Klimaberichte sind bekanntlich groß in Mode. Darin werden sehr viele Prognosen abgegeben. Die wissesnchaftliche Basis und Kalibrierung fällt aber in vielen Fällen eher schwach aus. Ein neuer Bericht „Schweizer Klimaszenarien CH2018“ will einen Überblick über das Alpenland geben. Wir schauen in den Bericht hinein. Wie gut ist die klimahistorische Basis dargestellt, die die Achillesferse der Klimamodelle und der darauf fußenden Prognose darstellt?
Auf der Webseite zum Bericht gibt es eine Einführung und Downloadmöglichkeiten. Der „technische Bericht“ in englischer Sprache ist 112 MB „schwer“. Aus der Zusammenfassung hier die Highlights:
Long-term high-quality measurements and proxy reconstructions of weather and climate exist for up to the last 150 and 330 years, respectively. Despite large natural variability on timescales of years to decades, a robust climate change signal is found for several variables.
Near-surface air temperature has increased by about 2.0 °C between 1864 and 2017, compared to 0.9 °C globally, with most of the warming taking place since the 1980s. The 1988 to 2017 summer average is by far the warmest 30-year period since the start of reliable climate reconstructions in 1685. This warming has led to more frequent and more intense heatwaves, whereas cold periods have become less frequent.
The zero-degree line in winter has shifted upward by about 300 – 400 meters since the 1960s, and the volume of Alpine glaciers has decreased by about 60 % since the 1850s. Since the 1970s, the number of snow days and snowfall days have decreased by about 20 % at about 2000 m a.s.l. to 50 % below 800 m a.s.l.
The vegetation period is two to four weeks longer today than in the 1960s.
Ja, es hat sich seit der Kleinen Eiszeit erwärmt, das war zu erwarten. Und wieder versäumen es die Autoren, den längerfristigen klimahistorischen Kontext zu erwähnen, stellen die Kleine Eiszeit fälschlicherweise als vorindustrielles „Normalklima“ dar. Nur zur Erinnerung: Die Kleine Eiszeit stellt die kälteste Phase der letzten 10.000 Jahre dar, repräsentiert also eine klimatische Sondersituation. Eine Suche nach den Begriffen „Medieval“ und „Little Ice Age“ im gesamten Bericht bleibt ohne Treffer. Damit bleiben die vielen im Bericht aufgeführten Prognosen ohne vorindustrielle Kalibrierung, was sie äußerst unsicher und nahezu wertlos macht. Damit reiht sich der Schweizer Bericht nahtlos in andere Berichte aus Deutschland und IPCC ein, die sich offenbar allesamt fest vorgenommen haben, das unbequeme Thema der vorindustriellen Klimavariabilität einfach nicht zu erwähnen. Eine Art konspiratives Schweigegelübde. Hoffentlich merkt es keiner, wird man wohl gedacht haben. Weiter im CH2018:
Winter precipitation has increased by about 20 % to 30 % since 1864, although part of that change may be natural variability. There is robust evidence that heavy precipitation has become more frequent (+30 %) and more intense (+12 %) since the beginning of the 20th century.
Die Aussage zum Starkregen verwundert dann doch, da in einem Schweizer Klimabericht von 2016 doch ganz andere Trends genannt wurden. Auf Seite 25/26 hieß es damals:
Kürzlich wurde die Häufigkeit grossräumiger sommerlicher Überschwemmungen für die letzten 2500 Jahre rekonstruiert, basierend auf Sedimenten von 10 Seen im Alpenraum (Abb. 1.3) (Glur et al. 2013). Die Resultate zeigen, dass grossräumige Hochwasser in vergleichsweise kühlen Sommern häufiger auftauchen. Dies stimmt mit früheren Studien überein, die eine erhöhte Häufigkeit von schweren Überschwemmungen in der kleinen Eiszeit und eine reduzierte Häufigkeit in der mittelalterlichen Warmzeit gefunden hatten (Schmocker-Fackel et al. 2010). Dieses Resultat ist qualitativ auch mit der von den Klimamodellen projizierten Abnahme der sommerlichen Niederschläge konsistent, insbesonders wenn man berücksichtigt, dass es sich bei der projizierten Zunahme von Starkniederschlägen um kurzzeitige und meist kleinräumige Ereignisse handelt, und nicht um grossräumige Ereignisse wie etwa die sommerlichen Überschwemmungen vom August 2005. Das würde also bedeuten, kurzzeitige, kleinräumige Ereignisse werden häufiger, während stärkere, grossräumige abnehmen könnten.
Mysteriös. Weiter mit der Kurzfasung des CH2018:
Sunshine duration, a proxy for global radiation, shows a significant decline of -15 % between the 1950s and around 1980, followed by a significant increase of +20 % up to the present day.
