Hinter uns liegt das wärmste Jahrzehnt seit mehreren Jahrhunderten. Seit dem Ende der Kleinen Eiszeit 1850 ist die globale Durchschnittstemperatur um fast ein Grad angestiegen. Wir befinden uns in der sogenannten Modernen Wärmeperiode, einer zyklisch wiederkehrenden Wärmephase die sich zuletzt als Mittelalterliche Wärmeperiode vor 1000 Jahren mit ähnlich hohen Temperaturen auf der Erde bemerkbar gemacht hat.
Welche Bedeutung könnte die beobachtete Erwärmung nun für das Meereis im Arktischen Ozean gehabt haben? Richtig, es schmolz natürlich kräftig, so dass sich die Ausdehnung des Meereises im Verlauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte verringerte. Interessant dabei ist, dass der Rückgang bereits lange vor dem industriellen Eintrag von anthropogenem CO2 einsetzte, nämlich bereits Anfang des 19. Jahrhunderts (Abbildung 1). Wichtig ist daher die Beobachtung, dass das arktische Meereisschrumpfen seit seinen Anfängen von einem langfristigen Anstieg der Sonnenaktivität begleitet worden ist (Abbildung 2).
Entgegen der landläufigen Meinung ist ein eisarmes Nordpolarmeer keinesfalls ein noch nie dagewesenes Phänomen der Menschheitsgeschichte. Bereits zur Zeit der Mittelalterlichen Wärmeperiode war das Eis des arktischen Ozeans stark dezimiert. Die reiselustigen Wikinger nutzten die gute Schiffbarkeit des Nordmeeres aus und besiedelten zu dieser Zeit Island und Grönland. Erst im Übergang zur Kleinen Eiszeit fror das arktische Meer wieder großflächiger zu, so dass die Versorgungsfahrten vom europäischen Kontinent immer beschwerlicher wurden und die arktischen Siedlungen schließlich aufgegeben mussten. Und auch hier wieder der Bezug zur Sonne: Die Abkühlung und das Zufrieren ging mit einer deutlichen Abnahme der Sonnenaktivität einher.
Abbildung 1: Rückgang der arktischen Meereisbedeckung seit 1700 (Abbildung nach Polyak et al. 2010).
Abbildung 2: Das Schmelzen des Meereises in den letzten Jahrhunderten wurde durch einen langfristigen Anstieg der Temperatur, der Sonnenaktivität und des Meeresspiegels begleitet. Der CO2-Gehalt der Atmosphäre erhöhte sich erst ab dem späten 19. Jahrhundert (aus: Die kalte Sonne, S. 64, hier auch die Literaturquellen der Kurven. Meereisbedeckung nach Polyak et al. 2010).
Das kennen Sie alles schon, werden Sie jetzt sagen? Richtig, ein alter Hut (siehe auch Kapitel 3 und 5 in „Die kalte Sonne“). Umso schlimmer, dass zwei Forscher vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) diese Zusammenhänge in einer kürzlich erschienenen Arbeit offenbar vollständig ausgeblendet haben. Dirk Notz und Jochem Marotzke vom MPI-M veröffentlichten Ende April 2012 einen Artikel in den Geophysical Research Letters, in dem sie die arktische Meereisentwicklung der letzten 60 Jahre untersuchten und sich Gedanken über die Ursache des langfristigen Schmelzens machen. In der Pressemitteilung des Instituts heißt es dazu:
„Prof. Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie und Zweitautor der Studie [sagt]: ‚Nachdem wir natürliche Schwankungen und eine Selbstverstärkung als Ursache für den Rückgang des Eises ausschließen konnten, war klar, dass irgendein äußerer Antrieb das Eis immer weiter zurückgehen lässt. Wir machten uns daher auf die Suche nach einem äußeren Antrieb, der einen physikalisch plausiblen Zusammenhang mit dem Meereisrückgang zeigt.‘ Die Forscher untersuchten zum Beispiel die Stärke der Sonnenstrahlung. ‚Hier würde ein physikalisch plausibler Zusammenhang zum Meereisrückgang nur dann existieren können, wenn die Sonnenstrahlung in den letzten Jahren stärker geworden wäre.‘ Jedoch ist das Gegenteil der Fall, die Sonnenstrahlung hat in den letzten Jahrzehnten leicht abgenommen. Es ist daher physikalisch äußerst unwahrscheinlich, dass Schwankungen in der Sonnenstrahlung der Hauptantrieb für den beobachteten Rückgang des Meereises waren.“
