Universität Gießen findet eklatante Unterschiede zwischen realer und simulierter Temperaturentwicklung während der letzten 2000 Jahre in Europa: Klimamodelle müssen auf den Prüfstand

Ende Januar 2016 informierte die Justus-Liebig Universität Gießen per Pressemitteilung über neue Ergebnisse aus der Paläoklimatologie. Dabei springt vor allem der schrille Titel ins Auge:

Europäische Sommer so heiß wie seit über 2000 Jahren nicht
Über die vergangenen Jahrzehnte haben sich die Sommer im größten Teil Europas immer stärker erwärmt, begleitet von extremen Hitzewellen wie in 2013, 2010 und 2015. Neueste Forschungen unter der Leitung des Gießener Geographen und Klimaforschers Prof. Dr. Jürg Luterbacher setzen die aktuelle Erwärmung  in einen historischen Kontext, der eine Spanne von 2100 Jahren umfasst. Mit Hilfe von Baumring-Daten und historisch dokumentierten Hinweisen konnte eine neue Rekonstruktion der europäischen Sommertemperaturen erstellt werden. Die Arbeit von 45 Wissenschaftlern aus 13 Ländern wurde jetzt im Forschungsmagazin „Environmental Research Letters“ veröffentlicht.

Zur Römerzeit bis ins dritte Jahrhundert hinein waren die Sommer warm, vom vierten bis siebten Jahrhundert herrschten etwas  kühleren Wetterbedingungen. Nach einem eher warmen Mittelalter lagen die mittleren Sommertemperaturen  vom 14. bis 19. Jahrhundert wieder tiefer.  Die anschließende ausgeprägte Erwärmung im frühen 20. Jahrhundert sowie in den letzten drei Jahrzehnten lässt sich aus den Baumring-Daten und den historischen Belegen ableiten, auf die die neue Rekonstruktion aufbaut.

Die Belege deuten drauf hin, dass die natürliche Veränderung der Sommertemperaturen größer ist als bislang angenommen, so dass Klimamodelle das volle Ausmaß von zukünftig eintretenden Extremen, einschließlich Hitzewellen, unterschätzen könnten. Die Schwankungen des Klimas in der Vergangenheit hängen mit starken tropischen Vulkanausbrüchen und Veränderungen in der Sonnenenergie zusammen. Die nun neu gewonnene Erkenntnis, dass die Temperaturen der letzten 30 Jahre außerhalb des Umfangs dieser natürlichen Veränderungen liegen, unterstreicht die Schlussfolgerung des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), dass die gegenwärtige Erwärmung auf vom Menschen herbeigeführten Veränderungen basiert.

„Wir haben jetzt eine detaillierte Vorstellung davon, wie sich die europäischen Sommertemperaturen in über 2100 Jahren verändert haben und können diese Informationen nutzen, um Klimamodelle zu testen, die die Auswirkungen der globalen Erwärmung vorhersagen sollen“, erklärt JLU-Professor Jürg Luterbacher.

Zu den Autoren der Studie gehören neben Luterbacher u.a. auch Fredrik Ljungqvist, Ulf Büntgen und Jan Esper, die sich in der Vergangenheit sehr um eine seriösere Richtung in den Klimawisenschaften verdient gemacht haben. Daher verwundert der reißerische Titel der Pressemitteilung und die krampfhaft in den Text eingesprenkelten Klimaalarm-Floskeln schon. War das Buckeln vor dem IPCC und der verkrampfte Hinweis auf die angeblich (vollständig) vom Menschen herbeigeführte aktuelle Erwärmung wirklich notwendig? Waren diese Stil-Elemente quasi als wissenschaftliche Lebensversicherung notwendig, um überhaupt mit dieser Studie in die Öffentlichkeit gehen zu können, ohne von IPCC-Hardlinern abgestraft zu werden?

