Der normale Zeitungsleser hat sicher einen Mordsschreck bekommen: Zwischen den Klima- und Umweltkonferenzen in Bonn und Rio verkündete die Presse, dass die 400 ppm CO2-Schallmauer durchbrochen wurde (siehe dazu unseren kürzlichen Blogartikel Hans von Storch ist sauer: Was hat sich die Internationale Energieagentur da nur wieder geleistet?). Runde Zahlen sind immer eine Meldung wert. Überraschend kam der Anstieg trotzdem nicht. Die CO2-Konzentration steigt nämlich jedes Jahr an. Da könnte man jeweils am 1. Januar einen neuen Rekord vermelden, wenn man wollte. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Staatsverschuldung Deutschlands. Die steigt auch ständig an und hätte dafür eine tägliche Rekordmeldung verdient.
Auf Rekordjagd hat sich nun auch das National Climatic Data Center (NCDC) der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) begeben. Und die Behörde wurde fündig. Kürzlich gab das NCDC seine Klimastatistik für Mai 2012 heraus und konnte gleich über zwei neue Bestleistungen und einen Vizerekord berichten. Betrachtet man die globalen Oberflächentemperaturen von Land und Ozean gemeinsam, so hat die Welt soeben den zweitwärmsten März seit Beginn der Aufzeichnungen 1880 erlebt. Im Kampf um die Spitze konnte sich der Mai des Jahres 2010 nur knapp gegen seinen Herausforderer behaupten. Anders sieht es aus, wenn man die Landtemperaturen separat anschaut. In dieser Disziplin wurde der Mai 2012 strahlender Sieger und kann sich nun als wärmster Mai seit Beginn der Aufzeichnungen rühmen. In den Vereinigten Staaten sieht es ähnlich aus. Auch hier wurde der wärmste Mai seit Beginn der Messungen 1895 festgestellt (siehe auch Bericht auf Climate Central und WUWT).
Wenn man sich auf die Satellitendaten konzentriert und die Bodenmessungen ausklammert, relativiert sich der Rekord jedoch wieder ein wenig. In dieser Wertung muss sich der Mai 2012 in den USA mit dem vierten Platz begnügen, sagt Klimawissenschaftler Prof. John Christy von der University of Alabama in Huntsville. Temperaturdaten von Satelliten werden als sehr viel verlässlicher angesehen als Bodenmesswerte, die durch Wärmeinsel-Effekte und andere Störfaktoren beeinflusst werden können. Allerdings gibt es die Satellitenmesswerte erst seit 1979.
Auch die Jahresstatistik für 2011 hat einen viel publizierten Spezialrekord ergeben. 2011 soll das wärmste Jahr mit kühlendem La Nina-Effekt gewesen sein, einem pazifischen Phänomen, das die globale Temperatur leicht nach unten zieht (siehe auch Bericht im Focus). Lässt man den La Nina außen vor, dann sieht es allerdings ziemlich mager aus. In diesem Fall war 2011 leider nur das elftwärmste Jahr seit 1850. Anders ausgedrückt: Offensichtlich war 2011 sogar eines der kältesten Jahre des Temperaturplateaus, auf dem wir uns seit 1998 – also seit nunmehr 14 Jahren – befinden. So könnte man es auch schreiben, wenn man es wollte.
Genug alarmistisch gegruselt und zurück zur Wissenschaft. Höchste Zeit, einmal etwas genauer auf die harten Daten zu schauen. Zu diesem Zweck kommt uns die ausgezeichnete monatliche Faktenzusammenfassung von Climate4you.com wie gerufen. (Falls Sie sich für den kostenlosen Email-Dienst anmelden wollen, finden Sie den Anmelde-Link unterhalb der 2009-2012-Tabelle auf der Climate4you-Startseite). Ein Blick auf die globale Satelliten-Temperaturserie zeigt, dass auch der Mai 2012 keineswegs aus der Reihe tanzt und vielmehr fester Bestandteil des besagten Temperaturplateaus ist (Abbildung 1). Es ist schon erstaunlich, wie hartnäckig sich dieser Erwärmungsstop hält. Keines der vom IPCC verwendeten Klimamodelle hat dieses Plateau vorhergesagt. Auch die vormals hochgepriesenen Temperaturprognosen von Hartmut Graßl und James Hansen schießen turmhoch über die Realität hinaus (siehe unsere Blogartikel Graßl’s Erwärmungsprognose von 1990 droht dramatisch zu scheitern und Was ist eigentlich aus James Hansens Temperaturvorhersage von 1988 geworden? Zeit für eine Überprüfung). Trotz dieser eklatanten Fehlprognosen sind die beiden immer noch gern gesehene Ansprechpartner bei vielen Medien. Verstehe dies wer wolle.
Abbildung 1: Temperaturentwicklung der letzten 33 Jahre auf Basis von Satellitendaten (UAH-Datenserie). Abbildungsquelle: climate4you.
Kommen wir noch einmal zum Hitze-Mai 2012 zurück. Hier wird die Situation offensichtlich ziemlich verzerrt dargestellt. Als Vergleichsstandard zieht die Welt Meteorologie Organisation (WMO) gerne das Intervall 1961-1990 heran. In diese Zeit fällt jedoch auch die außergewöhnlich kalte Phase von 1940-1977, als sich die Temperatur bereits schon einmal standhaft geweigert hatte weiter anzusteigen. Daher ist es kein Wunder, dass fast alle Werte des heutigen Temperaturplateaus als rote, warme Flecken auf derartigen Anomalienkarten erscheinen. Richtig sinnvoll ist dies jedoch nicht, wenn man sich für die aktuellen Temperaturtrends interessiert. Aus diesem Grund hat Climate4you ein geeigneteres Referenzintervall, nämlich 1998-2006 ausgewählt, das eine Art Mittelwert für das Temperaturplateau darstellt. Eine auf dieser Basis erstellte Mai-Temperaturkarte ist in Abbildung 2 dargestellt. Und siehe da, plötzlich wird einiges klarer. Die US-Rekorde wurden offenbar überwiegend von einem Wärmefleck im östlichen Teil der USA verursacht, der sich auch in das östliche Kanada erstreckt hat. Zwei, drei weitere solcher grün-gelber, warmer Flecke sind noch auf der Karte zu erkennen. Der größte Teil der Erde ist jedoch in unterdurchschnittliches blau gehüllt. Eine Katastrophe sieht anders aus.
