Die meisten von Ihnen werden die Hockey Stick Saga kennen. Der Amerikaner Michael Mann hatte in den späten 1990er Jahren in seiner Doktorarbeit die vorindustrielle Temperaturgeschichte mithilfe „geeigneter statistischer Verfahren“ sowie fehlerhafter Daten plattgerechnet, so dass die Erwärmung seit Ende der Kleinen Eiszeit ab 1850 als ein noch nie dagewesenes Ereignis dargestellt werden konnte (siehe „The Hockey Stick Illusion“ von Andrew Montford). Diese Hockey Stick Kurve gilt heute allgemein als widerlegt. Michael Manns Team selbst hat sie schließlich 2008 zähneknirschend korrigiert. Plötzlich waren die Mittelalterliche Wärmeperiode und die Kleine Eiszeit wieder da.
Trotzdem hängen gewisse IPCC-nahe Forscher noch immer den guten alten Hockey Stick-Zeiten nach. Gerne würden sie das Rad der Zeit zurückdrehen. Unter diesem Hintergrund muss man wohl auch die kürzliche Euphorie im IPCC-nahen Klimablog „Real Climate“ verstehen. Was war geschehen? Im Mai 2012 war im Journal of Climate eine neue Studie einer Forschergruppe um Joëlle Gergis von der Universität Melbourne erschienen, in der die Autoren die Temperaturgeschichte von Australien und Nachbarregionen für die vergangenen tausend Jahre rekonstruiert hatten (pdf des unformatierten Artikels hier).
Auf Real Climate brach daraufhin großer Jubel aus. Man wollte nämlich in genau dieser Temperaturrekonstruktion den verlorenen Sohn, den geliebten Hockey Stick wiedererkannt haben (Abbildung 1). Die Erwärmung der letzten 150 Jahre war endlich wieder etwas Besonderes und nicht nur Teil eines schnöden natürlichen Zyklus.
Schauen wir uns die neue Kurve einmal etwas genauer an:
Abbildung 1: Temperaturrekonstruktion der letzten tausend Jahre für Australien und Nachbarregionen (Fig. 4 aus Gergis et al. 2012). Die Temperaturen erreichen 1200-1400 während der Mittelalterlichen Wärmeperiode ein ähnlich hohes Niveau wie heute.
Von Hockey Stick kann offensichtlich gar keine Rede sein. Im Rahmen der Rekonstruktionsungenauigkeit ist festzustellen, dass die Temperaturen während der Mittelalterlichen Wärmeperiode zumindest zwischen 1200-1400 ein ähnlich hohes Niveau hatten wie heute. Die Phase 1238–1267 lag lediglich um ein Zehntel Grad unter dem modernen Vergleichsintervall von 1961-1990, wie die Autoren selber schrieben. Bei einer Rekonstruktionsunschärfe von plus/minus fast zwei Zehntel Grad ist zwischen den beiden Wärmeperioden kaum ein Unterschied zu erkennen. Interessant wäre auch ein Vergleich für die Zeit vor 1000 n. Chr., denn diese Phase wurde vom Gergis-Team nicht mehr untersucht. Auf der Nordhalbkugel wurde laut einer Studie von Fredrik Ljungqvist in dieser Zeit der Höhepunkt der Erwärmung erreicht (siehe zweite Abbildung hier). Auch die Kälte der Kleine Eiszeit ist in der neuen australischen Kurve gut zu erkennen (Abbildung 1).
Und hier einmal zum Vergleich der „echte“ Hockey Stick, der mittlerweile aus dem Verkehr gezogen wurde:
Abbildung 2: Ursprünglicher Hockey Stick von Michael Mann und Kollegen. Die Mittelalterliche Wärmeperiode ist kaum zu erkennen und liegt deutlich unter den heutigen Temperaturen. Auch die Kleine Eiszeit hat eine sehr magere Auslenkung. Abbildung aus Mann et al. (1999).
Nein, kein neuer Hockey Stick in Australien. Da hat sich wohl eher Wunschdenken bei Real Climate breitgemacht. Leider scheinen die Gedanken wohl auch bei den australischen Autoren etwas in Unordnung geraten zu sein. So interpretieren sie aus ihrer Kurve doch wirklich eine „ungewöhnliche Erwärmung im späten 20. Jahrhundert“, was sie dann auch gleich in den Titel ihrer Arbeit groß hineinschrieben. Das beeindruckte den Weltklimarat wiederum offensichtlich so sehr, dass das Paper bereits in der eingereichten Version seinen Weg in den gerade entstehenden 5. IPCC-Klimazustandsbericht (AR5) fand. Im Berichtsentwurf liest man dann von „ganz neuen Datenserien“, die in diese Rekonstruktion eingegangen sein sollen. Hockey-Stick-Jäger und Statistik-As Steve McIntyre konnte daraufhin (nach einem Tip von Jean S) nicht der Versuchung widerstehen, die Arbeit der Australier auf Herz und Nieren zu überprüfen. Und dabei fand er ganz unerwartete Dinge heraus (siehe sein Bericht auf Climate Audit).
Zum einen waren die großspurig angekündigten „neuen“ Datenserien gar nicht so neu wie im AR5-Entwurf selbst behauptet. Vielmehr wurden diese Daten bereits im Bericht vor 5 Jahren verwendet.
