlicher Perspektive und mit unterschiedlichen Studien. Forscher, die den Golfstrom für stabiler gehalten haben, kommen da natürlich auch vor. Zu finden beispielsweise unter:
oder unter:
http://www.deutschlandfunk.de/stabile-waermepumpe.676.de.html?dram:article_id=29060
Es wird also weiter geforscht und wie behalten das Thema im Auge, wie Sie vermutlich auch. Angesichts der großen Bedeutung des Klimawandels für Menschen und Umwelt kann es nicht überraschen, dass zur Stabilität des Golfstroms viele Studien erscheinen und wir bemühen uns, in unserem Programm wichtige Veröffentlichungen aufzugreifen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber immer mit dem Bemühen, ein umfassendes Bild zu vermitteln.
Ich hoffe, Sie bleiben uns gewogen und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Georg Ehring