Hochinteressant. Das müssen wir uns näher anschauen. Den „Anti-Sonnen-Beweis“ führt das MPI-M-Duo mithilfe eines Datenfragmente einer umstrittenen Sonnenaktivitäts-Interpretation von Fröhlich et al. (2000) (Abbildung 3). Die Kurve von Claus Fröhlichs PMOD-Gruppe wurden von Wissenschaftlern des ACRIM-Teams um Richard Willson scharf kritisiert (siehe S. 166-167 in „Die kalte Sonne“). Nach ACRIM-Version stieg die Sonnenaktivität zwischen 1979 und 2002 an. Mysteriöserweise reicht zudem die Sonnenkurve bis 2006, obwohl der Artikel, auf den sich die Hamburger MPI-M-Autoren beziehen bereits im Jahr 2000 herausgekommen war.
Abbildung 3: Darstellung möglicher klimatischer Einflussgrößen auf die Entwicklung des arktischen Meereises (aus der Arbeit von Notz & Marotzke 2012). Die kurze blaue Linie „Irradiance“ steht für die Sonnenaktivität.
Aber macht es überhaupt Sinn, Sonnenaktivitäts-Daten über lediglich 20 Jahre heranzuziehen, die zudem noch hoch umstritten sind? Mit dem eingangs geschilderten Kontext im Hinterkopf hätten hier eigentlich alle Alarmglocken läuten müssen. Die verwendeten 20 Jahre genügen nicht einmal der „Klimadefinition“, die 30 Jahre als unteres Limit für Klimadatenreihen fordert. Notz & Marotzke selbst schreiben in der Einleitung ihres Papers, dass das Meereis auf die Summe einer Vielzahl von Klimafaktoren reagiert, sich also verschiedene Prozesse und Trends überlagern. Aus diesem Grund sind 100 oder gar 200 Jahre sicher ein geeigneterer Betrachtungszeitraum. Das hätten eigentlich auch die Gutachter der Arbeit erkennen müssen.
Schaut man sich die Entwicklung der Sonnenaktivität an (am Beispiel des Sonnenmagnetfeldes und der Sonnenflecken), so fällt einem ein rasanter Anstieg der Sonnenaktivität in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf (Abbildung 4). Die zweite Hälfte hingegen ist durch ein welliges Hochplateau gekennzeichnet. Entgegen der irreführenden Argumentation durch Notz & Marotzke laufen Sonne und arktische Meereisschmelze in eindrucksvoller Weise synchron zueinander. Auch das anschließende solare Hochplateau in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts kann selbstverständlich eine Auswirkung auf die Meereisentwicklung gehabt haben. Laut einer Nature-Publikation des Solarphysikers Sami Solanki vom Max-Planck Institut für Sonnensystemforschung gehörte die Sonnenaktivität der vergangenen Jahrzehnte zur höchsten der letzten 10.000 Jahre. Selbstverständlich kann auch ein konstant hohes solares Aktivitätsniveau die Temperaturen weiter ansteigen und die Meereisbedeckung weiter zurückgehen lassen. Auch ein Topf Wasser wird nicht schlagartig heiß, wenn er auf eine konstant hohe Flamme gestellt wird. Die Temperatur steigt solange an, bis sich ein thermisches Gleichgewicht eingestellt hat. Im trägen Klimasystem kann es mitunter einige Jahrzehnte dauern, bis sich derartige Gleichgewichte ausgebildet haben. Auch aus diesem Grund ist die Betrachtung einer viel zu kurzen Sonnendatenreihe nicht sinnvoll.
