Von Frank Bosse
Haben Sie es auch gelesen? „Die Ozeane erwärmen sich viel schneller als gedacht!“ konnte man in den letzten Tagen allerorten im Blätterwald lesen. Eine Arbeit, im weltweit führenden Wissenschaftsjournal „Nature“ erschienen, erhitzte die Gemüter. Das „führende Wissenschaftsmagazin“ „Bild“ immerhin mahnte am Ende an, dass es weitere Studien braucht. Andere Medien waren da offensiver, hier oder hier. Ganz besonders hoch her ging es in angelsächsischen Ländern, die Washington Post brachte einen großen Artikel, in Großbritannien zog man nach.
Was genau steckt dahinter? In der Studie verfolgt man einen an sich cleveren Ansatz: Wie entwickelt sich der Wärmeinhalt der Ozeane (OHC für Ocean Heat Content)? Für die Jahre ab etwa 2004 hat man dafür sehr verlässliche Daten, es gibt sehr viele Bojen die regelmäßig bis in 2000 m Tiefe tauchen und die Daten sammeln. Das „Argo“ Programm hilft, die Fragen nach dem „wieviel“ der Ozeanerwärmung zu klären. Für die Zeit davor gibt es nicht so verlässliche Beobachtungen. Hier nun setzt die „Nature“ Studie an und benutzt atmosphärische Daten, die es reichlich gibt. Wenn die Ozeane wärmer werden, dann lösen sich Gase und entweichen in die Luft. Der Gehalt an Sauerstoff und Kohlendioxid ist schon ab etwa 1991 mit recht hoher Genauigkeit bekannt und die Studie liefert nun Werte zurückgerechnet für die Ozeane. Die Schlüsselabbildung der Arbeit sei hier wiedergegeben:
Abb.1: Die Entwicklung des OHC 1991…2016 durch verschiedene Studien ermittelt in rot das Ergebnis der neuen Arbeit) (a) und die errechneten Trends des Gehaltes an Sauerstoff und CO2 die durch die Erwärmung der Ozeane erzeugt werden, zusammengefasst zum Index „APO Climate“ für „Atmospheric Potential Oxygen“. Quelle: Abb. 1 aus Resplandy et al ( 2018).
Man erkennt gut, dass der Trend von 1991 bis 2016 deutlich höher in der neuen Arbeit, als es andere Studien ermittelten, die direkte Messungen im Wasser benutzen. Und genau das veranlasste zu weitgehenden Schlussfolgerungen in der Arbeit. Der Ozean erwärme sich schneller als gedacht, man müsse die Klimasensitivität gegenüber CO2 erhöhen, und zwar am unteren Ende eine Erhöhung um 0,5°C pro Verdopplung von CO2. Den Wert hatte man im letzten IPCC-Bericht 2013 (AR5) gerade um 0,5°C nach unten korrigiert auf 1,5 °C im Vergleich zum Vorbericht AR4 (2007) im Lichte neuer Erkenntnisse, die sich nicht aus Modellen, sondern aus Beobachtungen ergaben. Die Arbeit „Otto et al (2013)“ gelangte zu großer Aufmerksamkeit, wurde schon 151 mal zitiert und ein Co-Autor (und der Hauptinitiator der Studie) war Nicholas „Nic“ Lewis. Wir kommen auf ihn später zurück.
Weitere Schlussfolgerung in der neuen OHC-Arbeit: Das noch vorhandene Budget für den Kohlendioxid-Ausstoß zur Einhaltung des 2°C (oder 1,5°C) – Ziels soll um 25% zusammenschrumpfen. Das hatte der neue „1,5 Grad Spezialbericht“ des IPCC gerade deutlich angehoben nach der Verarbeitung vieler neuer Studien hierzu. Nun also eine Arbeit, die alles verändert? So ein einzelner „game changer“ ist extrem selten in der Wissenschaft und die Fachwelt (auch des IPCC) schaute aufmerksam hin. Bezüglich der unterstellten Auswirkungen auf die Klimasensitivität kamen bald Zweifel auf. Der angehobene OHC-Trend hätte nur recht geringe Auswirkungen auf deren untere Grenze, ganze 0,1°C, nicht die reklamierten 0,5°C. Und mit dem Budget für die noch „zugelassenen“ CO2-Emissionen hat das Meer eher wenig zu tun: Hauptsächlich ist hier die „transiente Sensitivität“ verantwortlich und bis 2100 bestimmt die zuvorderst alle Berechnungen.
