Von Frank Bosse und Fritz Vahrenholt
Unsere Sonne war im September (Achtung: es kommt eine Abweichung vom stereotypen!) besonders inaktiv im Vergleich zu früheren SC (Solar Cycle). Die festgestellte Sonnenfleckanzahl ( SSN für SunSpotNumber) betrug im Vormonat nur 3,3, dies sind ganze 11,5% des mittleren Wertes ( aufgenommen als Mittelwert der Zyklen 1-23) für diesen 118. Monat des laufenden Zyklus Nummer 24. An 23 Tagen des Monats war die Sonne gänzlich ohne Fleck, die wenigen beobachteten dunklen Stellen auf der Sonnenoberfläche verteilten sich recht symmetrisch über beide Hemisphären unseres Zentralgestirns.
Abb.1: Der Verlauf der monatlichen SSN des aktuellen Zyklus 24 (rot) im Zusammenhang mit dem mittleren Verlauf eines Zyklus, beobachtet seit März 1755 (blau) und dem seit langer Zeit recht ähnlichen Zyklus 5 ( schwarz), der um 1805 herum aufgezeichnet wurde.
Die Aktivität der Sonne ist buchstäblich am Boden, in der Nachschau sehen wir, dass wir bereits seit etwa Oktober 2017 im Minimum angekommen sind. Dafür sprechen auch die polaren solaren Felder, die seit dieser Zeit praktisch nicht mehr anwuchsen, seit Februar 2018 gehen die südpolaren Felder sogar tendenziell zurück. Der Vergleich der Zyklen untereinander:
Abb.2: Die Stärke der Fleckenaktivität der einzelnen Zyklen. Die Zahlen im Diagramm entstehen durch die Aufsummierung der monatlichen Abweichungen ( Anomalien) vom Mittelwert, blau in Abb.1, bis jeweils zum 108. Monat jedes Zyklus.
Am Aussehen von Abb.2 wird sich auch in den kommenden Monaten nicht mehr viel tun, in keinem der Zyklen gab es so bedeutende Unterschiede in den noch verbleibenden rechnerischen 14 Monaten bis zum Ende der 11-jährigen Zyklen. Seit dem Zyklus 6 im Dalton- Minimum sahen wir integriert über den Gesamtzyklus nicht so geringe Aktivität wie im Zyklus 24.
Des Menschen Interesse gilt wie üblich der Zukunft. So auch hier die Frage: Was bringt uns die Sonne nach 2020, dem wahrscheinlichen Start des kommenden Zyklus 25? Wir hatten allein aus der Stärke der gegenwärtigen polaren Felder hier schon seit mehreren Monaten gemutmaßt: Der Zyklus wird etwas stärker als der vergangene aber nicht so stark wie ein mittlerer. Ebenfalls die polaren Felder und einen weiteren Parameter benutzt eine Arbeit aus dem August 2018 von Lisa A. Upton und David H. Hathaway vom Observatorium Boulder (wo die solaren polaren Felder seit vielen Jahren beobachtet werden) und der Universität Stanford. Sie sagen voraus: SC 25 könnte sogar noch etwas geringer (5%) in der Aktivität ausfallen als der nun verebbende SC24.
Die Gemeinschaft der Wissenschaftler, die sich mit der Sonne beschäftigen, ist sich diesmal recht einig: Wir erwarten mindestens einen weiteren schwachen Zyklus. Alle, die vor allem empirische Wissenschaft über die Auswirkungen der Sonnenaktivität auf unsere Erde betreiben, wird das freuen. Endlich bekommen wir mehr Daten aus solchen auch längeren Phasen. Für Zeiten höherer Sonnenaktivität hatten wir auch im Satellitenzeitalter zwischen Zyklus 20 (um 1970 herum) und Zyklus 23 (bis 2008) reichlich Gelegenheit zur Datenakquise.
Das arktische Meereis im Sommer 2018 und das Ende der „Todesspirale“
Das gab wieder ein Erschrecken zum morgen: Beim Frühstück verkündete das Radio durch Prof. Antje Boetius das Ertrinken der Eisbären bis 2050, dann käme der erste eisfreie Sommer in der Arktis (ab Min.2 der Audiodatei). Ähnliche, mit dem Brustton der Überzeugung vorgetragene Weisheiten mit dem gleichen Ergebnis, gibt es schon lange. Das wollen wir genauer wissen und beschäftigen uns zunächst mit dem, was Fakt ist. Was passierte in dieser Tausaison und wie ging es aus?
