Das Deutschlandradio Kultur brachte im Juli 2013 einen längeren Beitrag mit dem Titel „Sylt kämpft gegen das Verschwinden – Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Nordseeinsel“. Gleich der Titel gibt Anlass zur Verwunderung. Mit dem Klimawandel wird offensichtlich auf die Klimaerwärmung von knapp einem Grad seit Ende der letzten Eiszeit angespielt. Aber Klimawandel hat es immer gegeben. Seit Ende der letzten großen Eiszeit, vor 10.000 Jahren, ist der Meeresspiegel auf ganz natürliche Weise um 150m angestiegen und hat die Nordsee großflächig geflutet. Anhöhen wie der Kern von Sylt wurden im Zuge dieser sogenannten „Transgression“ zu Inseln. Die friesische Inselwelt war auch in vorindustrieller Zeit steten Veränderungen ausgesetzt. Die Schleswig Holsteinische Küstenschutzbehörde bringt hierzu einige interessante Fakten auf ihrer gut bebilderten Webseite:
Aufgrund geologischer Abschätzungen ist die Westküste der Insel in über 7000 Jahren um fast 13 km in östliche Richtung verschoben worden, d.h. um rd. 1,8 m/Jahr. Während dieser Zeit haben sich im Norden und Süden des Inselkernes Nehrungshaken gebildet, sodass die Länge der Küste auf ca. 40 km angewachsen ist.
Der Autor des Deutschlandradio-Beitrags, Dietrich Mohaupt, geht auf diese natürliche Entwicklung kaum ein und malt stattdessen das Bild einer menschengemachten Klimakatastrophe an die Wand, welche letztendlich die geliebte Insel Sylt vernichten wird. Mohaupt droht:
Mit dem Urlaubsvergnügen auf Sylt könnte es in ein paar Jahrzehnten vorbei sein. Heftige Stürme und Orkane lassen die Insel von Jahr zu Jahr etwas kleiner werden. […] Die Nordsee vor der Küste Nordfrieslands: Gewaltige Brecher rollen auf ein paar kleine Inseln und schmale Sandstreifen zu – mehr ist von der Insel Sylt nicht geblieben. Dieses Szenario ist als Modell im Erlebniszentrum Naturgewalten in List an der Sylter Nordspitze zu sehen. Die ganze Insel und das umliegende Wattenmeer reduziert auf die Größe eines übersichtlichen Schaukastens – aus einem Lautsprecher ertönt Wellenrauschen, so oder ähnlich klingt heute die Brandung an der 34 Kilometer langen Westküste von Sylt. Das Modell soll den Besuchern zeigen, was der Klimawandel – und der damit verbundene langfristige Anstieg des Meeresspiegels – für die Insel bedeuten könnte, erläutert der Geschäftsführer der Ausstellung, Matthias Strasser: „Sylt hat ja sehr unterschiedliche Bereiche: Sehr flache Bereiche, höher gelegene Bereiche, Geestkerne, Dünen, und wir haben hier bei dem Modell drei verschiedene Stufen des Meeresspiegelanstiegs simuliert: ein Meter – und das ist ja das Szenario, was tatsächlich realistisch ist bis zum Ende des Jahrhunderts – aber auch drei Meter und fünf Meter, um dann mal am ganz konkreten Beispiel Sylt zu zeigen, wie viel und welche Bereiche von der Insel würden in dem Fall dann tatsächlich permanent unter Wasser liegen.“
Es ist verständlich, dass Strasser für seine Ausstellung Werbung machen muss. Am besten geht dies mit spektakulären Katastrophenszenarien. Allerdings tut er dies mit unlauteren Mitteln. Sintflutszenarien von mehr als einem Meter bis 2100 sind von der Fachwelt mittlerweile komplett verworfen worden (siehe unseren Blogbeitrag „Europäisches Forschungskonsortium verwirft extreme Meeresspiegelprognosen„). Sogar das von Strasser favorisierte 1m-Szenario liegt deutlich über den heute angenommenen Meeresspiegelprognosen. Ein großes europäisches Forschungskonsortium kam kürzlich zu dem Schluss, dass im wahrscheinlichsten Szenario der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts zwischen 16,5 cm und 69 cm ansteigen wird. Was dort in Strassers Erlebniszentrum Naturgewalten in List gezeigt wird, ist daher eine grobe Irreführung der Öffentlichkeit. Dies überrascht nicht, denn das Erlebniszentrum ist eng mit dem Alfred-Wegener-Institut verbandelt, an dem auch der IPCC-Autor Peter Lemke tätig ist. Lemke hatte sich in der Vergangenheit mit ebensolchen haltlosen Katastrophenszenarien hervorgetan. Mit seriöser Wissenschaft hat dies nichts mehr zu tun.
