Die Erde hat sich in den letzten anderthalb Jahrhunderten um fast ein Grad erwärmt. Dieser Temperaturanstieg im Anschluss an die Kleine Eiszeit hat sich auch in den Gletschern des Himalayas bemerkbar gemacht. Das Climate Service Center des Helmholtz-Zentrums Geesthacht erläutert:
Lässt der Klimawandel die Himalaya-Gletscher schmelzen?
Wie in vielen Gebirgsregionen der Erde sind auch im Himalaya durch den Klimawandel die durchschnittlichen Temperaturen gestiegen. Die Durchschnittstemperatur auf dem tibetanischen Plateau nahm zwischen 1906 und 2005 dreimal so stark zu, wie der globale Mittelwert, der in diesem Zeitraum um 0,74 Grad Kelvin anwuchs. Seit den 1950er Jahren stieg die Durchschnittstemperatur auf der tibetischen Seite des Himalaya um mehr als 1 Grad Kelvin. Das hat Folgen für die Gletscher des größten Gebirges der Erde. Eine der ersten Studien zur Entwicklung der Eisdicke an vierzig Gletschern im westlichen Himalaya anhand von Satellitenbildern kam zu dem Ergebnis, dass sich die Eisströme kontinuierlich zurückziehen. Die meisten gehen um zehn bis 20 Meter pro Jahr zurück, einige sogar um bis zu 70 Meter.
Die Salzburger Nachrichten berichteten hierzu am 23. Mai 2014 aus Nepal:
Wegen der Klimaerwärmung ist die Fläche der Gletscher im nepalesischen Himalaya-Gebirge einer Studie zufolge binnen gut 30 Jahren um knapp ein Viertel zurückgegangen. Wie eine am Freitag vorgestellte Untersuchung von in der Hauptstadt Kathmandu ansässigen Forschern ergab, schrumpfte sie in den Jahren 1977 bis 2010 um 24 Prozent.
Die Gletscherschmelze im höchsten Gebirge kommt nicht überraschend. Auch vor 1000 Jahren zur Zeit der Mittelalterlichen Wärmeperiode schrumpften die langen Eiszungen im Himalaya. In der darauffolgenden Kleinen Eiszeit einige hundert Jahre später dehnten sie sich dann wieder aus. Eine Forschergruppe um Xingqi Liu unter Beteiligung von Ulrike Herzschuh und Gerhard Kuhn vom deutschen Alfred Wegener Institut in Potsdam und Bremerhaven haben die Gletscherentwicklung der letzten Jahrtausende auf dem nahen Tibetplateau genau rekonstruiert und fanden eine beeindruckende Zyklik. Die Tibetgletscher wuchsen und schrumpften im Tausendjahrestakt, wie die Autoren im September 2014 in den Geophysical Research Letters berichteten. Schmelzphasen ähnlich jener im 20. Jahrhundert ereigneten sich während der Mittelalterlichen Wärmeperiode vor 1000 Jahren, der Römischen Wärmperiode vor 2000 Jahren und der Minoischen Wärmeperiode vor 3000 Jahren (Abbildung 1). Die Autoren erkannten zudem ein hohes Maß an Übereinstimmung mit der Klimazyklik im Nordatlantik wie sie 2001 von Bond et al. beschrieben wurde. Den Antrieb der Klimaschwankungen erkannten Bond et al. in Änderungen der Sonnenaktivität.
In der Kurzfassung schreiben Liu und Kollegen:
Late Holocene glacier variations in westernmost Tibetan Plateau were studied based on the analysis of grain size, magnetic susceptibility, and elements from an 8.3 m long distal glaciolacustrine sediment core of Kalakuli Lake. Our results show that there are four glacier expansion episodes occurring in 4200–3700 calibrated years (cal years) B.P., 2950–2300 cal years B.P., 1700–1070 cal years B.P., and 570–100 cal years B.P. and four glacier retreat periods of 3700–2950 cal years B.P., 2300–1700 cal years B.P., 1070–570 cal years B.P., and 50 cal years B.P.–present. The four glacier expansion episodes are generally in agreement with the glacier activities indicted by the moraines at Muztagh Ata and Kongur Shan, as well as with the late Holocene ice-rafting events in the North Atlantic. Over the last 2000 years, our reconstructed glacier variations are in temporal agreement with reconstructed temperature from China and the Northern Hemisphere, indicating that glacier variations at centennial time scales are very sensitive to temperature in western Tibetan Plateau.
Im Ergebnisteil des Papers wird die Synchronität zu den Bond-Zyklen näher erläutert:
Furthermore, the four glacier expansion episodes were revealed both by glaciolacustrine sediment (this study) and by moraine successions, temporally coincide with the late Holocene ice-rafting events in the North Atlantic (i.e., bond events 0 to 3) [Bond et al., 2001].
Abbildung 1: Zyklische Gletscherwachstumsphasen (grau hinterlegt) und Abschmelzphasen (weiß hinterlegt) auf dem Tibetplateau während der vergangenen 4000 Jahre. Quelle: Liu et al. 2014.
