Global Brightening: Bessere Sicht, weniger Wolken und Erwärmung durch saubere Luft über Westeuropa

Sind Sie auch schon einmal vom Amsterdamer Schiphol Airport geflogen? Falls ja, dann könnte es Sie interessieren, dass sich die Sicht auf diesem Flughafen seit Mitte der 1980er Jahre deutlich verbessert hat. Im Zeitalter der volldigitalen Navigation mag dies nicht so wichtig erscheinen, jedoch könnte dies durchaus eine gewisse Rolle bei der Interpretation der Klimaerwärmung spielen.

Aber erzählen wir die Geschichte von Anfang an. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Luftverschmutzung in Europa allmählich zu einem ernsthaften Problem. Aufgrund der sich rapide entwickelnden Wirtschaft schossen Schornsteine wie Pilze aus dem Boden. Schwarze Rauchschwaden legten sich über die Landschaft und verdunkelten die Sonne in den europäischen Industrieregionen. Die Umwelt spielte damals nur eine untergeordnete Rolle, viel wichtiger war die Ankurbelung der industriellen Produktion. Die Grünen waren noch lange nicht am Horizont zu sehen.

Durch die lichtblockierende Wirkung der Abgase erreichte während dieser Zeit weniger Sonnenlicht den Erdboden, was wohl eine leichte Abkühlung hervorgerufen hat. Dieses Phänomen ist in der Wissenschaft auch als „Global Dimming“ bekannt. Gleichzeitig befand sich aber auch die temperaturbestimmende Pazifisch-Dekadische Oszillation (PDO) ab 1940 auf Talfahrt und um 1970 sackte auch die Sonnenaktivität für eine Dekade ab. Alle drei Faktoren zusammengenommen trugen letztendlich dazu bei, dass die globale Durchschnittstemperatur zwischen 1940 und 1977 abnahm bzw. stagnierte.

In den 1980er Jahren erkannte die Welt, dass der Schadstoffausstoß so nicht weitergehen konnte. Endlich setzte man Filter auf die Schornsteine, zumindest in Westeuropa. Und die Belohnung ließ nicht lang auf sich warten. Die Schwefelbelastung der Atmosphäre hat seitdem in Westeuropa drastisch abgenommen und die Sonne kam plötzlich wieder hinter der Abgaswolke hervor. Man spricht hier auch von „Global Brightening“. Europa müsste sich durch diesen Effekt zusätzlich erwärmt haben. So könnte ein Teil der Erwärmung in Europa zwischen 1977 und 2000 auf diesen Effekt zurückgehen. Harte Zahlen zu dieser Entwicklung gibt es jedoch noch immer leider viel zu wenig.

Zwei niederländische Wissenschaftler haben sich daher die Daten aus dieser Zeit genauer angeschaut und Erstaunliches für das Gebiet der Niederlande und Westeuropa festgestellt. Aldert van Beelen und Aarnout van Delden vom Institut für Meeresforschung und Atmosphärenwissenschaften an der Universität Utrecht veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Studie im Januar 2012 im Fachmagazin Weather

Die Forscher führten eine statistische Analyse von Daten des Flughafen Schiphols sowie der 45 km entfernten Station des königlichen niederländischen Meteorologischen Instituts in De Bilt bei Utrecht durch. Dabei erfassten sie die Anzahl der Tage mit sehr guter Sicht von über 19 Kilometern seit 1955. Während sich das Umfeld des Flughafens in dieser Zeit baulich stark entwickelt hat, veränderte sich das Gebiet um das Institut weniger stark. Hierdurch konnten verfälschende Auswirkungen durch den städtischen Wärmeinseleffekt (urban heat island effect, UHI) erkannt werden.

Es ist bekannt, dass die Sichtweite zu einem großen Teil von der Schwebstoffkonzentration (Aerosolen) in der Atmosphäre abhängig ist. Änderungen in der Sichtweite können daher oft als Indikator für Schwankungen in der atmosphärischen Aerosolkonzentration interpretiert werden. Andere Mechanismen können jedoch ebenfalls eine Rolle spielen, wie zum Beispiel die relative Feuchtigkeit, Windrichtungen, Windstärken und der Grad der Durchmischung bzw. Schichtung der Atmosphäre.

