NOAA in Not: Erwärmungspause der letzten 15 Jahre lässt sich nicht so einfach wegtricksen

Der Blick auf die harten Daten lässt eigentlich keinen Spielraum für Interpretationen: Die Erderwärmung ist seit 17 Jahren ins Stocken geraten (Abbildung 1). Angesehene deutsche Forschungsorganisationen haben diesen Sachverhalt bestätigt (siehe: „Max Planck Gesellschaft: “Die Temperaturen stagnieren ungefähr seit 1998, wenn auch auf hohem Niveau”„).

Abbildung 1: Temperaturentwicklung der letzten 55 Jahre an der Erdoberfläche. Daten: HadCRUT, Graphik: Woodfortrees.

 

Eine peinliche Angelegenheit: Keines der hochgelobten Klimamodelle hatte die Pause kommen sehen. Zwischenzeitlich hatte man bereits 63 Hilfshypothesen ersonnen, wie es zu dieser unverhofften Erwärmungspause kommen konnte. Es wundert daher nicht, dass interessierte Kreise die Blamage möglichst schnell mit der Brechstange aus der Welt schaffen würden. Dabei ist offenbar jedes Mittel recht. Was in der Finanzwelt und in demokratischen Wahlen undenkbar wäre, scheint in den politisierten Klimawissenschaften des 21. Jahrhunderts ein adäquates Verfahren zu sein: Die Veränderung der Originaldaten!

Anfang Juni 2015 wurde ein solcher Versuch der Geschichtsumschreibung in der Süddeutschen Zeitung von Christopher Schrader sogar noch groß gefeiert:

Klimaerwärmung Pause? Welche Pause?
Die Temperaturstatistik der vergangenen Jahre zeigte eine vermeintlich langsamere Klima-Erwärmung. Jetzt haben die Wissenschaftler ihre Daten korrigiert.
Puff – so schnell kann sich eine Debatte in Luft auflösen. Seit Jahren kreist ein wesentlicher Teil der Klimaforschung um die Frage, ob und wenn ja warum sich die Erde seit 17 Jahren nicht so schnell aufheize wie erwartet. Und jetzt erklärt eine für diese Diskussion zentrale Arbeitsgruppe, eigentlich könne von einer gebremsten Erwärmung gar keine Rede sein.“Unsere Ergebnisse bestätigen nicht die Auffassung, es habe eine ,Verlangsamung‘ im Anstieg der globalen Oberflächentemperaturen gegeben“, fasst das Forscherteam um Thomas Karl von der amerikanischen Wetterbehörde Noaa seine Analyse etwas gestelzt zusammen (Science, online).

Schrader verwendet für die Datenveränderung das aufhübschende Wort „korrigiert“. Würde ein börsennotiertes Unternehmen seinen Aktienkurs nachträglich „korrigieren“ um einen gewünschten Trend herzustellen, wäre der Aufschrei groß. Nicht so im Bereich der Klimaforschung. Es ist schon bezeichnend, dass sich Schrader einen regelrechten Seufzer der Erleichterung nicht verkneifen kann: „Puff – so schnell kann sich eine Debatte in Luft auflösen.“ Ja, schön wär’s. Damit wäre ein Riesenproblem verschwunden. Aber einfach wegseufzen lässt sich der Hiatus dann leider doch nicht. Am Ende der Nacht, wenn die süßen Träume vorbei sind, wartet die graue Realität: Die Erwärmungspause ist immer noch da.

Erfunden wurde die neueste Aktion von einer Forschergruppe der US-amerikanischen National Oceanographic and Atmospheric Administration (NOAA). Leitautor der am 4. Juni 2015 in Science erschienenen Studie ist Thomas Karl, seines Zeichens Direktor des NOAA-eigenen National Climate Data Centers (NCDC). Karl ist eingefleischter Anhänger der IPCC-Linie, was er öffentlich unumwunden einräumt. Wollten er und seine Coautoren dem von ihm verehrten IPCC mit der Publikationen vielleicht einen fragwürdigen Freundschaftsdienst erweisen?