Zum anderen sind Joëlle Gergis und ihren Kollegen wohl kapitale Methodik- und Rechenfehler in der statistischen Auswertung unterlaufen, wie McIntyre zusammen mit Jean S zeigen konnten. McIntyre trat daraufhin in Email-Korrespondenz mit Gergis. Anstatt McIntyre für den wichtigen Hinweis zu danken, teilte ihm jedoch Gergis schließlich mit, keinen weiteren Email-Kontakt mehr mit McInytre zu wünschen. Auch weigerte sich Gergis, weitere Daten zu Überprüfungszwecken zur Verfügung stellen.
Eine fragwürdige Kommunikationsstrategie in dieser wissenschaftlichen Krisensituation. Schotten dicht und Augen zu. Auch Gergis persönliche Webseite scheint momentan offline zu sein. Zum Glück erinnert sich das Google Webarchiv noch daran… Andrew Montford berichtet zudem, dass Joelle Gergis offensichtlich aktives Mitglied der Umweltbewegung ist. In diesem Zusammenhang betrieb sie auch ein Blog, das jetzt aber plötzlich verschwand. Aber auch hier hilft uns das unvorstellbare Cyber-Gedächtnis des Internets. Eine Kopie des Blogs wurde nämlich in vorausschauender Weise vom Betreiber der australischen Webseite Australian Climate Madness, Simon, nach einem Lesertip von Baldrick auf webcitation.org abgelegt. Und hier werden wir fündig. In einem Blog-Artikel vom 30.11.2007 schreibt Gergis im vierten Absatz:
„Als Klimawissenschaftlerin bin ich voller Hoffnung, dass wir jetzt schließlich echten Fortschritt in Sachen Klimawandel sehen. Laut COSMOS wird Rudd einen Riesen-Applaus auf der UN-Klimakonferenz nächsten Monat auf Bali bekommen. Er wird dafür bejubelt werden, dass er das Kyoto-Protokoll ratifiziert hat, das international Abkommen das die Reduktion der Treibhausgase zum Ziel hat. […] Damit ist der US-Präsident George Bush der letzte der großen Staats-Chefs, der sich dem UN-Abkommen verweigert. Viele Leute glauben nun nach der Unterzeichnung Australiens, dass es nur eine Frage der Zeit sei, dass die USA gezwungen sein werden zu folgen. Es ist ein begeisternder Start für Australiens Einsatz für eine bessere Zukunft in der Welt.“
(Zur Erläuterung: Kevin Rudd war von 2007-2010 australischer Premierminister. Die erste Amtshandlung seiner Regierung war die Ratifizierung des von seinem Vorgänger abgelehnten Kyoto-Protokolls. Mit „COSMOS“ könnte ein australisches Wissenschaftsmagazin gemeint sein.)
Durch die Vermischung von Aktivismus und Wissenschaft hatte Joelle Gergis offensichtlich jede kritische Distanz zu den Ergebnissen ihrer Forschung verloren, was zu solchen Fehlern führt. Eine ergebnisoffene Wissenschaft ist mit dieser Einstellung unmöglich. Dies gilt bei eitem nicht nur für Gergis. Unbequeme Ergebnisse werden unterdrückt, Interpretationen werden stets in die eigene Richtung gebogen und Alternativen bleiben unerwähnt bzw. werden schnell beiseite gewischt. Aus der ideologischen Fixierung mag sich nun auch die Weigerung von Gergis erklären, zu den Fehlern zu stehen und einen fruchtbaren wissenschaftlichen Dialog mit der andersdenkenden Seite zu führen.
Zum Glück sprang nun ein anderer Co-Autor des australischen Papers in die Bresche und betrieb Schadensbegrenzung. David Karoly schrieb McIntyre eine Email, dankte für den Hinweis und bestätigte, dass es wohl bedeutende Fehler bei der Auswertung gegeben habe, denen das Team jetzt nachgeht. Die bereits veröffentlichte Studie zogen die Autoren vorläufig zurück. Auf der Webseite des Journal of Climate ist das Paper nicht mehr zu finden, stattdessen erhält man nun eine Fehlermeldung (Abbildung 3).
Abbildung 3: Fehlermeldung statt Paper. Die fehlerhafte australische Studie ist derzeit nicht mehr verfügbar.
Der Comeback-Versuch des Hockey Sticks ging kräftig in die Hose. Am meisten wird sich jetzt wohl der Weltklimarat ärgern, denn nun muss das bereits in die IPCC-Story integrierte Paper wohl wieder aus dem Entwurf entfernt werden. Aus einer Pressemitteilung der Universität Melbourne vom 17.5.2012 zum Paper wird klar, dass die Arbeit wohl speziell für den 5. Klimazustandsbericht geschrieben wurde. Ist die schwere Panne vielleicht ein Hinweis darauf, dass die Gutachter vieler Zeitschriften viel zu unkritisch mit IPCC-nahen Arbeiten umgehen? Wie konnten die Gutachter diese Fehler übersehen? Ähnlich schludrig wurde zum Beispiel auch im Fall der Arbeit von Notz & Marotzke (2012) gearbeitet (siehe unseren Blogartikel „Hamburger Max-Planck-Institut mit fragwürdiger Beweisführung zum arktischen Meereis„). Es ist absolut unverständlich wie solche Arbeiten den Review-Prozess überstehen können. Die Mißstände sind bereits auf den ersten Blick ganz offensichtlich.
Im Realclimate-Blog wird derweil eifrig diskutiert, wer den Fehler in der australischen Arbeit nun wirklich als erstes entdeckt hat. Den kleinen Triumph möchte man McIntyre natürlich nur ungern gönnen.
Siehe auch Berichte auf Bishop Hill, JoNova, WUWT, Andrew Bolt, notrickszone und k2p.
Mit herzlichem Dank an dh7fb für den Hinweis auf die Diskussion zu diesem Paper.