Vor wenigen Tagen (am 5. Februar 2015) besprachen wir an dieser Stelle eine Pressemitteilung des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts („Wärmer oder kälter? AWI-Studie zur Klimageschichte Sibiriens der letzten 7000 Jahre gibt Rätsel auf„). Unter anderem wunderten wir uns, weshalb gerade diese Studie groß für die Medien aufbereitet wurde, wo doch eine Reihe von anderen interessanten Arbeiten aus dem gleichen Hause unberücksichtigt geblieben war. Es schien fast so, als wenn vor allem IPCC-konforme Themen zum Zuge kämen und unbequeme Ergebnisse viel zu oft unberücksichtigt blieben.
Wir wollten es genauer wissen und schrieben im Rahmen unserer Reihe „Um Antwort wird gebeten“ an die Pressestelle des AWI. Im Gegensatz zu früheren Adressaten, beschäftigte sich das AWI erfreulicherweise mit unserer Anfrage und antwortete schon einige Tage später. Im Folgenden der Schriftwechsel im Original:
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DIE FRAGE:
Von: Sebastian Lüning
An: Sina Löschke, AWI, Abteilung Kommunikation und Medien
Datum: 5.2.2015
Sehr geehrte Frau Löschke,
Mit Interesse habe ich Ihre Pressemitteilung „Winter in sibirischen Permafrostregionen werden seit Jahrtausenden wärmer“ gelesen. Die Erforschung des Holozän-Klimas ist eine wichtige Aufgabe, die für den Kontext der aktuellen Klimaveränderungen unverzichtbar ist. Mich wundert allerdings etwas, dass einige andere Arbeiten aus Ihrem Hause medial unberücksichtigt blieben:
–Dr. Hanno Meyer hatte im September 2014 im Fachblatt Global and Planetary Change eine Studie zu Kamschatka publiziert und für die vergangenen 5000 Jahren einen langfristigen Abkühlungstrend gefunden.
–Bereits im Mai 2013 waren erste Ergebnisse zum Kamschatka-Projekt in den Quaternary Science Reviews veröffentlicht worden.
–Im September 2013 erschien in Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology eine AWI-Studie eines Forscherteams um Juliane Klemm. Die Studie fand, dass sich die heutigen Sommertemperaturen in der sibirischen Arktis kaum von denen der letzten Jahrtausende unterscheiden.
Ich habe ein wenig in Ihrem Pressemitteilungsarchiv gesucht, habe aber keine Meldungen über diese höchstinteressanten Studien gefunden. Mich würde interessieren, nach welchen Kriterien Sie hier Studien für Pressemitteilungen auswählen. Es ist klar, dass bei einem großen Institut wie dem Ihrigen nicht über jede Studie berichtet werden kann. Jedoch kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass hier vor allem Projektergebnisse zum Zuge kommen, die mit dem dramatischen IPCC-Konzept konform gehen, während relativierende Studien zur natürlichen Klimadynamik weitgehend ignoriert werden.
Wir würden gerne Ihre Antwort in unserem Blog bekanntgeben, wo wir Ihre Pressemitteilung zum sibirischen Permafrost heute (5.2.2015) diskutiert haben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. habil. Sebastian Lüning
Geologe
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DIE ANTWORT:
Von: Sina Löschke, AWI, Abteilung Kommunikation und Medien
An: Sebastian Lüning
Datum: 10.2.2015
Sehr geehrter Herr Lüning,
Vielen Dank für Ihre E-Mail und Ihr Interesse an unserer Forschung. Sie haben uns gefragt, nach welchen Kriterien wir Themen für eine AWI-Pressemeldung auswählen. Diese Frage möchte ich Ihnen im Folgenden sehr gern beantworten.
Eine Pressemitteilung schreiben wir immer dann, wenn das Thema der Veröffentlichung oder deren News die klassischen Nachrichtenfaktoren erfüllt. Das bedeutet also, wenn es unseren Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gelingt, in ihren Studien/Publikationen Ergebnisse zu präsentieren, die:
- neu oder einmalig und von großem öffentlichen Interesse sind;
- den aktuellen Stand des Wissens maßgeblich vorantreiben und/oder methodisch-technologischen Fortschritt mit sich bringen oder
- altbekanntes Wissen aus einer neuen Perspektive betrachten oder Methoden infrage stellen.