Um es vorweg zu nehmen: Keine Sensationen. Die minimale Eisausdehnung („Extent“, definiert als mit mindestens 15% von Eis bedeckter Ozeanfäche) wurde festgestellt mit 4,71 Mio km². Damit belegt 2018 den 6. Platz von hinten, es gab mehr Eis als in 2007, das war vor 11 Jahren. Ein Blick auf die Grafik:
Abb.3: Die Eisausdehnung (Extent, schwarz) und die Reineisfläche (Area, mangenta) jeweils für den September über die Zeit ab 1979 aus Satellitenbeobachtungen, Daten.
Jeweils der lineare Trend und eine 15-jährige Glättung (fett) als nichtlinearer Trend sind ebenfalls eingetragen. Es ist auffällig, dass der nichtlineare Trend bei beiden Größen Buckel und Dellen hat. In den 90ern ging der Verlust an Eis langsamer voran, ab etwa 2004 dann eine Beschleunigung des Rückganges, ab 2012 dann sogar ein leichter Aufwärtstrend wieder. Wann könnten also die Eisbären ertrinken, wenn wir uns die schlechten Nachrichten von Prof. Antje Boetius aus dem Radio erklären wollen? Ganz einfach: Die schwarze lineare Trendlinie aus Abb.3 flugs verlängert bis nur noch 1 Mio km² übrig sind, definitionsgemäß für „eisfrei“. Das macht 45 Jahre ab 2018, so die richtige Antwort auf die Frage. So ungefähr könnte es doch hinkommen mit 2050 oder 2063, seien wir nicht kleinlich…oder etwa nicht? Lineare Trendextrapolation als wissenschaftliche Vorhersage? Dreisatz-Klimatologie? Für’s Radio scheint das zu reichen. Wir sind aber nicht im Radio.
Schauen wir uns die Sache näher an. Welche Faktoren wirken auf das Eis? Eine taggenaue Analyse des Extentverlaufes für die kritische Zeit ab 2010 könnte helfen.
Abb. 4: Die prozentualen Abweichungen der einzelnen Jahre seit 2010 (2007 als erstes Jahr mit massivem Extentverlust zum Vergleich) vom Mittelwert der 2000er, Daten.
Die Abbildung zeigt, dass in jedem Jahr die Arktis nahezu wieder zufriert, 90…95% Eis, bezogen auf den täglichen Mittelwert der 2000er, sind in der sonnenlosen Zeit jedes Jahr zu verzeichnen. Im Mai/Juni beginnt das große Schmelzen und jedes Jahr sieht über die Zeit ein wenig anders aus. Sehr deutlich auch die dramatische Schmelze in 2012, vor 6 Jahren war zum Minimum die Arktis nur noch zu 58% von Eis bedeckt, denn 100% Abweichung vom aktuellen Mittelwert heißt: kein Eis mehr. Im aktuellen Jahr sah es lange sehr moderat aus, ab dem 25. September gab es aber auch eine Delle nach unten. Es wurde bis zur 3. Oktoberdekade recht warm in der Arktis, was die Neuvereisung verzögerte. So etwas richtet Wetter an. Die Erholung des Eises kam dann jedoch sehr ausgeprägt, wie die rote Linie für 2018 am Ende verrät. Die Abweichung zum Mittelwert der 2000er zum gegenwärtigen Zeitpunkt beträgt weniger als 15% und bis in den Dezember hinein wird sie wohl auf unter 5% zurückgehen. Die Sommertemperaturen (Mai-September) scheinen sich also sehr stark auszuwirken. Und tatsächlich, die Arktis erwärmt sich seit 1920 etwa mit dem Faktor 1,6 schneller als der ganze Planet, Daten.
Abb. 5: Die Temperaturanomalien nördlich 65° N seit 1920 während der Schmelzsaison ( Mai-September) mit einer 15 jährigen Glättung (fett).
Kommt es also demnächst doch zur „Todesspirale“ des arktischen Eises, von der wir schon so viel hörten, beispielsweise hier? Das Eisvolumen soll immer mehr beschleunigt zurückgehen und das wäre schließlich dann auch das Ende der Eisausdehnung. Aber auch hier erreichen wir nach 2013 nicht mehr die Werte der Jahre 2010-2012, auch hier flacht sich der Trend ab, wie u.a. eine neue Arbeit (Abb. 3 da) mit Satellitenmessungen findet.
Es gibt offenbar eine „Bremse“, eine negative Rückkopplung, die bei weniger Eis zur Zeit des Minimums mehr Eiszuwachs erzeugt als bei mehr Eis im Minimum zum Oktober. Eine aktuelle Arbeit von Alek A. Petty von der NASA und seinen Kollegen hat das näher beleuchtet. Sie stellten fest, dass dünneres Eis schneller wächst als dickeres Eis durch die Isolationswirkung zum Wasser hin. Sie stellten einen robusten (negativen) Zusammenhang zwischen dem Eisvolumen jeweils im Oktober und dem Zuwachs bis April des Folgejahres fest. Je weniger Eis es im Oktober (nach der Schmelze)gibt, desto mehr Eis kommt bis April hinzu. Wir haben dies nachvollzogen mit den Daten des Eis-Volumenmodells „PIOMAS“.
