Die Alpengletscher schmelzen derzeit. Organisationen wie WWF oder Greenpeace präsentieren medienwirksame Vorher-Nachher-Fotovergleiche von alpinen Gletschertälern, die nur einen Schluss zulassen: Das Eis schmilzt und der Mensch hat Schuld. Denn früher waren die Gletscher lang und gesund, während sie heute mit dem Tode ringen. Ein klitzekleines Detail bleibt in solchen Artikeln meist unerwähnt: Schmelzende Alpengletscher sind kein noch nie dagewesenes, neues Phänomen. Das alpine Eis hatte während langer, warmer Phase der letzten 12.000 Jahre einen schweren Stand und schmolz. In den dazwischen liegenden Kältephasen wuchsen die Gletscher hingegen.
Eine im August 2012 im Fachmagazin Geology erschienene Arbeit quantifizierte nun die Gletscherzyklen für die westlichen Schweizer Alpen. Ein schweizerisch-US-amerikanisches Forscherteam um Irene Schimmelpfennig vom Lamont-Doherty-Earth Observatory untersuchte die Entwicklungsgeschichte des Tsidjiore Nouve Gletschers und fand, dass das Eis auch in der Mittelalterlichen Wärmeperiode vor 1000 Jahren stark abschmolz (Abbildung 1). Auch zur Zeit des mittelholozänen Klimaoptimums vor 8000-4000 Jahre vor heute schrumpften die Alpengletscher stark. Signifikantes Gletscherwachstum fanden Schimmelpfennig und ihre Kollegen hingegen während zweier Kältephasen vor 3500 und 500 Jahren. Letztere Episode ist auch als Kleine Eiszeit bekannt. Unter Berücksichtigung der Gletscherdynamik der vorindustriellen Zeit muss man die aktuelle alpine Gletscherschmelze vor allem als Wiedererwärmung nach der Kleinen Eiszeit einstufen. Das Konzept einer anthropogenen Alpengletscherkatastrophe kann nur aufrechterhalten werden, wenn man diesen klimahistorischen Kontext mutwillig ausblendet. Und es gibt weitere Fallbeispiele aus den Alpen: Eine Übersicht zur Literatur über die Entwicklung des Aletsch-Gletschers gibt z.B. Alfred Brandenberger auf seiner Klima-Vademecum-Webseite.
Abbildung 1: Schrumpfen (Kurvenausschlag nach oben) und Wachsen (Kurvenausschlag nach unten) des Tsidjiore Nouve Gletschers in den westlichen Schweizer Alpen. Jahresangabe in tausend Jahren vor heute (links: heute, rechts: 12.000 Jahre). Der mit „C“ markierte Kurventeil (12.000-8.000 Jahre vor heute) basiert auf dem Mont Miné Gletscher in der gleichen Region. Blaue Balken markieren Kältephasen, rote Bereiche entsprechen Wärmeperioden. LIA=Little Ice Age, Kleine Eiszeit. MWP: Medieval Warm Period, Mittelalterliche Wärmeperiode. Quelle: Schimmelpfennig et al. 2012.
Auch Gernot Patzelt von der Universität Innsbruck hat die historische Achterbahnfahrt der Alpengletscher intensiv erforscht und in zahlreichen Publikationen und Vorträgen eindrucksvoll dargestellt. Hier eine spannende Präsentation von Patzelt aus dem Jahre 2011, in der er anhand von Holzfunden mehrere Phasen nachweisen konnte, in denen die Alpengletscher kürzer waren als heute:
weiter lesenEine unbequeme Wahrheit: Alpengletscher waren in der Vergangenheit kürzer als heute