Zurück in die Heutezeit. Interessant bei all dem klimatischen Mediengetöse ist, dass die Gletscherschmelze im Himalaya seit etwa einem Jahrzehnt stagniert (siehe z.B. unsere Beiträge „Überraschung: Himalaya-Gebirgsgletscher haben in den letzten 10 Jahren gar kein Eis verloren!“ und „Himalaya-Schmelzkatastrophe abgeblasen: Das Neueste aus der Welt der Gletscher“). Im April 2014 bestätigte nun eine von Bahuguna und Kollegen im Fachjournal „Current Science“ veröffentlichte Studie die Himalaya-Schmelzpause. Mithilfe von Satellitenbildern untersuchten die Forscher mehr als zweitausend Einzelgletscher aus der Region und fanden, dass sich die Eismasse zwischen 2000 und 2010 nur um vernachlässigbare 0,2% verringert hatte. In der Kurzfassung schreiben die Autoren:
[…] a study has been carried out to find the change in the extent of Himalayan glaciers during the last decade using IRS LISS III images of 2000 /01/02 and 2010/11. Two thousand and eighteen glaciers representing climatically diverse terrains in the Himalaya were mapped and monitored. It includes glaciers of Karakoram, Himachal, Zanskar, Uttarakhand, Nepal and Sikkim regions. Among these, 1752 glaciers (86.8%) were observed having stable fronts (no change in the snout position and area of ablation zone), 248 (12.3%) exhibited retreat and 18 (0.9%) of them exhibited advancement of snout. The net loss in 10,250.68 sq km area of the 2018 glaciers put together was found to be 20.94 sq km or 0.2% (2.5 % of 20.94 sq km).
Die Wissenschaftler schlussfolgerten, dass sich der Großteil der Himalaya-Gletscher in einem gesunden Gleichgewicht („steady state“) befinden (Abbildung 2). Im letzten Absatz der Arbeit führen Bahuguna und Kollegen aus:
The results of the present study indicate that most of the glaciers were in a steady state compared to the results of other studies carried out for the period prior to 2001. This period of monitoring almost corresponds to hiatus in global warming in the last decade.
Abbildung 2: Veränderungen zwischen 2000-2010 von mehr als zweitausend per Satellit vermessenen Himalayagletschern. Grün: stabil, blau: schrumpfend, rot: wachsend. Aus Bahuguna et al. 2014.
Besonders das Karakorum-Gebirge nahe dem Himalaya hat die Anhänger der Klimakatastrophe in den letzten Jahren bitter enttäuscht. Die Gletscher im Karakorum haben in den letzten drei Jahrzehnten an Masse zugelegt, nicht etwa verloren. Dies berichtete ein Forscherteam um Melanie Rankl von der Universität Erlangen-Nürnberg im Mai 2014 im Fachmagazin The Cryosphere. Der Umschwung von Schwund zu Stabilität/Zuwachs ereignete sich laut der Satellitenbildauswertung in den 1980er/90er Jahren. Hier ein Auszug aus der Kurzfassung der Arbeit:
Positive glacier-mass balances in the Karakoram region during the last decade have fostered stable and advancing glacier termini positions, while glaciers in the adjacent mountain ranges have been affected by glacier recession and thinning. In addition to fluctuations induced solely by climate, the Karakoram is known for a large number of surge-type glaciers. The present study provides an updated and extended inventory on advancing, stable, retreating, and surge-type glaciers using Landsat imagery from 1976 to 2012. Out of 1219 glaciers the vast majority showed a stable terminus (969) during the observation period. Sixty-five glaciers advanced, 93 glaciers retreated, and 101 surge-type glaciers were identified, of which 10 are new observations. The dimensional and topographic characteristics of each glacier class were calculated and analyzed. Ninety percent of nonsurge-type glaciers are shorter than 10 km, whereas surge-type glaciers are, in general, longer. We report short response times of glaciers in the Karakoram and suggest a shift from negative to balanced/positive mass budgets in the 1980s or 1990s.
Im Oktober 2014 griff ein Forscherteam um Sarah Kapnick von der Princeton University in New Jersey im Fachmagazin Nature Geoscience das Thema auf. Die Wissenschaftler bestätigten den unerwarteten Gletscherzuwachs im Karakorum und suchten nach Gründen. Dabei stießen sie auf den schwankenden Monsun, der die Gletscher im Karakorum offenbar viel stärker beeinflusst als die globale Durchschnittstemperatur. Hier die Kurzfassung der Arbeit:
Snowfall less sensitive to warming in Karakoram than in Himalayas due to a unique seasonal cycle
The high mountains of Asia, including the Karakoram, Himalayas and Tibetan Plateau, combine to form a region of perplexing hydroclimate changes. Glaciers have exhibited mass stability or even expansion in the Karakoram region, contrasting with glacial mass loss across the nearby Himalayas and Tibetan Plateau, a pattern that has been termed the Karakoram anomaly. However, the remote location, complex terrain and multi-country fabric of high-mountain Asia have made it difficult to maintain longer-term monitoring systems of the meteorological components that may have influenced glacial change. Here we compare a set of high-resolution climate model simulations from 1861 to 2100 with the latest available observations to focus on the distinct seasonal cycles and resulting climate change signatures of Asia’s high-mountain ranges. We find that the Karakoram seasonal cycle is dominated by non-monsoonal winter precipitation, which uniquely protects it from reductions in annual snowfall under climate warming over the twenty-first century. The simulations show that climate change signals are detectable only with long and continuous records, and at specific elevations. Our findings suggest a meteorological mechanism for regional differences in the glacier response to climate warming.
