Alles oder nichts ist gut in Klimastan

Von Serten *

Bereits 2011 erschien ein Band zum Umgang und der Kommunikation von Unsicherheit und Unwägbarkeiten bei der Betrachtung des Klimawandels bei Springer Climate Change mit einem einleitenden Essay von Gary Yohe und Michael Oppenheimer, zentralen und leitenden IPCC Autoren und Projektleitern. Wesentliche und durchaus kritische Beiträge darin stammen unter anderem von Richard Tol, Roger Pielke und Judith Curry, die von Oppenheimer und Yohe mit großer Wertschätzung und Anerkennung eingeführt wurden. Der Artikel geht seriös und transparent mit offenen Fragen beim anthropogenen globalen Klimawandel und den daraus zu ziehenden politischen Folgerungen um. Es lohnt nach wie vor, den Essay und den zugehörigen Band zu lesen, weil die zentralen Aussagen von insbesonderere deutschen, politisch relevanten IPCC Akteuren zugunsten eines undifferenzierten „Alles ist gut in Klimastan“ ausgeblendet werden.

Oppenheimer und Yohe sehen die seit Jahrzehnten nicht genauer einzugrenzende Klimasensitivität und die ebenso nicht genau einzuschätzende Stabilität der großen Eisfelder (insbesondere der Antarktis) als zentrale Unsicherheiten. Sprich, man ist sich nach wie vor nicht im Klaren, welche Auswirkungen zusätzliche CO2-Emissionen auf die globale Durchschnittstemperatur genau haben und ob die abzusehenden Veränderungen auch katastrophale Auswirkungen haben könnten. Es war im übrigen auch anhand der geologischen Vergangenheit nicht möglich, Verläufe der CO2– Gehalte mit Temperaturveränderungen langfristig eindeutig zu korrelieren. Entsprechende Datenreihen (vgl. GEOCARB) haben die Unsicherheiten bei der Klimasensitivität nicht reduzieren können. Ältere (vgl. Veizer & Shaviv) wie neuere Forschungen weisen aber darauf hin, daß die Klimasensitivität in der Vergangenheit wie aktuell eher am unteren Level des IPCC Ranges anzusiedeln sind.

Oppenheimer und Yohe sprechen der Entwicklung von „socio-political-economic systems“ eine so unvorhersehbare wie ähnlich zentrale Rolle wie den bereits angeführte Unsicherheiten zu. Die sehr regionale Reaktion von Gesellschaften – man vergleiche die Niederlande und Bangladesch – die Landnutzung und die Siedlungs- und Industrieentwicklung hat bei den positiven wie negativen Auswirkungen von Klimaveränderungen und den damit verbundenen Kosten wie Gewinnen eine ebenso wichtige Rolle wie die bloße Klimasensitivität.

Der nach wie vor von interessierter Seite verwendete Gegensatz zwischen einer Minderheit von Skeptikern und den Konsensanhängern ist dadurch völlig irrelevant geworden. Die tatsächliche politische Diskussion spielt sich innerhalb der vom IPCC vorgegebenen Bandbreiten, aber unterhalb des globalen Mandats des IPCC, auf regionaler Ebene, ab. Der berühmte Konsens ist derart verwässert, daß die eigentliche Zielsetzung, nämlich Vorgaben und Grundlagen für eine politische Entscheidungsfindung auf globaler Ebene zu liefern, nicht erreicht wird. Oppenheimer und Yohe sehen den Konsensansatz des IPCC sehr kritisch, das Meinungsmonopol des IPCC erlaube zwar eine “communication in a monolithic message” aber riskiere “ossification and eventual irrelevance”, den IPCC verknöchern und letztendlich irrelevant werden zu lassen. Richard Tol hat das Meinungsmonopol und dessen Schwächen und Stärken im erwähnten Band von wirtschaftswissenschaftlicher Seite genauer betrachtet, man vergleiche Reiner Grundmanns und Nico Stehrs soziologische Betrachtungen zur (Ohn-) Macht der Erkenntnis.