In Bezug auf unsere Pressemeldung zum Nature-Geoscience-Paper von Hanno Meyer und Kollegen waren diese Kriterien vollends erfüllt. Doch lassen Sie mich an dieser Stelle thematisch noch etwas ausholen:
Eine der bekanntesten Schlussfolgerungen, welche Klimaforscher in den zurückliegenden Jahren aus Rekonstruktionen der vergangenen 7000 Jahre gezogen haben, ist sicherlich, dass sich die Sommer in den mittleren bis hohen Breiten der Nordhemisphäre zwischen dem mittleren Holozän (ca. 6-7000 Jahre vor heute) und pre-industriellen späten Holozän abgekühlt haben. Einen Überblick über etwa 100 dieser Rekonstruktionen bieten Sundqvist et al. 2010 (Clim. Past, 6, 591-608, doi:10.5194/cp-6-591-2010). Diese grundlegende Erkenntnis entspricht auch den Ergebnissen vieler Klimamodellsimulationen und ist zudem konsistent mit den Berechnungen der Änderungen der Sonneneinstrahlung im Sommer durch Änderungen der Erd-Sonnenkonfiguration.
AWI-Forscher arbeiten seit Jahrzehnten kontinuierlich zu diesem Thema und haben auch in den vergangenen Jahren Sommer-Datenarchive und Sommer-Datensätze gefunden, welche die bereits bekannte Sommer-Abkühlung bestätigt haben. Dazu zählt auch das von Ihnen genannte Meyer et al., Paper in Global and Planetary Change: Dessen Daten basieren auf Kieselalgen, die ebenfalls in die Kategorie „Sommerarchiv“ gehören. Auch die zwei anderen von Ihnen genannten Studien, Nazarovaet al., und Klemm et al., rekonstruieren Sommertemperaturen aus Chironomiden und Pollen. Keine der Studien konnte eine Aussage über die Temperaturentwicklung des letzten Jahrhunderts machen, da Sedimentkerne leider selten genau genug datierbar sind und außerdem zeitlich oft nicht so fein aufgelöst werden können.
Die entsprechenden Fachartikel sind aufgrund ihres geringen Neuigkeitswertes für das breitere Publikum in kleineren Fachmagazinen veröffentlicht worden. Und auch wir in der AWI-Pressestelle haben nicht den Anlass gesehen, dazu jeweils eine Meldung für die breite Öffentlichkeit zu schreiben, denn sie hätte ja jedes Mal in etwa gleich lauten müssen.
Beim aktuellen Nature-Geoscience-Paper sieht dies ganz anders aus. Hanno Meyer und seine Kollegen haben zum ersten Mal einen Winterdatensatz ermittelt, der nicht nur eine große Lücke schließt, sondern zudem auch eine gute Ausgangsbasis für weitere Arbeiten darstellt. Wie hoch der Neuigkeitswert dieser Ergebnisse ist, zeigt allein die Tatsache, dass mit Nature Geoscience eines der einflussreichsten Fachjournale diese Studie zur Veröffentlichung angenommen hat. Uns hat die Studie ebenso überzeugt.
Ich möchte an dieser Stelle auch dem impliziten Vorwurf einer IPCC-geleiteten Pressemeldungsagenda widersprechen. Wie Sie gerade am Beispiel dieser Permafrostmeldung sehr gut sehen können, versuchen wir AWI-Pressereferenten die Arbeit unserer Wissenschaftskollegen genauso sachlich darzustellen, wie es die Forscher mit den Ergebnissen in ihren Fachartikeln tun.
Nature Geoscience hat diese Studie akzeptiert, weil sie eben nicht nur auf die Temperaturentwicklung des vergangenen Jahrhunderts zeigt, sondern den Temperaturverlauf für sieben Jahrtausende abbildet. Zudem widerspricht unsere Winter-Temperaturkurve den bisher bekannten Sommerdaten (die saisonalen Unterschiede in den Datensätzen und Temperaturkurven sind hier wirklich das Entscheidende) und sie bestätigt erstmals in echten Felddaten, was Modellsimulationen bereits angedeutet haben – nämlich eine langfristige Erwärmung der Winter in den sibirischen Permafrostregionen.
All das war uns unbedingt eine Pressemeldung wert – und wir freuen uns, dass die Publikation und unsere Meldung weltweit auf so großes Interesse gestoßen sind.
In der Hoffnung, Ihre Frage ausführlich und verständlich beantwortet zu haben, verbleibe ich im Namen unseres Teams mit den besten Grüßen
Sina Löschke
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Eine Übersicht zur bisherigen hier veröffentlichten Klimakorrespondenz – alphabetisch sortiert nach Empfängerorganisation – finden Sie hier.