Und was steuert den Monsun? Offenbar hat unsere liebe Sonne hier ihre Finger mit im Spiel. Siehe unsere Blogartikel „Neue Studie findet Zusammenhang zwischen Indischem Sommermonsunregen und Sonnenaktivität“, „Der Verdacht erhärtet sich: Änderungen im Indischen Monsun maßgeblich von Schwankungen der Sonnenaktivität gesteuert“ und „Neue Studie in den Geophysical Research Letters: Indischer Monsunregen pulsierte während der letzten 150 Jahre im Takte der 11-Jahres-Sonnenfleckenzyklen“.
Auch auf dem nahen Tibet-Gebirgsplateau haben sich die Gletscher in den letzten 10 Jahren offenbar vergrößert, wie eine im März 2014 im Journal of Geophysical Research erschienene Studie von Shuang Yi und Wenke Sun ergab. Die Autoren sehen hier eine bedeutende Steuerung des Gletschergeschehens durch Ozeanzyklen. Hier die Kurzfassung der Arbeit:
Evaluation of Glacier Changes in High Mountain Asia Based on 10-year GRACE-RL05 Models
In this paper, 10 years of time-variable gravity data from the Gravity Recovery and Climate Experiment (GRACE) Release 05 have been used to evaluate the glacier melting rate in High Mountain Asia (HMA) using a new computing scheme, i.e., the Space Domain Inverse (SADI) method. We find that in HMA area there are three different kinds of signal sources that should be treated together. The two generally accepted sources, glacier melting and India underground water depletion, are estimated to change at the rate of -35.0 ± 5.8 Gt/yr (0.09 mm/yr sea level rising) and -30.6 ± 5.0 Gt/yr, respectively. The third source is the remarkable positive signal (+30 Gt/yr) in the inner Tibet Plateau, which is challenging to explain. Further, we have found that there is a five-year undulation in Pamir and Karakoram, which can explain the controversies of the previous studies on the glacier melting rate here. This five-year signal can be explained by the influence of Arctic Oscillation and El Niño-Southern Oscillation.
Auch in den letzten Jahren hat sich die Lage im Himalaya-Raum nicht geändert (siehe “Heftiger Schneefall der letzten drei Jahre lässt Himalaya-Gletscher anwachsen“).
Angesichts der Schmelzpause wundert die penetrante Warnung vor dem Kollaps der Schmelzwasserversorgung in Indien und China doch sehr. Noch am 23. April 2014 malten Claus Kleber und Arte den Teufel an die Wand:
China und Indien kämpfen im Himalaya um Wasser. Die lebensnotwendige Ressource wird aufgrund des Klimawandels unberechenbar. Das wirkt sich schon jetzt auf das Leben vieler Menschen in den Bergan aus. Der renommierte Fernsehjournalist Claus Kleber erklärt, wie der Konflikt gelöst werden kann.
Nur drei Monate später, am 28. Juli 2014 dann die Entwarnung in den Salzburger Nachrichten:
Nach der Arktis und der Antarktis ist im Himalaya die größte Eis- und Schneemasse unseres Planeten angehäuft. Hier liegen die Wasserreserven des gesamten Subkontinents. Hier entspringen die Ströme Indus, Ganges, Brahmaputra, Mekong und Dutzende andere Flüsse, die die Menschen im Norden Indiens, in Bangladesch, in Pakistan sowie in Südostasien mit dem kostbaren Nass versorgen und lebensnotwendig für die Landwirtschaft sind. Die Masse an Menschen trägt aber auch Mitschuld an der negativen Gletscherentwicklung: Offene Feuer in ländlichen Haushalten, massenweises Verbrennen von Abfällen, Kohlekraftwerke und Dieselabgase sorgen für Rußablagerungen im Gebirge und beschleunigen die Schmelze. Klimatologen, Hydrologen und Glaziologen meinen aber, dass vorerst mit einer Wasserverknappung nicht zu rechnen sein werde. Im Gegenteil, in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten würden die Flüsse wegen der Schmelze sogar mehr Wasser führen.
Da ist wohl was schiefgelaufen, Herr Kleber. Werden Sie Ihre Zuschauer über die Panne entsprechend informieren? Vermutlich nicht. Am Rande: Über die klimaschädliche Rolle des Rußes hatten wir an dieser Stelle ebenfalls bereits berichtet („NABU: „Bis zu 50 Prozent der Erwärmung in der Arktis sind auf den Einfluss von Rußpartikeln zurückzuführen““).