Wir begeben uns auf Spurensuche. Was ist dran am Hitzewellenalarm? Zunächst fällt auf, dass der Titel der Publikation im Gegensatz zur Pressemitteilung auffällig neutral gewählt wurde:

European summer temperatures since Roman times

An dieser Stelle sollten wir uns die Hauptabbildung aus Pressemitteilung näher anschauen. Interessanterweise taucht die Abbildung in der Arbeit selber gar nicht auf, weder im Haupttext, noch im Datensupplement. Zu erkennen ist die in der Pressemeldung angeführte starke natürliche Variabilität der Temperaturen. Die bekannte Abfolge der Römischen Wärmeperiode, Kälteperiode der Völkerwanderungszeit, Mittelalterlichen Wärmeperiode, Kleinen Eiszeit und Modernen Wärmeperiode ist gut zu erkennen. Aus irgendeinem Grund bleiben die Begriffe jedoch in der Pressemitteilung unerwähnt.

Auffällig ist weiterhin die überlagerte knallig-rote Linie, welche die Entwicklung der letzten Jahrzehnte besonders bedrohlich erscheinen läßt. Eine fragwürdige Suggestivmethode. Das Ende der blauen 30-Jahres-Mittelwertlinie ist vom rot so stark überstrahlt, dass man es gar nicht richtig erkennt. Erst wenn man ganz genau hinschaut, wird deutlich, dass die blaue Linie lediglich das Niveau der Mittelalterlichen Wärmeperiode um 1200 n.Chr. und der Römischen Wärmephase um 50 n. Chr. erreicht.

 

 Grafik: CC BY-SA 4.0 J.P. Werner/EuroMed2k Members.

 

Und genau dies steht dann wenig überraschend auch in der Kurzfassung der Arbeit:

Our reconstructions compare well with independent instrumental and proxy-based temperature estimates, but suggest a larger amplitude in summer temperature variability than previously reported. Both CPS and BHM reconstructions indicate that the mean 20th century European summer temperature was not significantly different from some earlier centuries, including the 1st, 2nd, 8th and 10th centuries CE. The 1st century (in BHM also the 10th century) may even have been slightly warmer than the 20th century, but the difference is not statistically significant. Comparing each 50 yr period with the 1951–2000 period reveals a similar pattern.

In der Realität fand die Gruppe um Luterbacher also das genaue Gegenteil von dem was in ihrer eigenen Pressemitteilung behauptet wird. Die Temperaturen des 20. Jahrhundert unterscheiden sich nicht von den vorangegangenen Wärmephasen. Die Römische Wärmeperiode könnte sogar noch einen Tick wärmer gewesen sein, konzedieren Luterbacher und Kollegen.

Nun könnte man sagen, das 50-Jahres-Interval sei viel zu grob. Und in der Tat, 30-Jahresfenster sind sicher gängiger und genauer, sofern es die zeitliche Datenauflösung hergibt. Die blaue Linie in der Abbildung aus der Pressemitteilung (siehe oben) basiert auf solch einem laufenden 30-Jahresmittelwert. In der Kurzfassung der Arbeit gehen die Autoren auch auf diese Betrachtung ein:

Recent summers, however, have been unusually warm in the context of the last two millennia and there are no 30 yr periods in either reconstruction that exceed the mean average European summer temperature of the last 3 decades (1986–2015 CE).

Die Autoren fanden: Es gibt keine 30-Jahresperioden in den letzten zwei Jahrtausenden, die das Temperaturniveau der letzten drei Jahrzehnte überschreiten würde. Eine sehr vorsichtige Formulierung. Die kürzliche Erwärmung wäre „unusual“, also ungewöhnlich. Aber genauso ungewöhnlich war ja auch schon die Erwärmung der Mittelalterlichen und Römischen Wärmeperioden. Eines wird aus der Originalarbeit klar: Die aktuelle Entwicklung muss ohne Superlativ auskommen, der jedoch aus unerfindlichen Gründen in der Pressemitteilung mit Gewalt in der Überschrift behauptet wird:

Europäische Sommer so heiß wie seit über 2000 Jahren nicht

Somit führt sich auch der Disclaimer am Ende der Pressemitteilung selber ad absurdum:

Die nun neu gewonnene Erkenntnis, dass die Temperaturen der letzten 30 Jahre außerhalb des Umfangs dieser natürlichen Veränderungen liegen, unterstreicht die Schlussfolgerung des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), dass die gegenwärtige Erwärmung auf vom Menschen herbeigeführten Veränderungen basiert.