Das Deutschlandradio befragt in der Folge einen Geologen, wie er die Gefahr des Meeresspiegelanstiegs für Sylt einschätzt:
Intensiv befasst Ekkehard Klatt sich in seinem Buch „Sylt im Klimawandel“ mit der Geschichte der Landentwicklung an der nordfriesischen Küste. Die ist seit jeher eng mit dem Absinken und Ansteigen des Meeresspiegels verbunden. Etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts steigt der Meeresspiegel mal wieder an – ganz langsam, aber unaufhaltsam. Von zwei auf drei Millimeter pro Jahr hat dieser Anstieg sich in den letzten Jahrzehnten beschleunigt – wenn das so weitergeht, dann geht Sylt natürlich unter, meint Ekkehard Klatt. Ein bisschen Zeit wird bis dahin aber noch vergehen – schon vor einigen Jahren hatte der Geologe mal vorsichtig hochgerechnet und so etwas wie eine Prognose für die Zukunft der Nordseeinsel gewagt. „Ich habe von 2000 bis 3000 Jahren gesprochen, wo noch etwas oberhalb des Meeresspiegels auf einer Landkarte mit dem Wort Sylt letztendlich eingezeichnet werden könnte. Das bedeutet: der Meeresspiegelanstieg von 50 bis 60 Zentimeter – das ist der Klimazuschlag, der auf die Deiche drauf gebaut wird – 50 Zentimeter bis zum Jahr 2100, sage ich jetzt mal ganz platt, das ist es nicht, was Sylt bedroht – auf gar keinen Fall.“ So richtig bedrohlich wird es also für Sylt bis zum Ende des Jahrhunderts nicht – auch bei einem prognostizierten Anstieg des Meeresspiegels um gut einen halben Meter. Das ist ein ganz wesentliches Fazit, das Ekkehard Klatt in seinem Buch über „Sylt im Klimawandel“ zieht.
Plötzlich ist nicht mehr von einem Meter sondern nur noch von einem halben Meter Meeresspiegelanstieg die Rede. Auch der Sylter Untergang steht plötzlich nicht mehr unmittelbar bevor, sondern hat noch zwei bis dreitausend Jahre Zeit. Ekkehard Klatt ist halt Geologe und kennt den nacheiszeitlichen geologischen Kontext ziemlich genau. Im Nachhinein wird sich der Deutschlandradio-Autor geärgert haben, dass er Klatt in seinem Beitrag zu Wort kommen ließ. Klatts realistische Einschätzung bringt die von Mohaupt initiierte Story der menschengemachten Klimakatastrophe nicht richtig voran.
Auch Mojib Latif spielt nicht richtig mit. Er wird gefragt, ob wenigstens die Stürme in der Region häufiger werden und damit das Rote Kliff der Insel Sylt schneller als zuvor zertrümmern könnten. Latif muss jedoch Mohaupt enttäuschen und hält sich an die überdeutlichen Fakten. Im Deutschlandradiobeitrag lesen wir:
Stürme und Orkane – auch für den Klimaforscher Mojib Latif vom Kieler Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung sind sie, neben dem Anstieg des Meeresspiegels, die entscheidenden Faktoren des Klimawandels. Konkrete Aussagen zu Häufigkeit und Intensität sind aber nicht leicht zu treffen, betont er. „Das was für Sylt, für die Nordseeküste insbesondere wichtig ist, sind diese großen Stürme, die Orkantiefs, die von Westen heranziehen. Wenn wir uns diese ansehen, dann hat es immer starke Schwankungen gegeben von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, aber keinen Trend und auch die Modelle sagen zumindest bis 2050 keinen nennenswerten Trend vorher. Jenseits von 2050 könnten tatsächlich die Stürme, diese Orkantiefs, auch zunehmen.“ Kein klarer Trend – mit dieser Aussage steht Mojib Latif nicht allein – das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie zum Beispiel hat für die letzten 30 Jahre sogar einen leichten Rückgang bei Zahl und Intensität von Sturmfluten ermittelt. Derzeit also gibt es erst einmal keinen Anlass, sich über die allernächste Zukunft der Insel Sylt allzu große Sorgen zu machen, meint der Klimaforscher Mojib Latif.
Lesen und hören Sie den vollständigen Beitrag des Deutschlandradio Kultur zum Klimawandel auf Sylt und dem angedrohten Untergang der Insel.
Satellitenbild: TerraSAR-X / DLR / Lizenz: This image has been released under a free license by the Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).