Die Arktis erwärmt sich schneller als der weltweite Durchschnitt, liest man regelmäßig in der Presse. In der Fachwelt wird das Phänomen als „Polare Verstärkung“ bezeichnet, auf englisch „Polar Amplification“. Das publizistische Alarmschema ist dabei einfach gestrickt: Hilfe, die Erwärmung gerät in den arktischen Regionen außer Kontrolle! Würde die gesamte grönländische Eiskappe abschmelzen, so stiege der globale Meeresspiegel um satte 7 Meter an. Hamburg, New York und Amsterdam stehen dann unter Wasser.
In der Folge wollen wir das arktische Erwärmungsphänomen näher unter die Lupe nehmen. Stimmt es wirklich, dass hier die Temperaturen schneller steigen als anderswo? Wie robust ist die Datengrundlage dieser Annahme? War die Arktis in den letzten 10.000 Jahren noch nie wärmer als heute? Wir begeben uns auf Spurensuche.
Erwärmung der letzten 50 Jahre
Es gibt eine ganze Reihe von Temperaturdatensätzen, wobei aber aufgrund der dünnen Informationslage nicht alle die Arktis beinhalten. So sparen die globalen HadCRUT Daten des britischen Met Office diese Region aus, man spricht hier vom sogenannten „Arktisloch“. Die GISS-Temperaturdaten der NASA hingegen umfassen auch die Arktis. In einer Kartendarstellung der Erwärmung für die letzten 50 Jahre sieht man hier ein knallrotes Band in der Arktis hervorleuchten, das eine deutlich höhere Erwärmung anzeigen, als im Rest der Welt (Abbildung 1).
Abbildung 1: Erwärmung der Erde während der vergangenen 50 Jahre (1960-2011). In der Arktis erscheinen rote Farben, die eine deutlich höhere Erwärmung anzeigen als im Rest der Welt (GISS). Quelle: NSIDC.
Die Daten bestätigen offenbar die behauptete arktische Überhitzung. Ende der Diskussion, hört man es aus dem klimaalarmistischen Lager herüberrufen. Aber halt, nicht ganz so schnell. Es gibt leider doch noch ein paar Ungereimtheiten, die wir diskutieren müssten. Schauen Sie noch einmal genau auf die obige Abbildung. Fällt Ihnen etwas auf? Genau, der allergrößte Teil des herausstechenden roten Bandes liegt über dem Arktischen Ozean, in dem es nur eine äußerst geringe Anzahl von Wetterstationen gibt. Der Arktische Ozean nimmt fast 3 Prozent der globalen Erdoberfläche ein, regelmäßige Temperaturmessungen aus dieser Region gibt es aber fast keine. Der allergrößte Teil des arktischen Festlands, also der nordamerikanischen und sibirischen Arktis, ist auf der Karte mit orangen Erwärmungsraten markiert, die im Vergleich mit dem Rest der Welt nichts Außergewöhnliches darstellen. Hier gibt es deutlich mehr Messstationen, die aber offenbar keine übersteigerte Erwärmung feststellen. Hierzu gehören übrigens auch zwei Drittel Grönlands.
Können wir uns auf die GISS-Daten und -Karten verlassen? Skepsis ist auch angebracht, weil das GISS-Institut bis vor kurzem vom bekennenden Klimaaktivisten James Hansen geleitet wurde, der erst kürzlich in Rente ging und die Leitung an einen nicht weniger klimaalarmistisch veranlagten Kollegen, Gavin Schmidt, weiterreichte. Immer wieder wurde Hansen vorgeworfen, in der Arktis überhitzte Datenpunkte zu ergänzen, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Chung et al. (2013) konnten zeigen, dass der GISS-Datensatz enorme Extrapolationen vornimmt und weitreichende Datenglättungen über riesige Distanzen von 1200 km getätigt werden. In einem realistischeren Ansatz reduzieren die Autoren die Glättung auf 250 km und erhalten ein sehr viel reelleres Erwärmungsbild der Arktis, wobei sie bewusst Datenlücken zulassen (weiße Flächen in Abbildung 2).
Abbildung 2: Entwicklung der Sommertemperaturen in der Arktis (Juni-August) für den Zeitraum 1998-2011. Bearbeitete GISS-Daten. Weiße Flächen stellen Datenlücken dar. Abbildung aus Chung et al. (2013).
