In der antarktischen Larsen-C-Schelfeis hat sich kürzlich ein riesiger Riss gebildet. Der Tagesspiegel spielte fair und lastete ihn nicht wie sonst üblich pauschal dem Klimawandel an:
In der Antarktis droht ein riesiger Eisberg abzubrechen
Ein Eisberg, doppelt so groß wie das Saarland, droht in der Antarktis vom Larsen-C-Schelfeis abzubrechen. Das ist ein seltenes Spektakel. […] „Der Spalt ist insgesamt wahrscheinlich 160 Kilometer lang und 300 bis 500 Meter tief“, sagte der ebenfalls an dem Projekt beteiligte Forscher Martin 0’Leary am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Ein direkter Zusammenhang mit dem Klimawandel sei nicht erkennbar.Weiterlesen im Tagesspiegel
Das ist der normale Gang: Schelfeis bildet sich, ist aber nicht für die Ewigkeit. Immer wieder bilden sich Spalten und es lösen sich Teile. Während der Kleinen Eiszeit war das Schelfeis sicher stabiler und ausgedehnter, in der davorliegenden Mittelalterlichen Wärmeperiode schrumpfte das Schelfeis, ähnlich wie heute. Wenn man sich die letzten 150 Jahre anschaut, die globale Wiedererwärmung nach der Kleinen Eiszeit, dann wundert es kaum, dass das antarktische Schelfeis zwischen 1900 und 1930 laut einem zeitgenössischen Zeitungsbericht täglich um 5 m zurückwich. In den letzten 50 Jahren sah es möglichweise anders aus, denn das antarktische Schelfwasser hat sich im vergangenen halben Jahrhundert abgekühlt. Laut Sinclair et al. (2014) hat sich das Ross-Schelfeis nach 1993 um 5% ausgedehnt. Offenbar ist das antarktische Schelfeis doch stabiler als gedacht.
Der Blick zurück in die letzten 10.000 Jahre fördert weitere erstaunliche Fakten zutage. Eine Reihe von antarktischen Schelfeisbereichen schrumpfte während dieser Zeit gewaltig oder war sogar vollständig verschwunden, nachzulesen z.B. in Solomina et al. (2015):
A number of Antarctic Peninsula ice shelves have also experienced major fluctuations during the Holocene. George VI Ice Shelf was absent between 9.6 ka and 7.7 ka (Smith et al., 2007), Prince Gustav Ice Shelfwas absent between 6.8 and 1.8 ka (O Cofaigh et al., 2014), the Larsen A Ice Shelf was absent at 3.8-1.4 ka (Brachfeld et al., 2003; Balco et al., 2013). In contrast Larsen B and Larsen C Ice Shelves existed throughout the Holocene (Domack et al., 2005; Curry and Pudsey, 2007).
Während des holozänen thermischen Maximums vor 6000 Jahren lag der äußere Rand des Amery Eisschelfs um 80 km näher an der Küste als heute, wie Hemer & Harris (2003) in Geology dokumentierten. Aus dem Abstract:
An increase in sea-ice–associated diatom deposition in the upper [=late] part of the Holocene suggests that a major retreat of the Amery Ice Shelf to at least 80 km landward of its present location may have occurred during the mid-Holocene climatic optimum.
Mit ein bisschen Interesse an der Klimageschichte ordnen sich die Dinge plötzlich viel besser ein. Anstrengungen müssen unternommen werden, um aktiv gegen die Geschichtsverdrossenheit anzugehen und die vorindustrielle Klimageschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.