Einige Alpengletscher wachsen wieder. Und früher sind sie auch schon mal geschmolzen.

Die Webplattform nachrichten.at hatte am 15. April 2016 zur Abwechslung einmal Gutes vom Klimawandel zu berichten:

Ein kleiner Gletscher, der dem Klimawandel trotzt
KLAGENFURT. Das Eiskar in den Karnischen Alpen ist seit 2007 um fast sieben Meter gewachsen – Alle anderen Eisfelder gehen deutlich zurück. […] „Nach den sehr trockenen 1980er- und 1990er-Jahren hat in den Karnischen Alpen eine langsame Trendwende mit viel Schnee im Winter eingesetzt“, sagt [Gerhard] Hohenwarter [von der ZAMG Kärnten]. So habe man im Juni 2015 am Eiskar nicht weniger als 18 Meter Schnee gemessen. Der taue im Sommer nicht ab: „Deshalb kann sich eine schützende Schneeschicht bilden, und der Gletscher wächst.“

Weiterlesen auf nachrichten.at

Das erinnert ein wenig an das von den Römern umzingelte gallische Dorf. Eine interessante Sonderentwicklung? Nicht ganz. Der Standard hatte ein Jahr zuvor, am 15. Mai 2015, ebenfalls Gletscherzuwachs zu vermelden:

Für die Sonnblick-Gletscher war es ein guter Winter
ZAMG meldet Zunahme der Eismasse Wien
Österreichs Gletscher haben im vergangenen Winter offenbar überdurchschnittlich viel Masse zugelegt. Zumindest die im Bereich des Hohen Sonnblicks von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) vermessenen Gletscher gehen heuer mit einer um fünf Prozent größeren Masse in das Sommerhalbjahr als im Mittel der vergangenen Jahre, teilte die ZAMG mit.

Weiterlesen im Standard

Kurz zuvor (8.4.2015) hatte sogar die FAZ Ähnliches berichtet:

Erholungspause für die Eisriesen Österreichs
Die Gletscher in Österreich schmelzen weiter. 2014 war der Rückgang aber geringer als in den Jahren davor. Einige Eisriesen konnten sogar etwas zulegen.
2014 war in Österreich – wie auch global – im Durchschnitt das wärmste Jahr, seit Temperaturen aufgezeichnet werden, doch für die alpinen Gletscher gab es eine Erholungspause von den Rekordschmelzen vergangener Jahre. Das geht aus dem diese Woche vorgestellten Gletscherbericht 2013/14 des österreichischen Alpenvereins hervor. Zwar gingen die meisten der österreichischen Gletscher weiter zurück, jedoch nicht in so großem Ausmaß wie zuvor, und es gab (wie schon 2013) wieder einige Eisriesen, die etwas zulegen konnten.

Weiterlesen in der FAZ.

In den meisten Artikeln zu den Alpengletschern bleibt zudem leider unerwähnt, dass das Schmelzen im Prinzip nichts Neues ist. Vor 1000 Jahren, zur Zeit der Mittelalterlichen Wärmeperiode, schmolzen die Gletscher in ähnlicher Weise dahin. Im Rahmen unseres Kartierprojektes zur Mittelalterlichen Wärmeperiode (MWP) haben wir uns mittlerweile von der Iberischen Halbinsel nach Frankreich und Italien vorgearbeitet. In den entsprechenden Alpensegmenten ist die MWP deutlich ausgeprägt. Die roten Punkte in den Französischen Alpen auf der untenstehenden Karte zeigen eine deutliche MWP-Erwärmung mit Gletscherschrumpfen an.

Abbildung 1: Fallstudien zur Klimasituation in der Mittelalterlichen Wärmeperiode. Rot=warme MWP, gelb=trocken, grün=feucht, grau=unklar oder ohne Trend. Zur interaktiven Online-Karte geht es hier.

 

Beispiel Le Roy et al. 2015 mit einer Studie zum Mont Blanc Massif, veröffentlicht in den Quaternary Science Reviews. Die Forscher datierten vom Eis überfahrene Baumstümpfe und fanden eine auffällige Altershäufung zwischen 800-1200 n.Chr.. Zu dieser Zeit muss also die untersuchte Fläche eisfrei gewesen sein. Später weiteten sich die Gletscher aus, töteten den Wald ab und konservierten die Baumreste. Hier die Highlights und Kurzfassung der Arbeit, die zudem weitere Gletscherschmelz- und Wachstumszyklen aus den letzten 4000 Jahren beschreibt:

Highlights

  • A new dendrochronologically-based Neoglacial glacier record for the European Alps.
  • At least ten advances of Mer de Glace occurred during the last 3600 years.

  • Near-Neoglacial maxima occurred in the 7th, 12th and 13th centuries AD.

  • First LIA/Neoglacial maximum occurred in the 14th century AD.

  • We review evidence for Neoglacial glacier advances in the Alps.