Messreihen zeigen, dass die Schwefeldioxid-Belastung der Atmosphäre über den Zentral-Niederlanden seit 1980 stark abgenommen hat (Abbildung 1). Während die Konzentration zu Beginn der Messungen noch bei 20 Mikrogramm pro Kubikmeter lag, ist sie heute auf ein Zehntel dieses Wertes abgesunken. Sporadische Messungen in den 1960er und 1970er Jahren ergaben zudem SO2-Konzentrationen von weit über dem Niveau von 1980. Für den Gesamtbereich von Mitteleuropa wird angenommen, dass die Schwefeldioxidwerte von 1980 bis 2000 um mehr als 60% zurückgegangen sind. In Osteuropa haben sich die Werte hingegen bis Ende der 1980er Jahre erhöht und fielen dann mit dem Kollaps der Sowjetunion in sich zusammen. Die Forscher nehmen an, dass die Entwicklung in Osteuropa nur in eine untergeordnete Rolle für die Niederlande spielt und lediglich bei Ostwind-Wetterlagen zum Tragen kommt. Die Konzentration anderer wichtiger Aerosol-Typen ist in den letzten Jahrzehnten über den Niederlanden ebenfalls zurückgegangen.

Abbildung 1: Abnahme des Schwefeldioxid-Gehalts in der Atmosphäre über den Zentral-Niederlanden. Abbildung aus van Beelen & van Delden (2012).

 

Die Abnahme der Schwefelbelastung in Mitteleuropa führte ab Mitte der 1980er Jahre zu einer spürbaren statistischen Vergrößerung der Sichtweite an den beiden untersuchten Stationen in den Niederlanden (Abbildung 2). In den dreißig Jahren davor, also ab den 1950er Jahren, verharrte die Sicht hingegen auf einem konstant niedrigen Plateauwert.

 

Abbildung 2: Anteil der Tage mit einer guten Sicht von mehr als 19 km am Flughafen Amsterdam Schiphol für die vergangenen 60 Jahre. Der Trend ist sowohl für Wetterlagen mit Winden, die vom Meer kommen („Maritime“) als auch für kontinental geprägte Winde aus den anderen Himmelsrichtungen („Continental“) ausgebildet. Abbildung aus van Beelen & van Delden (2012).

 

Die Forscher schauten sich auch die Entwicklung der Sonnenscheindauer an. Diese wird oft als Näherungswert für die schwerer zu ermittelnde Wolkenbedeckung verwendet. Es zeigte sich, dass die Sonnenscheindauer ab Mitte der 1980er Jahre in Schiphol und De Bilt um 25 Prozent zugenommen hat, die Wolkenbedeckung also entsprechend abgenommen hat. Das zeitliche Muster ähnelt dabei stark der Entwicklung bei der zuvor diskutierten Sichtweite. Auch den Wolken-Effekt interpretieren die beiden Wissenschaftler aus Utrecht als Folge der Änderung der Aerosolkonzentration. Weniger Aerosole bedeutet nämlich, dass auch weniger Kondensationskeime für Wolken in der Atmosphäre vorliegen.

Die Autoren der Studie halten es für möglich, dass der gesteigerte Erwärmungstrend in Westeuropa zwischen 1977 und 2000 zum Teil mit dem Rückgang der Schwefeldioxid-Konzentration zusammenhängt. Bereits frühere Autoren hatten berechnet, dass bis zu 20% der europäischen Erwärmung der letzten Jahrzehnte auf das Konto von Global Brightening gehen könnte.

Die Studie bestätigt einmal mehr, wie komplex das Klimasystem ist und dass eine Vielzahl von Faktoren betrachtet werden müssen. Ganz offensichtlich hat die Erwärmung 1977-2000 viele Väter: Neben dem Global Brightening spielt auch das hohe Niveau der Sonnenaktivität in den letzten Jahrzehnten eine entscheidende Rolle. Dazu kommen noch die aufsteigende Flanke der Pazifisch Dekadischen Oszillation (PDO), die Zunahme der wärmenden Ruß-Konzentration in der Atmosphäre sowie – last but not least – der Anstieg des CO2.

 

Siehe auch Beitrag von Roger Pielke Sr.