Offensichtlich hatten die Autoren hier übertrieben. Mit von der Partie aus Deutschland: Prof. Andreas Oschlies vom Kieler „Geomar“. Das brachte natürlich auch die Jubelstory. Er ist übrigens recht eng mit dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) verbandelt. Nun, ja werden Sie sagen: ein wenig Übertreibung sind wir ja gewohnt. Aber es kommt noch ganz dicke! Nic Lewis wurde auf die fragliche „Nature“ Studie aufmerksam. Er nahm sich nicht nur die Schlussfolgerungen der Arbeit vor, sondern untersuchte auch ihre Methodik. Und was da zutage kam, lässt einen schon erschrecken, gerade weil es auch eine „Nature“ Publikation ist. Werfen Sie bitte einen Blick auf die Abb. 3b der Arbeit:
Abb.2: Der Verlauf des Index APO climate über die Zeit von 1991…2016, über 25 Jahre. In dieser Zeit stieg der APO climate Index um 23 Einheiten. Quelle: Abb. 3b aus Resplandy et al (2018)
Der angegebene Trend für APOclimate in Resplandy et al. (2018) ist 1,16 Einheiten/Jahr und man reibt sich die Augen: Abb.2 gibt nur ca. 0,9 Einheiten/Jahr her. Die Rechnung ist für jeden sehr einfach nachzuvollziehen, die Daten für Abb.2 sind in der Arbeit angegeben in der „Extended Data Table 4“ und wie man es auch dreht und wendet: der lineare Trend beträgt 0,88 Einheiten/Jahr, 32% weniger als in der Arbeit angegeben, wie schon eine grobe Abschätzung aus Abb. 2 zeigt. Vermutlich hatten die Autoren alle positiv wirkenden Anteile (fehlerhaft) zusammen genommen, ihr Ergebnis ist jedenfalls nicht die Steigung des klimatischen Anteils, wie sie es in ihren Gleichungen angeben. Korrigiert man diesen Fehler, wie es Nic Lewis in seiner Kritik zur Arbeit tut, so erhält man für Abb.1 b ein gänzlich anderes Ergebnis:
Abb.3: Der neue, korrigierte Wert für den OHC-Trend 1991-2016 (APOclimate corrected) im Vergleich zu anderen Annahmen aus früheren Arbeiten. Er liegt nun recht genau im „Mittelfeld“, anders als der fehlerhaft ermittelte (APOclimate) in der Arbeit. Quelle: Der Post von Nic Lewis auf „Climate ect.“
Und es geht noch weiter. Die Methode (sie ist unbestritten clever und hilft, die bisher bekannten Werte zu bestätigen, wenn man sie korrekt anwendet) ist eine Ableitung, die nicht tatsächliche Messungen im Meer verwendet, sie benutzt vielmehr einen „Stellvertreter“ („proxy“), nämlich die Ausgasung von O2 und CO2 aus dem Ozean bei Erwärmung. Daher hat sie auch Fehlergrenzen, die bei ihrer Anwendung beachtet werden müssen. Haben die Autoren hier sauber gearbeitet? Nic Lewis schaut auch darauf und kommt zum Ergebnis: Der anzunehmende Fehler ist wohl 3mal so hoch wie in der Arbeit vorgegeben!
Was sagt uns das? Wieder mal ist eine „alarmierende“ Arbeit nichts weiter als heiße Luft, kein „game changer“. Die Überschriften in den Gazetten konnten nur entstehen, weil wohl (wie so häufig) der gesunde Menschenverstand ausgeschaltet war, wenn es um die Klimakatastrophe geht. Es ist doch so schön gruselig! Und es entstehen unweigerlich Fragen über die Vertrauenswürdigkeit von „Nature“, wenn es um Klimafragen geht. Eigentlich sollte die Arbeit zurückgezogen werden, sie enthält fundamentale Fehler. Gibt es ein Peer Review bei „Nature“ und wenn ja: warum konnte es so versagen?
Die Hauptautorin Laure Resplandy wurde bereits am Erscheinungstag der Arbeit (1.11.2018) von den Problemen unterrichtet, sie antwortete mit keinem Argument. Wie schreibt Nic Lewis am Ende seiner Kritik: “Natürlich sollten die Medien, die so laut unkritisch trompeteten, jetzt auch korrigieren, aber das wäre wohl zu viel Hoffnung“. Leider ist es so auch hierzulande. Die Sensation ist raus, der wissenschaftliche Diskurs bleibt auf der Stecke, der gesunde Menschenverstand in den Redaktionen ohnehin.