Abbildung 4: Entwicklung der Sonnenaktivität während der letzten 150 Jahre am Beispiel der Sonnenflecken und des Sonnenmagnetfeldes (nach Mufti & Shah 2011).
In Punkto Sonne ist in der MPI-M-Studie offensichtlich so einiges schief gelaufen. Das wichtigste Argument in der Beweisführung wird damit hinfällig, und damit ebenso die hieraus abgeleitete Schlussfolgerung (übernommen aus der Pressemitteilung):
„Dabei zeigte sich, dass der beobachtete Rückgang von Meereis in der Arktis nicht durch natürliche Schwankungen erklärt werden kann. Bei der Suche nach einem äußeren Antrieb für den Meereisrückgang in der Arktis fanden die Forscher einen klaren Zusammenhang mit dem Anstieg der Treibhausgaskonzentrationen. Für das Meereis in der Antarktis konnten sie allerdings keinen solchen Zusammenhang feststellen […]. ‚Am Ende blieb in unserer Liste möglicher Antriebe nur der Anstieg der Treibhausgaskonzentrationen übrig‘, erklärt Notz. ‚Aufgrund fundamentaler physikalischer Gesetze würden wir erwarten, dass ein Anstieg der Treibhausgaskonzentrationen zu einer Erwärmung und damit einem Rückgang des Meereises führt. Und genau dies wird auch beobachtet‘.
Natürlich stieg in den letzten 150 Jahren auch die CO2-Konzentration an. Aber eben auch die Sonnenaktivität. Der Hauptantrieb der Klimaerwärmung – und damit der Meereisschmelze – kann auf diese Weise jedenfalls nicht ermittelt werden.
Berichte zur neuen MPI-M-Arbeit erschienen mittlerweile u.a. im Innovations Report, Hamburger Abendblatt, Informationsdienst Wissenschaft, Der Standard und Handelsblatt. Leider nutzte keiner der Journalisten die Möglichkeit der kritischen Nachfrage bei den Autoren (oder gar bei uns bzw. anderen Klimarealisten), sondern übernahmen die Ideen der Hamburger Forscher ungeprüft.
Bevor die Satelliten im Orbit kreisten
Die ersten verlässlichen Meereis-Daten stammen aus dem Jahr 1979 als die systematischen Satellitenmessungen begannen. Dies ist also nicht viel mehr als 30 Jahre her. Für die Zeit davor wird mit geologischen Annäherungsmethoden gearbeitet, sogenannten Proxies (siehe z.B. Abbildungen 1 und 2). Dazu kommen noch historische Eissichtungs-Berichte von Schiffen und Landstationen. Oft werden nur die Daten ab 1979 in Graphen dargestellt. Allerdings wurden im ersten Klimazustandsbericht des IPCC im Jahre 1990 (First Assessment Report, FAR) noch NOAA-Daten für die Zeit von 1971-1979 abgebildet, die in den späteren IPCC-Berichten dann plötzlich fehlten (Abbildung 5). Was könnte der Grund sein? Offensichtlich waren die Daten gut genug für den FAR. Ob es damit zu tun haben könnte, dass man bei Betrachtung des gesamten Datensatzes fast auf die Idee bekommen könnte, eine Art Zyklus vor sich zu haben? Bei Beschränkung auf die Zeit nach 1979 ist davon jedenfalls nichts mehr zu sehen. Schwer zu sagen. Auf jeden Fall scheint die Eisausdehnung in den frühen 1970er Jahren auf dem Niveau von Anfang der 2000er Jahre zu liegen.
Abbildung 5: Darstellung der arktischen Meereisbedeckung basierend auf Satellitendaten ab 1979, ergänzt durch NOAA-Daten, die im ersten Klimabericht des IPCC gezeigt wurden (1971-1979). Quelle: WUWT.