 

Calendar-dated glacier variations in the western European Alps during the Neoglacial: the Mer de Glace record, Mont Blanc massif
Holocene glacier records from the western European Alps are still sparse, although a number of sites are well suited to constraining pre- and early- Little Ice Age (LIA) glacier advances. The present study provides the first dendrochronologically-based and calendar-dated Neoglacial glacier chronology for the Mont Blanc massif, French Alps. It is based on the analysis of over 240 glacially buried Pinus cembra subfossil logs and wood remains found either embedded-in-till or as detrital material in the Mer de Glace right lateral moraine. Only a few of the samples were found to be ‘formally in situ’ but we show that some logs were ‘virtually in situ’ (not rooted but showing little or no evidence of reworking) and could be used to accurately reconstruct past glacier margin behavior in space and time. Uncertainties regarding the other samples may relate to original growth location and/or to outer wood decay. The resulting dates (followed by a ‘+’) were therefore considered maximum-limiting ages for glacier advances. The main burial events – interpreted as glacier advances – occurred between ca 1655+ and 1544+ BC, between ca 1230+ and 1105+ BC, between ca 1013+ and 962+/937+ BC, at ca 802–777 BC, after 608+ BC, between 312 and 337 AD, between ca 485+ AD and 606+ AD, between 1120 and 1178 AD, between ca 1248 and 1278+/1296 AD, and after 1352+ AD. These advances predate the late LIA maxima known from historical sources. The magnitude of the advances gradually increased to culminate in three near-Neoglacial maxima during the 7th, 12th and 13th centuries AD, followed by a first LIA/Neoglacial maximum in the second half of the 14th century AD. The pattern of Neoglacial events described here is coherent with Central and Eastern Alpine glacier chronologies. This indicates marked synchronicity of late Holocene glacier variability and forcing at a regional scale, although occasional differences could be detected between ‘Western’ and ‘Eastern’ records. The Mer de Glace record also confirms the link between the timing of sediment erosion in a high-elevation glaciated Alpine catchment and subsequent deposition in the sub-alpine Lake Bourget.

Bei dieser Gelegenheit möchten wir uns herzlich bei Uli Weber und M.B. für weitere Spenden zum MWP-Kartierprojekt  bedanken. Die Datenerfassung wird sich nun im Mittelmeergebiet ostwärts nach Griechenland, Türkei und den Mittleren Osten weiterbewegen. Angedacht ist eine erste Synthese zur MWP in Afrika und benachbarten Randgebieten, die bei einem Fachjournal eingereicht werden soll. Allen Förderern des Projektes ein großes Dankeschön.

Bleiben wir noch kurz in den Alpen und springen in die Schweiz. Ein Team um Lukas Glur veröffentlichte 2015 in The Holocene eine Studie zur Gletscherentwicklung in den Schweizer Zentralalpen. Auch hier schrumpften die Gletscher während der Mittelalterlichen Wärmeperiode dramatisch. Die Forscher fanden zudem eine Reihe von Gletschervorschubsphasen während der letzten 2000 Jahre, die oftmals mit solaren Schwächeperioden zusammenfielen. Hier die Haupt-Abbildung aus der Arbeit (graue markierte Zeiten markieren Gletschervorschübe):

Abbildung 2: Gletscherentwicklung in den Schweizer Zentralalpen während der letzten 2000 Jahre. Grau-markierte Zeiten (Ausschlag der blauen Kurve ‚MAR Trüebsee‘ nach oben) entsprechend Kaltepisoden mit Gletschervorschub. Quelle: Glur et al. 2015.

 

Die klimatisch bewegte Gletscherentwicklung der Alpen wurde auch von einem Team um Irene Schimmelpfennig 2012 in Geology beschrieben. Phys.org berichtete damals über die Arbeit:

Cold spell gripped Europe 3,000 years before ‚Little Ice Age,‘ says study
Human civilization arose during the relatively balmy climate of the last 10,000 years. Even so, evidence is accumulating that at least two cold spells gripped the northern hemisphere during this time, and that the cooling may have coincided with drought in the tropics. Emerging research on climate during this Holocene period suggests that temperature swings were more common than previously thought, and that climate changes happened on a broad, hemispheric scale.

In a new study in Geology, Irene Schimmelpfennig, a postdoctoral researcher at Columbia University’s Lamont-Doherty Earth Observatory, and her colleagues find that one glacier in the Western Alps was bigger than today during at least two periods in the last 10,000 years—during the well-documented Little Ice Age between 1300 AD and 1850 AD, and at an earlier time, from 3,800 to 3,200 years ago.

Between 2006 and 2010, Schimmelpfennig and colleagues traveled to Switzerland’s Tsidjiore Nouve Glacier to collect rocks dragged downhill by past advancing glaciers. As temperatures warmed and the ice retreated, the ridges of rock or sediment, or moraines, left behind were bombarded by cosmic rays.

Weiterlesen auf Phys.org.