Schrader beschreibt in seinem SZ-Artikel die Argumentationsweise der NOAA-Truppe:

Auch die Noaa-Daten, berichten Karl und seine Kollegen, hatten eine gebremste Erwärmung gezeigt. Doch die Forscher vermuteten Verzerrungen in den Messungen. Die Zahl der Wetterstation an Land ist besonders in jüngsten Jahren deutlich gewachsen, viele alte wurden verlegt oder umgebaut. Auf See hat sich die Methode, Temperaturen zu bestimmen – an der Wasseroberfläche statt in der Luft -, mehrmals geändert. Das Wasser wurde erst per Eimer an Bord geholt, dann am Einlass für Kühlwasser abgezweigt. Inzwischen registrieren automatische Bojen die Gradzahlen. Das führte zu systematischen Abweichungen, die beseitigt werden mussten. Das Team um Thomas Karl hat darum Korrekturformeln entwickelt. Kritiker werden den Noaa-Forschern wohl vorwerfen, das Problem einfach wegzudefinieren, aber solche Eingriffe sind internationaler Standard und notwendige Routine: Die komplexe Berechnung eines Mittelwerts liefert sonst kein realistisches Ergebnis.

Verzerrungen und ‚Korrekturformeln‘: Karl und Kollegen fanden das Temperaturplateau nicht realistisch genug und wurden daraufhin in kreativer Weise tätig. In der Tat, keine sehr überzeugende Vorgehensweise, wie Schrader schon richtig ahnt. Verdächtig: Korrekturmaßnahmen wurden immer nur dann durchgeführt, wenn der Trend unbequem war. Daher sah man 1977-1998 keinen Grund zum Einschreiten. In dieser Phase stieg die Temperatur brav an, so wie man es gerne wollte.

Problem gelöst? Schrader ist schnell von den windigen Rechenoperationen überzeugt:

Mit ihrem neuen Verfahren kamen die Forscher auf einen mehr als doppelt so hohen Trend für die Jahre 1998 bis 2012 wie zuvor: Statt 0,039 nun 0,086 Grad pro Jahrzehnt. Die Zahl hing zudem stark von Anfang und Endpunkt ab. Verlängert man die Daten bis ins Rekordjahr 2014, ergibt sich eine Erwärmung vom 0,106 Grad pro Jahrzehnt. Und lässt man das Rekordjahr 1998 aus, zeigen die Jahre 2000 bis 2014 einen Trend von 0,116 Grad pro Jahrzehnt. Das entspricht praktisch der IPCC-Erwartung von 0,12 Grad pro Jahrzehnt.

Falsch: Die IPCC-Erwartung war 0,2°C pro Jahrzehnt, das Doppelte von Schraders Wert. Das ist unschön. In Wahrheit ist der Wert nahe Null, wenn man die sauberen Originaldaten nimmt. Aber die sind ja angeblich nicht „realistisch“ genug.

Ein wahrer Festtag für alle Fans des Weltklimarats. Zu dessen Freundeskreis gehört bekanntlich auch Michael Odenwald vom Focus. Er titelte forsch:

Fehler der Klimaforscher: Von wegen Klimawandel-Pause: Die Erde heizt sich ungebremst weiter auf

Die Klimaforscher haben einen Fehler gemacht, eine Behauptung die noch vor kurzem die Exkommunikation aus dem Klimaalarmzirkel mit sich gebracht hätte. Aber da man sich auf der ‚richtigen‘ Seite geirrt hatte und alles noch viel schlimmer ist, darf man das schon mal behaupten. Ein schöner Einblick in die Welt der Klimarhetorik.

