Winter mit starkem Frost und viel Schnee wie noch vor zwanzig Jahren wird es in unseren Breiten nicht mehr geben.
Dieses Märchen hatte uns Mojib Latif im Jahr 2000 in einem Spiegel-Beitrag erzählen wollen. Dem Modell folgend, erschien sechs Jahre später eine OECD-Studie, die zu dem Schluss kam, dass sich die Schweiz ernsthaft Sorgen um ihren Schnee machen müsse. Die Webplattform Swissinfo.ch berichtete damals:
Fast die Hälfte aller Skigebiete in der Schweiz muss wegen dem Klimawandel um die Schneesicherheit fürchten. Zu diesem Schluss kommen eine europäische und eine Schweizer Studie. […] Der durchschnittliche Temperaturanstieg war in den vergangenen zweieinhalb Jahren drei mal grösser als im globalen Durchschnitt. Die Jahre 1994, 2000, 2002 und 2003 seien die wärmsten der letzten 500 Jahre gewesen. Die Modell-Rechnungen würden zeigen, dass in den kommenden Jahrzehnten die Entwicklung noch schneller fortschreiten dürfte. Weder Schneekanonen noch andere Massnahmen sind für die OECD-Forscher ein geeignetes Mittel. Möge künstliche Beschneiung heute noch wirtschaftlich sein, sei sie in Zukunft viel aufwändiger und ab einem gewissen Niveau nicht mehr möglich. Für OECD-Forscher Agrawala wird heute zu viel auf Technologie statt auf einen Strategiewechsel im Tourismusmarketing gesetzt.
Heute wissen wir, dass Mojib Latif mit seinen Befürchtungen voll daneben lag. In den letzten Wintern gab es Schnee in rauhen Mengen. Zudem sind die Temperaturen seit Latifs Fehlprognose 2000 nicht mehr angestiegen. Und auch die auf Swissinfo.ch zitierte OECD-Studie scheint die Situation vollkommen falsch eingeschätzt zu haben. Mittlerweile sind 7 weitere Jahre ins Land gegangen, hat sich die Schneeschmelze in den Schweizer Alpen wirklich so rasant weiterentwickelt wie vom OECD und Swissinfo.ch orakelt? Hierzu schauen wir in eine neue Arbeit einer schweizerischen Forschergruppe um Simon Scherrer vom Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSwiss, die im Februar 2013 im International Journal of Climatology erschien. Die Wissenschaftler schauten sich die schweizerische Schneestatistik der letzten 150 Jahre an und fanden eine große Variabilität ohne langfristige Trends. Und noch eine große Überraschung: Seit 2000 haben die Schneemengen in der Schweiz wieder zugenommen. Dies wird als mögliche Folge des Temperaturplateaus gesehen, wobei die Wintertemperaturen in den letzten Jahren sogar leicht gefallen sind. Offensichtlich ist die vom OECD befürchtete Schneeschmelze nicht eingetreten und das Gegenteil ist der Fall. Von schnell steigenden Temperaturen in den Alpen ist ebenfalls keine Spur. Die OECD-Studie entpuppt sich als trauriger Fehlschlag.
Im Folgenden die Kurzfassung der neuen MeteoSwiss-Arbeit im englischen Original:
We present a climate analysis of nine unique Swiss Alpine new snow series that have been newly digitized. The stations cover different altitudes (450–1860 m asl) and all time series cover more than 100 years (one from 1864 to 2009). In addition, data from 71 stations for the last 50–80 years for new snow and snow depth are analysed to get a more complete picture of the Swiss Alpine snow variability. Important snow climate indicators such as new snow sums (NSS), maximum new snow (MAXNS) and days with snowfall (DWSF) are calculated and variability and trends analysed. Series of days with snow pack (DWSP) ≥ 1 cm are reconstructed with useful quality for six stations using the daily new snow, local temperature and precipitation data. Our results reveal large decadal variability with phases of low and high values for NSS, DWSF and DWSP. For most stations NSS, DWSF and DWSP show the lowest values recorded and unprecedented negative trends in the late 1980s and 1990s. For MAXNS, however, no clear trends and smaller decadal variability are found but very large MAXNS values (>60 cm) are missing since the year 2000. The fraction of NSS and DWSP in different seasons (autumn, winter and spring) has changed only slightly over the ∼150 year record. Some decreases most likely attributable to temperature changes in the last 50 years are found for spring, especially for NSS at low stations. Both the NSS and DWSP snow indicators show a trend reversal in most recent years (since 2000), especially at low and medium altitudes. This is consistent with the recent ‘plateauing’ (i.e. slight relative decrease) of mean winter temperature in Switzerland and illustrates how important decadal variability is in understanding the trends in key snow indicators.
Siehe auch englischsprachiger Beitrag auf notrickszone.com.
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