Das ist ganz interessant. Mehr Wolken und weniger Sonne zwischen 1950-1980, was ziemlich gut mit der in der Schweiz gemessenen Abkühlung in diesem Zeitraum zusammenpasst (siehe Fig. 3.12 auf Seite 37 im CH2018-Bericht). Die aktuelle Wärmephase fällt dann auffälligerweise genau in die sonnigere Zeit. Das führt zur alten Frage: Was genau hat die Wolken vertrieben, hat der Sonne die Möglichkeit gegeben, die Temperaturen nach oben zu treiben? Das CO2? Die Sonnenaktivität selber (über kosmische Strahlung oder UV)? Dies ist letztendlich die Gretchenfrage. Weiter mit dem CH2018:
In the observational record, no robust signals for long-term trends are found for summer precipitation, droughts, wind speed, or low stratus. For these quantities, it is either unclear at this point how they are affected by climate change, or the expected anthropogenic signal has not yet emerged from observed large natural variability (e.g., summer drying). The observational basis is too short or insufficient to make robust inferences about past changes in small-scale phenomena such as thunderstorms, tornadoes, and hail. For quantities for which the expected future climate trends are small or considered unreliable, accounting for present-day climate variability provides the best estimate of potential climate-related impacts.
Wichtige Aussagen, die möglicherweise im einen oder anderen Pressebericht unerwähnt blieben: Die Forscher konnten keine Trends bei Sommerregen, Dürren, Windgeschwindigkeiten und tiefhängenden Wolken finden. Hier dominiert die natürliche Klimavariabilität, ohne erkennbare anthropogene Beeinflussung, schreiben die Autoren.
Tief vergraben im CH2018-Bericht findet man dann auf Seite 141 einige wichtige Aussagen, die es wert gewesen wären in der Executive Summary erwähnt zu werden:
The emerging human-induced influence on climate must be considered against the backdrop of substantial natural (in part solar and volcanic, but mostly internal unforced) variability on timescales of years to decades. This poses challenges in detecting climate change and attributing it to anthropogenic causes, evaluating models against observed trends, and quantifying uncertainties in future changes, in particular on local scales where variability is substantial. Nevertheless, linking observed trends, attribution, model evaluation, and near-term projection are critical steps in establishing confidence in projections.
[…]
At least half of the observed annual and seasonal warming in Switzerland over the past 50 to 100 years is likely due to anthropogenic emissions. This conclusion is supported by the unusual magnitude and pace of the past warming relative to natural variability, the attribution of warming to anthropogenic emissions at continental to global scales with very high confidence, and the process understanding of land warming faster than the global average.
Man muss anerkennen, dass die Autoren die wichtige Rolle der natürlichen Variabilität betonen. „Mindestens die Hälfte der Erwärmung der letzten 50-100 Jahre ist anthropogenen Ursprungs“. Oder andersherum ausgedrückt: Bis zur Hälfte der beobachteten Erwärmung hat natürliche Ursachen. Hier unterscheidet sich der CH2018-Bericht maßgeblich vom kürzlichen IPCC-Spezialbericht zum 1,5°C-Ziel, in dem die gesamte Erwärmung als anthropogen interpretiert wird. Natürlich passt das nicht zusammen, denn der globale Temperaturverlauf ähnelt dem in der Schweiz schon sehr (siehe Fig. 3.12 auf Seite 37 im CH2018-Bericht).
Bei der Frage, was denn die natürlichen Klimatreiber des natürlichen Klimaanteils sein könnten, tricksen die Autoren. Zunächst erklären sie die Sonne und Vulkane als klimatisch nahezu unwirksam. Insbesondere bei der Sonne ist dies wohl voreilig, da keiner der aktuell in der Erforschung befindlichen Verstärkerprozesse berücksichtigt werden. Sicher ein Fehler. Aber irgendetwas muss ja die verbleibenden bis zu 49% der Erwärmung in der Schweiz verursacht haben. Die Autoren stufen den Beitrag einfach als „unforced“ ein, interne Klimaschwankungen. Ob sie damit Rauschen oder eine längerfristige interne Zyklik meinen, bleibt unklar.
Unterm Strich haben wir ein gemischtes Ergebnis. Die Berichtsautoren sind ziemlich genau bei der Beschreibung des Klimawandels der letzten 150 Jahre, räumen unumwunden ein, dass sich etliche Parameter noch voll und ganz im Bereich der natürlichen Schwankungsbreite befinden. Zudem wird den natürlichen Prozessen viel Raum gegeben, bis zur Hälfte der Erwärmung in der Schweiz könnte in den letzten 100 Jahren natürlichen Ursprungs sein. Bei der Erklärung der natürlichen Komponente bleiben die Autoren jedoch vage: interne Klimaschwankungen bzw Rauschen. Das lässt sich in den Klimamodellen natürlich eher schlecht einbauen, insofern sind alle Prognosen entsprechend ungenau. Das schreiben die Autoren auch auf Seite 47 des Berichts:
Although society can in principle influence global emissions, model uncertainty and in particular internal unforced variability will remain substantial, calling for adaptation measures that are robust under a wide range of outcomes
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Siehe auch unsere Analyse eines Schweizer Klimaberichts von 2016: „Brennpunkt Klima Schweiz: Pleiten, Pech und Pannen„