Was hat sich hier hinter den Kulissen abgespielt? Wer hat diese Verschärfungen in die Pressemitteilung eingefügt, die so gar nicht mit dem Originalpaper zusammenpassen wollen? Immerhin wird der große Einfluss der Sonnenaktivität in der Pressemeldung thematisiert:

Die Schwankungen des Klimas in der Vergangenheit hängen mit starken tropischen Vulkanausbrüchen und Veränderungen in der Sonnenenergie zusammen.

Die Vulkanausbrüche sind hier vermutlich wieder so eine Art Sicherheitsnetz gegen Kritik aus der rechten IPCC-Ecke. Die vulkanische Asche wird in den Klimamodellen dringend benötigt, um die natürlichen Kältephasen herabzukühlen. In Wahrheit ist es wohl eher die reduzierte Sonnenaktivität, die die Kälte auswirkt. Da die Klimawirkung von solaren Schwankungen in den Modellen jedoch arg beschränkt ist, bringt eine schwache Sonne in der Simulation jedoch nicht die notwendige Abkühlung, um die reale Entwicklung zu reproduzieren.

Hochinteressant hingegen sind die Aussagen der Forscher zu den Klimamodellen. Das Team um Jürg Luterbacher stellte einen Vergleich zwischen der von ihnen rekonstruierten realen Temperaturentwicklung und den Ergebnissen von Computersimulationen an. Dabei fanden sie, dass die Klimamodelle die festgestellten starken Temperaturunterschiede zwischen Mittelalterlicher Wärmeperiode und Kleiner Eiszeit nicht nachvollziehen können. Wieder einmal wird klar, dass die Klimamodelle viel zu schwach auf solare Aktivitätsschwankungen reagieren, der sogenannte Strahlungsantrieb in den IPCC-Tabellen offenbar viel zu gering angesetzt wurde. Vermutlich sehen Luterbacher und Kollegen dies ähnlich. Aus taktischen Gründen führen sie jedoch zwei weitere Erklärungsmöglichkeiten an, die jedoch wenig plausibel sind. In der Kurzfassung ihrer Arbeit schreiben sie:

For pan-European temperatures we find slightly better agreement between the reconstruction and the model simulations with high-end estimates for total solar irradiance. Temperature differences between the medieval period, the recent period and the Little Ice Age are larger in the reconstructions than the simulations. This may indicate inflated variability of the reconstructions, a lack of sensitivity and processes to changes in external forcing on the simulated European climate and/or an underestimation of internal variability on centennial and longer time scales.

Es ist löblich, dass die Autoren den Elefanten im Raum nun offen beschreiben und aktiv angehen: Die Klimamodelle müssen zunächst die Vergangenheit erfolgreich reproduzieren, bevor sie für Zukunftsmodellierungen eingesetzt werden können. Es führt kein Weg daran vorbei: Die Klimawirkung der Sonne muss in den Modellen drastisch angehoben werden, um Übereinstimmung zu erlangen. Der Strahlungsantrieb (radiative forcing) muss rauf. Die unbequeme Wahrheit: Dies bedeutet dann jedoch auch eine Reduktion in der Klimawirkung des CO2. Die CO2-Klimasensitivität sinkt entsprechend. Ein schwieriger jedoch überfälliger Schritt für den IPCC. Wir wünschen den Autoren des Papers viel Erfolg und gutes Durchhaltevermögen bei dieser wichtigen Arbeit. In der Pressemitteilung wird der nächste Schritt bereits angekündigt:

„Wir haben jetzt eine detaillierte Vorstellung davon, wie sich die europäischen Sommertemperaturen in über 2100 Jahren verändert haben und können diese Informationen nutzen, um Klimamodelle zu testen, die die Auswirkungen der globalen Erwärmung vorhersagen sollen“, erklärt JLU-Professor Jürg Luterbacher.