An welchen Stellen haben Karl und Kollegen den Datensatz nun konkret verändert? Spiegel Online fasst zusammen:

Sie haben Temperaturdaten seit 1998 korrigiert, weil sie entdeckt hatten, dass die Daten teils auf falschen Annahmen basierten: Besonders die Veränderung der Ozeantemperaturen ist schwierig zu bestimmen, weil die Messmethoden variierten. Lange wurde von Schiffen aus per Holzeimer das Wasser gemessen, dann vermehrt in Plastikgefäßen, heute meist automatisch am Rumpf – die Daten waren der neuen Studie zufolge aber teils falsch bewertet worden. Jüngst hatten Forscher zum Beispiel entdeckt, dass länger mit Holzeimer gemessen wurde als angenommen. Zudem hätten Bojen unter der Meeresoberfläche zu kaltes Wasser vorgetäuscht. Auch Messungen abgelegener Regionen an Land hätten in jüngster Zeit korrigiert werden müssen, berichten Karl und seine Kollegen.

Den meisten Presseberichten zum Science-Paper ist gemein, dass sie keinerlei Zweifel an der Richtigkeit des spektakulären Funds ausdrücken. Das Fazit stärkt die dramatische Sichtweise der IPCC-Seite, also muss es richtig sein. Im Spiegel kommen jedoch auch kritische Stimmen zu Wort:

„Wir sehen hier den üblichen Selbstkorrekturprozess der Wissenschaft“, meint Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie. Die Aussage, die Pause der Erwärmung verschwinde, erscheine ihm jedoch „etwas übertrieben“. Weiterhin sei der globale Temperaturanstieg über die letzten Jahre geringer als zuvor. Man müsse nach wie vor von einer Unterbrechung des Erwärmungstrends – einem Hiatus – sprechen, meint auch Piers Forster, Klimadatenexperte an der University of Leeds in Großbritannien. Andere ebenso gute Datensätze, auf denen etwa das Resümee des Uno-Klimarats basierte, zeigten weiterhin eine nur schwache Erwärmung seit der Jahrhundertwende. „Die neuen Berechnungen werden also nicht das letzte Wort sein.“ Für die Computersimulationen des Klimas bedeute die neue Studie keinen Freispruch, sagt Eduardo Zorita vom GKSS. Sie zeigten nach wie vor eine zu starke Erwärmung für die vergangenen Jahre. Die Modelle gehörten weiterhin auf den Prüfstand.

Volker Mrasek spielte im Deutschlandfunk fair und zitiert einen Kritiker vom UK Met Office:

Doch das stößt auf Widerspruch. Zum Beispiel bei Colin Morice. Der Ozeanograf arbeitet im Klimaforschungszentrum des britischen Wetterdienstes in Exeter. Und hat dort den gleichen Job wie die Autoren der neuen Studie: Morice überprüft Klimadaten auf ihre Verlässlichkeit. „Die Autoren zeigen zwar, dass die Erwärmung zuletzt stärker war als nach den alten Daten. Doch dadurch verschwindet die Pause nicht gänzlich. Trotz dieser Korrekturen bleibt es dabei: In den letzten 15 Jahren hat sich die Erde nicht so stark erwärmt, wie wir es eigentlich erwartet hätten. Angesichts der Energiemengen, die das Klimasystem in dieser Zeit aufgenommen hat.“

Bedenken am Karl-Paper äußerte auch Ulli Kulke in seinem Donner + Doria-Blog:

Der vermeintliche Coup der NOAA wirft eine Reihe von Fragen auf. Er macht zum einen deutlich, wie weit entfernt die eigentlichen, ursprünglichen Messdaten von ihrer Interpretation in den Zeitreihen des Klimawandels sind. Die Temperaturen werden von den jeweiligen Instituten vielfach bearbeitet, gewichtet, angepasst, geglättet bevor sie daraus „ihren“ globalen Durchschnitt ableiten. Für Außenstehende ist dies nicht ohne weiteres nachzuvollziehen, und die NOAA scheint auch keinen Wert darauf zu legen, dass dies anders würde. Als vor ein paar Monaten externe Wissenschaftler die Rohdaten der NOAA einsehen wollten, um die Bearbeitung nachzuvollziehen, wurde ihnen ein prohibitiver Preis von einer Viertelmillion Dollar für die Überlassung genannt, ohne dass diese Höhe nachvollziehbar gerechtfertigt wurde. Der Fall erinnert daran, dass in Emails angesehener Klimaforscher untereinander, die im Jahr 2009 im Zuge des „Climategate“-Skandals durch Hacker veröffentlicht wurden, sich einige von ihnen damit brüsteten, ihre Daten auf keinen Fall an Kritiker herauszugeben. Vor dem Hintergrund, dass es sich um öffentlich finanzierte Arbeiten handelt, ein zweifelhaftes Verhalten.