Abb. 6: Der Zuwachs an Eisvolumen in Abhängigkeit vom Eisvolumen im Oktober für die Jahre ab 1979. Der gezeigte lineare Trend ist hoch signifikant.
In Petty et al (2018) vermutet man ein Nachlassen des Trends (und damit des negativen Feedbacks) bei noch weniger Eis, dies ist jedoch empirisch nicht zu bestätigen. Der logarithmische Trend in Abb.6 ist noch treffender (höheres Bestimmtheitsmaß R² als der lineare Trend) und der weist eher zu noch höheren Zuwächsen bei weniger Eis. Es ist also viel komplexer als der Dreisatz aus dem Radiobeitrag. So richtig beängstigend wurde der Eisrückgang in der Arktis ja ab 2007. Was passierte in diesen Zeiten global klimatisch?
Trägt man die globalen Temperaturen ab und vergleicht sie mit den Antrieben, die aus verschiedenen Quellen kommen wie Vulkane, Treibhausgase, kurzfristige solaren Einflüsse etc., so ergeben sich nach Abzug auch von Wirkungen durch ElNinos und LaNinas immer noch Differenzen (man nennt sie Residuen bei einer Regression), die sich durch Wirkungen jenseits der schon berücksichtigten ergeben. Damit wir mögliche Fehler durch verschiedene Temperaturreihen unterschiedlicher Anbieter vermeiden, berücksichtigten wir all die, die auch durch begutachtete Literatur validiert sind.
Abb. 7: Die 15-jährig geglätteten Residuen nach einer Regression am Klimaantrieb ( „Forcing“) zwischen 1950 und 2016. Die bekannten Temperaturreihen wurden durch ein Reanalyse- Produkt ( NCEP) ergänzt.
Was hier eindeutig zu sehen ist: nach etwa 1985 gab es einen globalen Hub mit einem Maximum um 2007. Alle Messreihen sind sich da einig, wir können ihn als gegeben hinnehmen. Das Muster entspricht recht genau der AMO, wir widmeten ihr bereits längere Beiträge, u.a. hier. Die Erwärmung hat dabei den geografischen Schwerpunkt Nordatlantik, der wiederum große Wirkungen auf die Arktis ausübt. Vergleichen Sie bitte Abb. 3 und Abb.5 mit Abb. 7 ab 1980: Erkennen Sie die Ähnlichkeiten? Die positive AMO-Welle ( eindeutig natürlichen Ursprungs) als zusätzlicher Treiber der arktischen Schmelze.
Noch einmal zum Dreisatz mit dem Ergebnis: 2050… Glauben Sie im Ernst, es wäre so einfach? Das nimmt nicht einmal das IPCC an in seinem taufrischen „Spezialreport“ über die Erreichbarkeit des 1,5°C- Zieles. Dort steht zu lesen:
„There is high confidence that the probability of a sea-ice-free Arctic Ocean during summers substantially higher at 2°C when compared to 1.5°C. It is very likely that there will be at least one sea-ice- free Arctic summer out of 10 years for warming at 2°C, with the frequency decreasing to one sea-ice-free Arctic summer every 100 years at 1.5°C.“
Quelle: S.3-8, Zeile 6-15
Also bei 1,5°C über vorindustriellem Niveau sollen wir einen arktischen eisfreien Sommer alle 100 Jahre bekommen. Wir haben jetzt ca. 0,9°C Erwärmung global, es fehlen also 0,6°C. Eine Erwärmung auf 2°C (um weitere 0,5°C mehr) soll die Wahrscheinlichkeit auf einen eisfreien Sommer alle zehn Jahre vergrößern. Selbst in den Szenarien des „Konsens“ (hier oft als zu heiß laufend kritisiert) der Klimawissenschaft werden also eisfreie arktische Sommer in naher Zukunft (2050, in 32 Jahren) praktisch ausgeschlossen. Offensichtlich gibt es Akteure, die noch schrillere Töne, warum auch immer, bevorzugen – jenseits gesicherten Wissens oder treffender: rein spekulativ.
Die feuchten Träume einiger Aktivisten vom sich selbst verstärkenden Schmelzen der Arktis in wenigen Jahren in einer „Todesspirale“ sind wohl ausgeträumt. Vergessen Sie also nicht die Fakten und den Stand der Wissenschaft, wenn die Sau der bald ertrinkenden Eisbären in einer Eis-losen Arktis mal wieder durchs Dorf getrieben wird.