Im Datensatz von Notz & Marotzke sieht das irgendwie ganz anders aus (Abbildung 6). Dort liegt das Niveau der 1970er Jahre deutlich höher. Wie kommt das? Die vom MPI-M-Duo verwendeten HadISST-Daten sind strenggenommen keine reinen Eismessungen. Hier fließen eine Reihe von unterschiedlichen Daten ein. Willis Eschenbach hat sich die Werte einmal angeschaut und sieht sowohl Probleme beim Datensatz, als auch bei der statistischen Auswertung von Notz & Marotzke (siehe ausführlicher Bericht auf WUWT). Im direkten Vergleich plotten die HadISST-Eisnäherungsdaten in den 1960er und 1970er Jahren deutlich über den früher verwendeten GISST-Eisnäherungsdaten (Abbildung 7). Auch dh7fb sieht Probleme bei den verwendeten Daten.
Abbildung 6: Darstellung der Eisausdehnung im Paper von Notz & Marotzke (2012). Für die Vor-Satellitenzeit werden HadISST-Daten verwendet.
Abbildung 7: Vergleich der HadISST und GISST Eisnäherungsdaten. Erste liegen in den 1960er/70er-Jahren deutlich über den zuletzt genannten Daten. Datenquelle: KNMI (Monatswerte). Abbildungsquelle: Willis Eschenbach.
Wenn man sich die Eisrekonstruktionen für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts anschaut, fallen einem charakteristische Schmelzphasen auf, die jedoch nur von begrenzter Dauer waren (Abbildungen 1 und 2). Aus dem November 1922 gibt es historische Berichte in denen eine akute arktische Meereisarmut beklagt wurde. Eine wissenschaftliche Expedition war zuvor im August 1922 in freiem Wasser bis hoch auf 81°29 Minuten Nord geographische Breite gesegelt. Die Fahrt bedeutete damals einen Rekord für die nördlichste Messfahrt.
Wie passt dies eigentlich alles zusammen mit dem CO2, das laut Notz & Marotzke der Hauptantrieb des Eisgeschehens sein soll. Was verursachte das langfristige Wiedergefrieren des Nordpolarmeers damals? Sicher nicht das angeblich stark wärmende CO2, denn die Kohlendioxid-Konzentration ist doch die ganze Zeit gestiegen…
Auch der Eisforscher Eigil Kaas vom Kopenhagener Niels-Bohr-Institut wies kürzlich auf die warme, eisarme Phase im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts hin. In der Süddeutschen Zeitung vom 29.8.2011 wird er zitiert:
„ ‚Wir wissen zum Beispiel, dass es schon in den dreißiger Jahren einmal ziemlich warme Sommer in der Arktis gab‘. Dann sei es wieder kälter geworden. So eine Abkühlung könne es wieder geben.“
Die letzten 5 Jahre
Wir haben bereits in Abbildung 5 gesehen, wie es dem arktischen Meereis die letzten 5 Jahre über ergangen ist. So richtig spannend ist dies nicht, denn im Prinzip ist nichts Großartiges passiert. Die Meereis-Ausdehnung zappelt auf einem relativ stabilen Plateau hin und her. Bekanntlich erleben wir bei der globalen Durchschnittstemperatur das gleiche Schauspiel. Hier hat sich bereits seit mehr als 12 Jahren nichts mehr getan.
Es ist eine Eigenart von Plateaus, dass jede kleine Spitze das Zeug zu einem neuen Rekord hat. Die geringste Eisausdehnung wurde 2007 registriert (Abbildung 5). Im September 2011 meldete sich die Universität Bremen aufgeregt zu Wort und meldete einen angeblichen neuen Negativrekordmeldung der Eisausdehnung. Allerdings galt dieser – ähnlich wie beim Boxen – nur für eine ganz spezielle Messversion. Der Marktführer bei den Meereismessungen NSIDC in Boulder, Colorado, konnte den Rekord nicht nachvollziehen. Hier landete das Jahr 2011 nur auf gleicher Höhe wie 2008, im deutlichen Abstand vom wahren Rekordjahr 2007 ( Abbildung 8 ). Man muss auch mal verlieren können. Die Bremer nahmen es sportlich. Christian Melsheimer vom Institut für Umweltphysik sagte „2011 liegt so oder so ganz nah dran am Rekordjahr 2007“ (Süddeutsche Zeitung v. 27.9.2011). Die junge Welt, das Handelsblatt und Klima(rats)retter.info haben diese Details offensichtlich nicht mitbekommen und schreiben noch immer von einem „historischen Rekordminimum des arktischen Meereises 2011“.