Im August 2015 wurde dann der Fund eines Baumes aus der mittelholozänen Wärmeperiode bekannt, als das Eis noch viel weiter zurückwich als heute bzw. in der Mittelalterlichen Wärmeperiode. Der ORF Kärnten berichtete am 25. Juni 2015:

Pasterze gibt 6.000 Jahre alten Baum frei
Die Pasterze am Fuße des Großglockners hat eine Zirbe freigegeben, die auf ein Alter von 6.000 Jahre datiert wurde. Ende Juni wurden die beiden Baumteile mit dem Hubschrauber vom Gletscher geholt, unterstützt von Experten der Uni Graz. […] Im Jahr 1990 entdeckte der Gletscherforscher Heinz Slupetzky zwei Holzstammreste. Dieser „Pasterzenbaum“ wuchs vor mehr als 9.000 Jahren und ist eine ungefähr 300 Jahre alte Zirbe. Die rasch zurückschmelzende Gletscherzunge gibt in den letzten zehn Jahren verstärkt Holzfragmente und Torfstücke frei. All diese Funde belegen, dass in den Bereichen, wo es heute nur Eis, Schutt, Sand und Wasser gib, vor 9.000 und auch zwischen 7.000 und 3.500 Jahren alte, teilweise hochstämmige Zirben wuchsen. […] Entdeckt wurde der nun geborgene Zirbenstamm schon im September 2014 von zwei Mitarbeitern der Grossglockner Bergbahnen/Gletscherbahn. Erste Analysen durch Andreas Kellerer-Pirklbauer (Uni Graz) und Kurt Nicolussi (Uni Innsbruck) ergaben ein Alter von circa 6.000 Jahren.

Ganzen Artikel beim ORF Kärnten lesen.

Interessant auch Alex Reichmuths Artikel in der Weltwoche vom 26. August 2015:

Gletschersterben: Schmilzt das Eis, warten blühende Landschaften
Steigen die Temperaturen in diesen Tagen über dreissig Grad, wird auch das Lamento über den Rückzug des «ewigen Eises» wieder einsetzen. Unzählige Medienbeiträge beklagen das «Gletschersterben» – gerade so, als wären die Eiszungen Persönlichkeiten.

«Die Gletscher in Grindelwald leiden derzeit täglich», titelte SRF. Stets folgen düstere Mahnungen von «Fachleuten», endlich dem Klimawandel Einhalt zu gebieten.

Welch ein Unsinn!

Seit Jahrtausenden stösst die Gletscherbedeckung vor oder zieht sich ­zurück. Noch bis ins 19. Jahrhundert beteten Bergbewohner zu Gott, er möge die Gletscher stoppen. Ihre Sorgen waren berechtigt, überfuhren doch wachsende Eiszungen regelmäs­sig wertvolles Weideland oder machten ganze Siedlungen platt. Schmelzende Gletscher aber bedrohen nichts und niemanden. Selbstverständlich verändern sich, übers Jahr gesehen, die Pegelstände von Bächen und Flüssen, wenn in höheren Regionen Eismassen verschwinden. Das kann heissen, dass die Wasserversorgung in landwirtschaftlichen Gebieten angepasst werden muss oder dass die Bedingungen für die Gewinnung von Energie wechseln. Doch es bleiben Jahrzehnte für entsprechende Veränderungen.

Wären fehlende Gletscher eine Bedrohung, wie es ständig suggeriert wird, müssten in Regionen ohne Eis Notstände herrschen – schon seit Jahrhunderten. Aber die Teile der Alpen, in denen schon heute Gletscher fehlen, sind weder verödet, noch leiden deren Bewohner Durst.

Weiterlesen in der Weltwoche.

Angesichts der überdeutlichen Zeichen aus der Gletschergeschichte erscheint ein fast zeitgleich erschienener Beitrag des SRF plump alarmistisch:

Jetzt schmelzen die Gletscher im Höllentempo
Noch nie schmolzen die Gletscher rascher als in den ersten zehn Jahren des 21. Jahrhunderts. Der Welt-Gletscher-Beobachtungsdienst an der Universität Zürich kommt zu dramatischen Ergebnissen: Bei gleichbleibendem Klimawandel werden bis Ende des Jahrhunderts 90 Prozent des Eises verschwunden sein.

Der Tonfall (Jetzt! Höllentempo!) macht sofort klar, hier kann kein normaler natürlicher Zyklus am Werke sein – oh nein, der Allmächtige behüte uns vor solch ketzerischen Wahngespinsten – sondern nur der postmoderne Höllenfürst himself, d.h. Ober-Diabolus CO2, muss hier seine teuflische Regie führen… Wie so oft in der Klimadiskussion stellt sich die Frage, ob man lachen oder weinen soll. „Höllentempo“ und „Welt-Gletscher-Beobachtungsdienst“ erinnern eher an Momo und die Grauen Herren als an wissenschaftlichen Diskussionstil.