Kleines Schmankerl: Zwei der Coautoren der aktuellen Studie, Jan Esper und Ulf Büntgen, hatten 2014 bereits eine ähnliche Arbeit zu den Sommertemperaturen in Nordeuropa vorgelegt, die im Journal of Quaternary Science erschien. Darin fanden die Autoren die bekannten Wärme- und Kälteperioden der letzten 2000 Jahre, wobei das 20. Jahrhundert unerwartet kühl ausfiel. Insgesamt beschrieben Esper und Kollegen einen langfristigen Abkühlungstrend von 0,3°C pro Jahrtausend. Auch dieses Resultat will so gar nicht zur dramatisierten Darstellung der Universität Gießen aus dem Januar 2016 passen. Hier die Kurzfassung der Arbeit von 2014:

Northern European summer temperature variations over the Common Era from integrated tree-ring density records
Tree-ring chronologies of maximum latewood density are most suitable to reconstruct annually resolved summer temperature variations of the late Holocene. The two longest such chronologies have been developed in northern Europe stretching back to the 2nd century BC, and the 5th century AD. We show where similarities between the two chronologies exist, and combine portions of both into a new summer temperature reconstruction for the Common Era. To minimize the transfer of potential biases, we assess the contribution of the candidate reconstructions‘ measurements, and exclude data (i) from exceptionally young and old trees, and (ii) produced by different laboratory technologies. Our new composite reconstruction reveals warmer conditions during Roman, Medieval and recent times, separated by prolonged cooling during the Migration period and Little Ice Age. Twentieth century warmth, as indicated in one of the existing density records, is reduced in the new reconstruction, also affecting the overall, millennial-scale, cooling trend over the late Holocene (−0.30 °C per 1000 years). Due to the reduced biological memory, typical for tree-ring density measurements, the new reconstruction is most suitable for evaluating the rate and speed of abrupt summer cooling following large volcanic eruptions.

Schauen Sie sich die Temperaturkurve aus der Arbeit an. Eine beeindruckende natürliche Variabilität, die dem Klimaalarm keine Chance gibt.

 

Da stellt sich natürlich die Frage, wo der raketenhafte Temperaturanstieg der letzten Jahrzehnte im neuen Paper von Luterbacher et al. 2016 eigentlich herrührt, aus Nordeuropa offensichtlich nicht. Dazu schauen wir uns eine Übersichtskarte aus dem Paper an, das die verwendeten Datensätze zeigt:

 

Erstaunen: Wenn man Nordeuropa außen vor läßt, basiert die „europäische“ Temperaturentwicklung der letzten 2000 Jahre vor allem auf Daten aus einem recht eng begrenzten Gebiet in Südfrankreich und der Schweiz/Österreich. Baumringdaten aus Rumänien decken weniger als 1000 Jahre ab. Iberien, Großbritannien, Italien, Balkan, Griechenland, Deutschland scheinen Datenlücken zu sein.

Übrigens: Bereits 2013 gab die Uni Gießen zum Thema eine Pressemitteilung heraus, damals ohne klimaalarmistischen Titel. Siehe unseren Blogbeitrag „Neue Studie in Nature Geoscience: Temperaturen lagen zur Römerzeit mehrere Jahrhunderte lang auf dem heutigen Niveau„.

 

Fazit: Eine sehr wichtige, generell gute Studie, die in der Pressemitteilung der Universität jedoch leider klimaalarmistisch umgedeutet und IPCC-konform angeschärft wurde. Lassen Sie uns spekulieren: Hatte es die Unileitung vielleicht mit der Angst bekommen und die IPCC-Elemente nachträglich eingefordert? War die vorgebrachte Kritik an den Klimamodellen zu offensichtlich, so daß schnell noch einige versöhnliche Elemente gebraucht wurden? In der Hektik fiel es dann niemandem auf, dass der Einschub gar nicht zu den Schlussfolgerungen der Studie passte.