Abbildung 8: Ausdehnung des arktischen Meereises im Jahresverlauf für die Jahre ab 2007. Das Jahr 2012 ist durch eine rote Kurve dargestellt. Der Durchschnittswert für die Periode 1979-2006 ist als blau gepunktete Kurve abgebildet (mit grauem Fehlerbereich). Im März-Mai 2012 befand sich die Meereisausdehnung im Normalbereich (grauer Bereich) und erreichte Werte, die höher lagen als in den vorangegangenen 5 Jahren. Bildquelle: Nansen Environmental & Remote Sensing Center bzw. WUWT Meereis Referenzseite.
In die Rubrik „Ich wäre jetzt Olympiasieger, wenn mir nicht damals folgendes dazwischen gekommen wäre…“ gehört ein Paper eines japanisch-US-amerikanischen Duos, das im Mai 2012 in den Geophysical Research Letters erschien. Masayo Ogi und John Wallace machten sich darin Gedanken, ob wohl 2011 der arktische Meereis-Negativrekord gefallen wäre, wenn in besagtem Jahr genauso starke Winde geweht hätten wie im Rekordjahr 2007. Es ist erstaunlich, worüber man heute so alles Papers schreiben kann.
Neben der Eisausdehnung sollte man auch die Eisdicke nicht aus den Augen verlieren. Meereis-Experte Rüdiger Gerdes vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven sagte im Handelsblatt, dass auch die Eisdicke abgenommen hätte. Hier sollte man auf belastbare, flächig ermittelte Vergleichszahlen warten. Seit Neuestem hilft dabei der Satellit CryoSat, welcher Daten zur Dicke der Eisdecke in der Arktis liefert. Der Satellit der europäischen Raumfahrtbehörde Esa hat jetzt bereits zwei Winterzyklen seit Oktober 2010 gemessen. Da müssen wir wohl noch ein paar Jährchen warten, bis statistisch auswertbares Zahlenmaterial herauskommt.
Auch der Süßwassergehalt der oberen Schichten im Arktischen Ozean hat seit den 1990er Jahren um ca. 20% zugenommen. Zu dieser Veränderung trug jedoch neben der Eisschmelze noch ein wichtiger anderer Prozess bei. Die Süßwassermenge durch mehr Niederschläge und Einträge von Flüssen war im gleichen Zeitraum signifikant angestiegen (Focus 14/2011).
Und wie läufts eigentlich so in 2012 ?
Ende Februar meldete das Hamburger Abendblatt besorgt:
„Dennoch ist das Meereis rund um den Nordpol erneut stark zurückgegangen. Die Satellitenmessungen ergaben im Januar den viertniedrigsten Wert bei der Eisbedeckung für diesen Monat seit Beginn der Beobachtungen 1979. […] Damit reihe sich der Januar 2012 in den Trend der vergangenen Winter, in denen die Eisfläche in der Arktis vergleichsweise gering gewesen sei.“
Der uneingeweihte Leser bekam vermutlich einen kleinen oder vielleicht sogar großen Schrecken. Er wusste ja nicht, dass dies im Grunde bedeutet, dass sich das Meereis in den letzten Jahren schlichtweg geweigert hat, die Rekordmarke von 2007 zu unterbieten (siehe Abbildungen 5 und 8). Da war es wieder, das berühmte Plateau in der Entwicklung und die große Kunst der verschleiernden Formulierkunst.