Abbildung 2: Oberflächentemperatur vom Mai 2012 im Vergleich zum Durchschnittswert 1998-2006. Grün-gelbe Gebiete sind wärmer, blaue Gebiete kälter als der Durchschnitt. Abbildungsquelle: climate4you auf Basis von GISS.
Ok, könnte man nun sagen, das Temperaturplateau dauert doch „erst“ seit 14 Jahren an. Muss man da nicht längere Zeiträume betrachten? Oft wird hier die ominöse 30-Jahresregel als Klimadefinition angeführt. Das stimmt natürlich irgendwie. Aber zum Glück gibt es auch hier eine eher beruhigende Entwicklung. Mit jedem Jahr, das sich das Temperaturplateau vorne verlängert, schiebt sich nämlich das 30-Jahresfenster ein Stück weit aus der starken Erwärmungsepisode 1977-1998 heraus. Dafür kommt jeweils ein längeres Stück des Plateaus in die Rechnung dazu. Die Erwärmungsrate sinkt entsprechend mit jedem Jahr immer weiter ab.
Für viele Betrachtungen sind 30 Jahre jedoch unpraktisch. Satellitendaten gibt es zum Beispiel erst seit 33 Jahren, da könnte man statistisch noch nicht viel rechnen. Eine Gruppe um den IPCC-Leitautoren Ben Santer hat daher einmal überprüft, ab welcher Intervall-Länge es eigentlich Sinn macht, nach menschengemachten Einflüssen auf die Temperaturgestaltung zu suchen. Sie kamen zu dem Ergebnis, das es mindestens 17 Jahre sein müssen.
Und Potzblitz, plötzlich entdecken wir einen Weltrekord der ganz anderen Art: Wir erleben derzeit den niedrigsten Temperaturanstieg einer 17-Jahresreihe seit Beginn der Satelliten-Temperaturdaten. Momentan beträgt die Erwärmungsrate lediglich 0,04°C pro Dekade, was absoluter Minusrekord ist. Der Höchstwert vor etlichen Jahren betrug einmal 0,26°C pro Dekade, also mehr als das Sechsfache. Berichtet hat über den neuen Rekord bislang nur dh7fb. Ob die Süddeutsche Zeitung und die taz bald folgen werden?
Abbildung 3: Wir erleben derzeit den niedrigsten Temperaturanstieg einer 17-Jahresreihe seit Beginn der Satelliten-Temperaturdaten. Quelle: dh7fb
Die angeblichen Hitzerekorde in den USA sind noch aus einem anderen Grund mit gesunder Skepsis zu betrachten. In den 1930er Jahren waren die Temperaturen in den Vereinigten Staaten bereits auf einem ähnlich hohen Niveau wie heute (siehe Abbildung 21 auf S. 109 in unserem Buch „Die kalte Sonne“). Nun ist es jedoch unter den Hütern der globalen Temperaturdaten guter Brauch, diverse „Korrekturfaktoren“ auf die Daten anzuwenden. Zum Teil wird dies aus gutem Grund getan, wenn unerklärliche Ausreißer gefunden werden, zum Teil sind diese Prozeduren jedoch äußerst fraglich. Wir werden zu diesem Thema in Kürze einen gesonderten Artikel bringen. Nun ist es in den USA passiert, dass die hohen Temperaturen der 1930er Jahre manuell von einigen Datenreihen-Instituten nachträglich nach unten korrigiert wurden. Hierauf weist zum Beispiel James Taylor auf forbes.com zu recht hin und zweifelt daher die Rekordtauglichkeit der aktuellen Hitzewerte an.
In Großbritannien sieht es übrigens danach aus, als wenn der Sommer dieses Jahr ausfallen könnte. Im Juni 2012 hat es so viel geregnet wie selten, und traurig-grauer Himmel versetzte die Bevölkerung in Depressionen. Zum Glück hat England dann im Fußball gewonnen, was die Stimmung wieder etwas aufhellte. In den Vorhersagen wird davon ausgegangen, dass bis mindestens September mit keiner nennenswerten Hitzephase mehr zu rechnen sei. Der Daily Express titelte daraufhin: „Summer starts in September“.
Ach ja, und dann war da noch ein anderer, ganz frischer Rekord. Am 11. Juni 2012 registrierte die Wetterstation der University of Wisconsin-Madison am Südpol die kälteste Temperatur seit Beginn der Aufzeichnungen. Mit -73.8°C war es um ein halbes Grad kälter als der ursprüngliche Tiefstwert, der im Jahre 1966 gemessen wurde. Die Presse schweigt beharrlich hierzu.
Mit alarmistischen Pseudo-Rekorden lässt sich so manche Zeitungsspalte füllen und der ein oder andere Forschungs-Euro organisieren. Die Sinnhaftigkeit dieses selektiven Vorgehens muss jedoch als höchst fraglich eingestuft werden.
Mit Dank an dh7fb, Ole Humlum und Joachim Seifert für die Bereitstellung von Material.
Siehe auch englischsprachiger Artikel auf notrickszone.com