Die Korrektur in den NOAA-Daten zeigt auch: Die Temperaturreihen sind insgesamt mit Vorsicht zu genießen, und je öfter sie rückwirkend korrigiert werden, desto beliebiger dürften sie erscheinen. Mal eben durch Uminterpretation der Messdaten von Erwärmungspause zu kompletter Fortsetzung des vorherigen Temperaturanstiegs zu gelangen, gibt zu denken. Ganz zu schweigen von den Computermodellen. Was heute stimmt, kann morgen schon falsch sein, und umgekehrt. So war es auch bei den globalen Mess-Reihen des englischen Hadley-Centers. Sie wurden im Jahr 2012 völlig neu aufgestellt. Mit einem bemerkenswerten Ergebnis: Das Jahr 1998, das bis dahin als das weltweit heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen galt, wurde 14 Jahre später rückwirkend heruntergestuft, so deutlich, dass spätere warme Jahre aus der Zwischenzeit plötzlich zu Spitzenjahren aufstiegen und die Temperaturreihen seither nicht mehr wie zuvor abfielen. Statistisch fällt bei bestimmten Instituten bislang auf, dass die Anpassungen, die Fehlerbeseitigungen, stets in eine Richtung vorgenommen wurden: hin zu noch dramatischeren Szenarien. Entwarnungen ergaben sich bei Korrekturen in keinem Fall.

Keiner der Zeitungsartikel geht auf den Elefanten im Raum ein: Die Satellitendaten zeigen nämlich ebenfalls keine Erwärmung (Abbildung 2). Da helfen dann auch keine Holzeimer und Bojen mehr. Bei den Satellitendaten gibt es vergleichsweise wenig Korrekturpotential.

Abbildung 2: Temperaturentwicklung der letzten 55 Jahre auf Basis von Satellitendaten (RSS), Graphik: Woodfortrees.

 

Auch Lubos Motl hat große Bedenken, das bei der „Korrektur“ nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Er findet Wasseransaugestutzen von Schiffen generell keinen guten Ort, um Temperaturen verlässlich zu bestimmen. Noch schlimmer ist es, korrigierte Trends dieser Stutzen dann auch einfach auf gut funktionierende Bojen-Messsysteme zu übertragen. Das sieht auch die bekannte Klimaforscherin Judith Curry so. Auf Fox News wird sie zitiert:

“The new NOAA dataset disagrees with a UK dataset, which is generally regarded as the gold standard for global sea surface temperature datasets,” she said. “The new dataset also disagrees with ARGO buoys and satellite analyses.”

Eine Gruppe um Richard Lindzen erklärt die Hintergründe:

[…] the authors’ treatment of buoy sea-surface temperature (SST) data was guaranteed to create a warming trend. The data were adjusted upward by 0.12°C to make them “homogeneous” with the longer-running temperature records taken from engine intake channels in marine vessels. As has been acknowledged by numerous scientists, the engine intake data are clearly contaminated by heat conduction from the structure, and as such, never intended for scientific use. On the other hand, environmental monitoring is the specific purpose of the buoys. Adjusting good data upward to match bad data seems questionable, and the fact that the buoy network becomes increasingly dense in the last two decades means that this adjustment must put a warming trend in the data.

Eine australische Gruppe von Klimarealisten hat nun angesichts der Wildwuchs-Korrekturen die Reißleine gezogen. Ab sofort werde man Leugnern der Erwärmungspause im Blog keine Bühne mehr bieten, erklärten die Skeptiker. Hier im Blog werden wir natürlich weiter über alles berichten, im Sinne eines fruchtbaren Austauschs zwischen den verschiedenen Meinungslagern.

 

Siehe auch ausführliche Analyse von Ross McKitrick.