Damals konnte das Hamburger Abendblatt die weitere Entwicklung nicht vorausahnen, die so gar nicht in die alarmistischen Schmelz-Prophezeiungen passte. Bereits im März 2012 dehnte sich das arktische Meereis so sehr aus, dass es den Unschärfebereich der mittleren Meereisbedeckung für die Periode 1979-2006 erreichte. Nun herrschte plötzlich die gleiche arktische Meereisausdehnung wie 17 Jahre zuvor im Jahre 1995. Die Beringstraße verzeichnete die höchste März-Meereisausdehnung seit Beginn der gesamten Messgeschichte. Vor dreizehn Jahren hatte Greenpeace noch die komplette Enteisung der Beringstrasse für die nahe Zukunft vorhergesagt. Diese Prognose ging offensichtlich daneben. Eigentlich sollte sich Greenpeace über die guten Eisverhältnisse in der Region jetzt freuen. Allerdings geriet die Organisation im Dezember 2011 in eine echte Zwickmühle , als mehr als hundert Belugawale im Beeringmeer plötzlich vom wachsenden Packeis eingeschlossen wurden und elendig zu verhungern drohten. Der Gouverneur der russischen Region Tschukotka musste seine Regierung in Moskau um die Entsendung eines Eisbrechers für die Rettung bitten (SZ, 15.12.2011).
Im April 2012 berührte die arktische Meereiskurve dann die Zentrallinie des langjährigen Mittels und kreuzte sogar kurz auf die andere Seite (Abbildung 8). Am Stichtag 26. April erreichte die Ausdehnung des arktischen Meereises 2012 den fünft-höchsten Wert seit Beginn der satellitengestützten Messgeschichte 1979. Plötzlich war keine Rede mehr von gefährlich starkem arktischem Meereisrückgang. Und was machten die meisten Zeitungen? Sie schwiegen. Frei nach dem Motto: Only bad news is good news.
Da mussten die klimaskeptischen Spezialanbieter die Lücke füllen. News Channel 5 berichtete im März 2012 von einem Siebenjahreshoch der Meereisausdehnung, also der höchsten Erstreckung seit 2006 zu vergleichbaren Zeiten in den Vorjahren. Auch das Real Science Blog machte auf diesen Umstand aufmerksam und erinnerte an eine Prognose des NASA Klimawissenschaftlers Jay Zwally aus dem Negativrekordjahr 2007:
„In dieser Abschmelzgeschwindigkeit könnte der arktische Ozean im Sommer 2012 nahezu eisfrei sein, viel schneller als laut den vorangegangenen Vorhersagen“.
Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.
Vorsichtiger äußerte sich damals die Chefin des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts, Karin Lochte. In einem FAZ-Interview antwortete sie auf die Frage, ob die starken Meereisverluste im Sommer 2007 ein Indiz für eine beschleunigte künstliche Klima-Erwärmung sei:
„Das müssen wir erst noch sehen. Wir wissen heute noch nicht, ob das Teil eines Zyklus ist. Wir wissen nicht, ob wir in vielleicht fünf Jahren wieder mehr Eis haben, oder ob das doch ein ungebrochener Trend in Richtung Eisschmelze ist.“
Klaus-Eckart Puls kommentiert dies kürzlich in einem Beitrag auf EIKE:
„Die 5 Jahre sind rum: TREFFER – Frau Lochte! Kompliment !“
Als sich das arktische Meereis im Frühling 2012 immer weiter ausdehnte und mit jeden Tag immer „normaler“ wurde, spielten sich auf der Webseite des von der NASA teilgetragenen National Snow and Ice Data Center (NSIDC) seltsame Dinge ab. Kurz bevor die Eiskurve den Normalbereich treffen sollte, verschwanden bereits eingetragene Daten. An einem anderen Tag verschob sich plötzlich die als Referenz verwendete Linie mit dem Durchschnittswert, lief quasi der stetig näher rückenden Meereisbedeckung einfach davon. Hoffen wir, dass es nur unbeabsichtigte technische Missgeschicke waren.
Weniger arktisches Eis als in den Modellen?