Die Bemerkung sei erlaubt (mit Verweis auf einschlägige Forschungen etwa von Cass Sunstein), daß die regional sehr unterschiedlichen Auswirkungen des Klimawandels und entsprechende Deutungen angesichts des globalen Ansatzes und Mandats des IPCC eher unter den Tisch fallen müssen. Die tatsächlichen Auswirkungen des Klimawandels sind regional unterschiedlich und setzen auf regional wie im Zeitverlauf variablen natürlichen Klimaphänomenen auf. Das kann und soll (kraft Mandat) der global orientierte IPCC nicht näher ins Auge fassen. Das gilt im übrigen auch für das Lieblingsthema der „Kalten Sonne“: Die Deutung aktueller Klimaveränderungen über einen Cosmic Ray / Solar Flux Einfluss beinhaltet eine Interaktion u.a. mit dem Erdmagnetfeld und kann daher global nicht einheitlich wirken. Solche Ansätze werden beim IPCC aufgrund dessen globalen Mandats und dem Zwang zur globalen Konsensfindung zwangsläufig eher stiefmütterlich behandelt. Da geht es weniger um Wissenschaft per se als um das IPCC Mandat, welches nun einmal global einheitlich und nicht regional ausdifferenziert ist. Der angestrebte globale Konsens und das globale Mandat des IPCC stehen so aber regional angepassten Lösungen wie regionale Auswirkungen betrachtenden wissenschaftlichen Deutungen im Wege und hilft der politischen Entscheidungs- und Lösungsfindung vor Ort nicht wirklich weiter. Derzeit und demnächst strengere Winter in Großbritannien oder mildere Temperaturen in Grönland sind aber für konkrete Politik vor Ort deutlich wichtiger als beim IPCC prognostizierte Veränderungen eines fiktiven globalen Durchschnitts.

Unter anderem in Folge eines Reviews der IPCC Arbeit durch das InterAcademy Panel IAC von 2010 wurde versucht gegenzusteuern. Oppenheimer und Yohe weisen auf ganz wesentliche Änderungen im IPCC Prozess seit 2010 hin. Man hat versucht, das Management von Unsicherheit und Risiken besser in den Griff zu bekommen, sieht sich aber dort wie auch bei der Kommunikation der Ergebnisse in einer bislang nicht zufriedenstellend gelösten Zwickmühle. Bis zum AR4 wurde das Problem der „Konsensproduktion und Kommunikation“ nicht ausreichend angegangen, die Sinnhaftigkeit des Konsensprozess an sich wird von Oppenheimer und Yohe sehr kritisch betrachtet.

Alles in allem eine selbstkritische und sehr anerkennenswerte Betrachtung der Unzulänglichkeiten des IPCC, die jedoch unter anderem in Deutschland kaum kommuniziert wurde. Sie hat sich auch in dem jüngst erschienen fünften Sachstandsbericht noch viel zu wenig niedergeschlagen, der leider Business as usual betrieben hat. Der AR5 drückt damit genau die zunehmende Verknöcherung und zunehmende Irrelevanz des IPCC aus, die man 2011 bereits vorhersah und selbst zu vermeiden suchte. Dennoch geht ein undifferenziertes generelles IPCC-Bashing an der tatsächlichen Problematik vorbei – es kehrt schlicht das von den „großen Transformatoren“, bei PIK und Co., gesungene Hohelied des wissenschaftlichen Konsens in sein Gegenteil um. Beide Seiten versuchen, den IPCC und seine Befunde zu mystifizieren und für politische Propaganda zu verwenden. Der real existierende IPCC ist deutlich bescheidener. Propaganda und Mystifizierung hilft aber bei der tatsächlichen Politik,  etwa bei den Abstrusitäten und Abgründen der Energiewende hierzulande nicht mehr weiter. Wirtschaftsminister Gabriel hat das unlängst gegenüber Klimaaktivisten auf der ena Konferenz überraschend souverän und offen zum Ausdruck gebracht. Eine Wiederkehr der Politik, im Sinne Erhard Epplers, war lange überfällig bei dem Thema.

Literatur:

Michael Oppenheimer et al., „The limits of consensus“, in “Science Magazine’s State of the Planet 2008-2009: with a Special Section on Energy and Sustainability“, Donald Kennedy, Island Press, 01.12.2008, separate as Michael Oppenheimer, Brian C. O’Neill, Mort Webster, Shardul Agrawal, „CLIMATE CHANGE, The Limits of Consensus““, Science 14 September 2007: Vol. 317 no. 5844 pp. 1505–06 doi10.1126/science.1144831

Evaluation, characterization, and communication of uncertainty by the intergovernmental panel on climate change]—in Climatic Change (journal) doi 10.1007/s10584-011-0176-8, Published online: 13 August 2011, einleitender Essay von Gary Yohe und Michael Oppenheimer) http://link.springer.com/article/10.1007/s10584-011-0176-8/fulltext.html

 

*Wikipedia Pseudonym, der Autor ist Geowissenschaftler und lange Zeit bei der SPD engagiert