Klima-Fehlalarm in Stuttgart: SWR übersieht städtischen Wärmeinseleffekt

Am 24. Juni 2015 konnte man bei der BBC eine schöne Stilblüte zur Klimawandel-Auseinandersetzung lesen. In den Niederlanden hatten 900 Unterstützer der Nachhaltigkeits-Stiftung Urgenda die niederländische Regierung verklagt. Sie forderten, die Treibhausgasemissionen des Landes bis 2020 um 25% zu reduzieren. Die Regierung sieht aber nur 17% durchführbar. Das Gericht gab den Aktivisten Recht und sprach die niederländische Staatsführung schuldig.

Muss die Regierung jetzt ins Gefängnis? Vorerst nicht, denn die Regierung plant in die Berufung zu gehen, um das Urteil anzufechten. Die Politiker sind höchst ärgerlich, dass sich ein Gericht in rein politische Prozesse einmischt, heißt es. Im Wissenschaftsblatt Nature weist Qurin Schiermeier auf ähnliche Prozesse in anderen Ländern hin, darunter Belgien und USA. Wird es auch in Deutschland jetzt Nachahmer geben? Auch Susanne Schwarz vom Klimaretter denkt offenbar in diese Richtung:

„Der Beginn einer Welle von Klimaprozessen“
Jasper Teulings von Greenpeace International sprach von einem wegweisenden Urteil. „Das wird die gesamte Debatte verändern“, sagte er dem britischen Sender BBC. Ähnliche Fälle sind in Belgien und auf den Philippinen anhängig, auch in Norwegen ist eine Klage geplant. „Wir sehen den Beginn einer Welle von Klimaprozessen“, so Teulings. Unter anderem haben sich 10.000 Belgier der Bewegung Climate Case angeschlossen, die im April einen ähnlichen Prozess wie im Nachbarland angestrengt hat.

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Das SWR-Fernsehen machte sich am 24. Juni 2015 große Sorgen um den angeblich außergewöhnlich raschen Klimawandel in Stuttgart:

Klimawandel in Stuttgart: Schon jetzt fast zwei Grad wärmer
Die Region Stuttgart gehört heute bereits zu den besonders vom Klimawandel betroffenen Gebieten. Da die Erderwärmung wohl kaum aufzuhalten ist, geht es jetzt um die richtige Anpassung. […] Weltweit gilt eine Erderwärmung um maximal zwei Grad als gerade noch beherrschbar. Auf ein Einhalten dieses Wertes haben sich kürzlich die mächtigsten Industrienationen auf ihrem G7-Gipel im bayerischen Schloss Elmau verständigt. In Stuttgart-Hohenheim ist jetzt schon die Durchschnittstemperatur bereits um 1,8 Grad gestiegen, sagt Ulrich Reuter, Stadtklimatologe in Stuttgart.

Dazu wird im Beitrag dann noch diese Temperaturkurve der Messstelle Stuttgart-Hohenheim gezeigt:

Abbildung: Mittlere Jahrestemperaturen in Stuttgart-Hohenheim von 1876 bis 2014 (Quelle: SWR).

 

Wie auch in vielen anderen Datensätzen ist schön das Temperaturplateau seit ca. 1998 zu erkennen. Allein der Wert für 2014 schießt durch die Decke. Weshalb könnte es nun in Stuttgart wärmer sein als anderswo? Ist die CO2-Konzentration dort vielleicht höher? Ein wichtiges Stichwort sucht man im schlampig recherchierten SWR-Artikel vergeblich: Den Städtischen Wärmeinseleffekt. Das verwundert, denn laut stadtklima-stuttgart.de spielt der Wärmeinsel-Inseleffekt eine immer stärker werdende Bedeutung für das Stadtklima:

Die städtische Wärmeinsel in Stuttgart
Dem Wärmeinseleffekt in der Stadt Stuttgart wird durch die Arbeiten der Abteilung Stadtklimatologie im städtischen Amt für Umweltschutz schon seit Jahrzehnten nachgegangen. Die Abteilung Stadtklimatologie initiierte seit den 1980er Jahren zahlreiche Studien um die stadtklimatologische Situation in Stuttgart zu charakterisieren zu erklären und um Empfehlungen für die Stadtplanung mit Hinblick auf eine Verbesserung der stadtklimatologischen Gegebenheiten zu entwickeln. […] Den Erfolg der Bemühungen zeigen aktuelle Studien (Jahr 2013) bei denen die Intensität des Wärmeinseleffektes im stadtweiten Jahresmittel mit ca. 2°C angegeben wird, was im Vergleich zu anderen Städten relativ gering ist. Die Studien zeigen aber auch lokal während sommerlichen Schönwetterperioden Überwärmungen von deutlich mehr als 5°C. Im Hinblick auf den zu erwartenden Klimawandel aber auch auf die zu erwartende Entwicklung der Stadt Stuttgart gewinnt der Wärmeinseleffekt in Zukunft immer mehr an Bedeutung, so dass auch die Bemühungen, die stadtklimatologische Situation weiter zu verbessern, intensiviert werden müssen.

Der SWR beklagt „Stuttgart gehört heute bereits zu den besonders vom Klimawandel betroffenen Gebieten“, versäumt es dann aber, die Erklärung mitzuliefern, nämlich den städtischen Wärmeinseleffekt. Dieser macht im stadtweiten Jahresmittel ca. 2°C aus, was im Vergleich zu anderen Städten relativ gering ist. Plötzlich wird aus einer klimatisch schlimm gebeutelten Metropole eine ganze normale Stadt. Wird der aufgebauschte Klimaalarm vielleicht benötigt, um die Bürger der Stadt auf die geplanten „konkreten Maßnahmen“ gedanklich einzustimmen? Dabei scheint dann auch wissenschaftliches Foul-Spiel ein akzeptables Mittel zu sein…

 

Siehe auch unsere Beiträge: "Großer städtischer Wärmeinseleffekt – kleine Wirkung? Wir fragen beim Deutschen Wetterdienst nach" und "Städtischer Wärmeinseleffekt: Blick nach Europa".