Wie berichtet, zappelte die arktische Meereisbedeckung die letzten 5 Jahre um einen Plateauwert herum (Abbildung 5). Dies bedeutet nicht unbedingt, dass der Langzeit-Schmelztrend damit gestoppt wäre, jedoch pausiert das Schmelzen immerhin. Hatten die Klimamodelle diesen 5-jährigen Schmelzstopp vorhergesagt? Mitnichten. Das scheint jedoch nicht Gegenstand der Berichterstattung in den Medien zu sein. Hier liest man vielmehr darüber, dass die Meereisschmelze angeblich viel stärker wäre als in den Klimamodellen vorhergesagt (z.B. junge Welt, klimaretter.info). Wie passt das zusammen? Vermutlich bezieht sich die Aussage auf den Negativrekord von 2007, der jedoch zu einem großen Teil auf starke Winde in dem Jahr zurückzuführen ist, die das Eis auseinandertrieben (siehe Kapitel 5 in „Die kalte Sonne“). Ein weiteres schönes Beispiel, wie man durch geschicktes formulieren die Realität in einem ganz anderen Lichte erscheinen lassen kann.
Es ist beruhigend zu hören, dass diese Diskrepanz auch bereits in der Fachwelt erkannt wurde und man sich derzeit darüber streitet, ob die Modelle die reale arktische Meereisentwicklung nun unter- oder über-schätzt haben (siehe Blog von Roger Pielke Jr.).
Wie auch immer dieser Disput ausgeht, eines ist sicher: Die Klimamodelle sind weit davon entfernt, uns bei der Analyse oder Prognose von Meereis nützlich zu sein. Notz & Marotzke sagen in ihrem neuen Artikel ganz deutlich, dass sich die Entwicklung der Eisbedeckung mit Klimamodellen noch nicht zuverlässig nachbilden geschweige denn vorhersagen lässt. Und deshalb haben sie für ihre Studie auch keines benutzt.
Für den von Notz & Marotzke vorgeschlagenen CO2-Antrieb der arktischen Meereisschmelze sah es in den letzten 5 Jahren ebenfalls nicht gut aus. Der CO2-Wert ging unaufhaltsam hoch, während das arktische Meereis offensichtlich bereits seit mehreren Jahren nicht mehr daran denkt, weiter zurückzugehen. Eine überzeugende Korrelation zwischen CO2 und Meereis sieht anders aus. Einen Punkt muss man den beiden Forschern vom MPI-M jedoch zugutehalten. Sie sehen in ihren Daten keinen Hinweis darauf, dass die Eisschmelze selbständig wie eine Lawine aus dem Ruder laufen könnte. Dies sagen sie auch in ihrer Pressemitteilung zum Artikel ganz deutlich:
„Die Forscher konnten darüber hinaus nachweisen, dass sich der Rückgang von Meereis nicht selbst verstärkt. Es gibt also keinen Teufelskreis, der das Meereis immer weiter zurückgehen lässt: ‚Immer wenn es in den Datensätzen einmal einen starken Rückgang des Meereises von einem Jahr zum nächsten gab, wurde dieser Rückgang im Folgejahr wieder teilweise ausgeglichen‘, erläutert Dirk Notz. Dies wäre nicht der Fall, wenn sich der Rückgang des Eises selbst verstärken würde.“
Modellierer auf Fehlersuche
Derweil suchen die Modellierer eifrig nach den Fehlern in ihren Modellen. Alles steht auf dem Prüfstand. Eine Vielzahl von Prozessen wird untersucht, die eine bedeutende Rolle spielen könnten.
Eine Forschergruppe von der University of Wisconsin-Madison um Yinghui Liu vermutet, dass Verstärkungseffekte durch Wolken in den Berechnungen fehlen könnten. Eine entsprechende Studie veröffentlichten sie im März 2012 in den Geophysical Research Letters.
Pascaline Bourgain und Jean Claude Gascard von der Pariser Université Pierre et Marie Curie vermuten, dass warme Meeresströmen von unten am schwimmenden Eis nagen könnten. Die Ergebnisse ihrer Studie erschienen ebenfalls im März 2012 in den Geophysical Research Letters.
Andere Forscher schlagen vor, dass menschengemachter Ruß oder Schwefel-Abgase (siehe Beiträge auf notrickszone.com: Teil 1, Teil 2) eine viel größere Rolle beim Rückgang des arktischen Meereises spielen. Oder sollte gar die bisher wenig beachtete UV-Strahlung beteiligt sein? Gibt es möglicherweise eine Instrumentendrift in der Satellitenmessung? Was trägt der verstärkte Schiffs- und Flugverkehr im Nordpolarmeer zum Eisschwund bei? (Nature Climate Change, Nov 2011, S. 381 und Physics Today Okt 2011 S. 10).
Roy Spencer von der University of Alabama in Huntsville wies kürzlich wieder auf den möglichen Einfluss von Ozeanzyklen auf die Meereisentwicklung hin. Ein signifikanter Teil der Meereisdynamik im Bereich von bis zu wenigen Jahrzehnten könnte durch die Arktische Oszillation (AO) oder die Atlantische Multidekaden Oszillation (AMO) beeinflusst sein. Notz & Marotzke sehen hingegen keine bedeutsame Korrelation mit der AO. Allerdings haben sie die AO auch nicht kumulativ aufgetragen wie Spencer. Wenn man die AMO und die Meereisentwicklung plottet, könnte man einen gewissen Zusammenhang vermuten (Abbildung 9). Längere Datenreihen für das Meereis wären jedoch sicher aufschlußreicher.
Abbildung 9: Möglicher Einfluss der Atlantischen Multidekaden Oszillation (AMO) auf die Meereisbedeckung im Nordpolarmeer.
Immer wieder das arktische Meereis
Kürzlich gab es eine Serie kalter Winter in Europa und Nordamerika. Einige Bürger wurden misstrauisch und fragten sich, wie dies denn passieren konnte. Die Forscher hatten ihnen doch eine katastrophale Klimaerwärmung angedroht. Und nun diese Elendskälte. Noch vor zehn Jahren sagt Mojib Latif, dass wir in Deutschland keine schneereichen Winter mehr bekommen würden.
Da mussten die Klimaalarmisten tief in die Trickkiste greifen und entwickelten eine geniale Abwehrstrategie. Schuld an den kalten Wintern war – gut festhalten – die Klimaerwärmung. Insbesondere muss das geschrumpfte arktische Meereis als Bösewicht herhalten. Die junge Welt berichtete:
„Vladimir Petoukhov vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sowie Vladimir Semenov vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften konnten nachweisen, daß das Schmelzen des Meereises in der Arktis in Verbindung mit extrem kalten Wintern auf der Nordhalbkugel steht. Das geschwundene Eis der Arktis beeinflußt die Wärmebilanz in den hohen Breiten, zonale Winde werden schwächer und ermöglichen Kaltluftausbrüche. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit extrem kalter Winter in Europa, die in unregelmäßigen Abständen auftreten.“
Ähnlich sah es eine amerikanische Forschergruppe zu der übrigens auch die IPCC-Kritikerin Judith Curry gehörte. Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse im Februar 2012 im Fachmagazin PNAS. Vielleicht ist ja doch etwas dran an der Sache?
Bei allen Meereisprognosen darf man nie vergessen, dass sie auf den Temperaturvorhersagen des Weltklimarats basieren. Diese sind jedoch höchst fragwürdig, wie wir in unserem Buch „Die kalte Sonne“ zeigen konnten. Die Wirksamkeit des CO2 ist vom IPCC wohl signifikant überschätzt und die natürlichen Klimafaktoren unterschätzt worden. Durch die aller Voraussicht nach bevorstehende leichte Abkühlung im Zusammenhang mit abknickenden Ozeanzyklen und einer schwächerer Sonne könnte das Eis in den kommenden Jahrzehnten vielleicht sogar eher zu- als abnehmen.
Dieses Szenario sollten Projektgesellschaften auf jeden Fall in ihre Risikoanalyse mitaufnehmen. Derzeit wird die Verlegung neuer Tiefseekabel als Datenautobahnen unter dem arktischen Polarmeer geplant. Dabei hatten die Projektentwickler bislang auf die fortgesetzte Eisschmelze gesetzt (Hamburger Abendblatt, kleinezeitung). Die gleiche Vorsicht sollten auch Reedereien walten lassen, die bereits Tanker- und Containerschiffrouten durch den bald für eisfrei gehaltenen arktischen Ozean planen.