In der Arbeit schreiben Chung et al.:
The use of a smoothing distance of 250 km instead of 1200 km (the default of GISTEMP) avoids the uncertainty related to the extrapolation of temperature measurements made at Arctic observation sites to large distances over the open ocean or sea ice thereby providing a more robust point of comparison for the reanalyses. On the other hand, a consequence of the 250 km smoothing distance is that it leaves a large amount of data gaps. The GISTEMP data we use are defined only for a fraction of the Arctic area (on average, 27% from 1979 to 2011), mainly limited to the vicinity of the observation sites on the land and permanently ice-free parts of the Barents Sea and Greenland Sea.
Neben der Art und Weise, wie mit der dünnen Datenabdeckung umgegangen wird, gibt es auch Kritik an den „Korrekturen“, die an den Originalmessdaten vorgenommen wurden. Ed Caryl hat sich einmal 19 arktische Temperaturmessstationen angeschaut und fand, dass allein in den letzten vier Jahren erneut enorme Veränderungen vorgenommen wurden, wie bereits in den Jahren zuvor. Das Schema setzt sich dabei fort, wobei die Temperaturen der letzten 50 Jahre enorm nach oben „korrigiert“ wurden, wohingegen die Werte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts signifikant künstlich nach unten gedrückt wurden. Interessanterweise ist die Korrekturspanne dabei fast so groß, wie die gesamte globale Durchschnittserwärmung der vergangenen 100 Jahre.
Abbildung 3: Mittelwertes aller „Korrekturen“, die GISS während der letzten 3 Jahre und 9 Monate an 19 Temperaturmessstationen in der Arktis getätigt hat. Quelle: Notrickszone.
Arktische Erwärmungspause
Die Erwärmung der Arktis während der letzten 50 Jahre sei unbestritten. Ob sich die Region nun wirklich flächendeckend doppelt so schnell erwärmt wie der globale Durchschnitt ist jedoch fraglich, wenn man die eklatanten Datenlücken, mutigen Extrapolationsversuche und merkwürdigen Datenkorrekturen betrachtet.
Forscher haben trotzdem versucht, die vermutete polare Verstärkung in Modellen nachzuvollziehen. Lange Zeit hatte man dabei angenommen, das schmelzende arktische Meereis würde die Erwärmung verstärken. Nun hat man diese Theorie wieder eingestampft und mutmaßt, die Trägheit der polaren Luft könnte der entscheidende Effekt sein. Spiegel Online erläuterte in einem Beitrag vom 3. Februar 2014:
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Nordpolregion schneller erwärmt als tropische Gebiete. Als wichtigsten Grund dafür haben Felix Pithan und Thorsten Mauritsen vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg nun die Schwerfälligkeit der Atmosphäre über der Arktis ausgemacht. In den Tropen könne die am Boden erwärmte Luft schnell nach oben steigen, während die kalte, dichte Luft der Arktis sich kaum mit höheren Luftschichten vermischen könne, schreiben die Wissenschaftlerin „Nature Geoscience“. Dadurch bleibe in der Arktis die von der Sonne und der Erdwärmestrahlung erwärmte Luft näher am Boden.
Einen Tag zuvor hatte N-TV das Studienergebnis in einer kuriosen Titelschlagzeile wie folgt zusammengefasst:
Arktis-Kälte sorgt für schnellere Erwärmung
Alles klar?
Nehmen wir nun für einen Moment an, die GISS-Karte mit dem leuchtendroten arktischen Hitzeband aus Abbildung 1 hätte Recht. In der Presse wird oft der Eindruck erweckt, diese arktische Erwärmung würde von Jahr zu Jahr schlimmer und die Temperaturen würden davongaloppieren. Wiederum werfen wir einen Blick auf die Temperaturstatistik, um die Behauptung zu überprüfen. Ole Humlum zeigte im August 2014 in seinem Climate4you-Rundschreiben die Temperaturentwicklung der arktischen Region auf Basis eines speziellen HadCRUT4-Datensatz, der die nördlichen Breiten zwischen 70 und 90° umfasst (Abbildung 4). Die Überraschung ist groß, denn die Erwärmung pausiert seit mittlerweile 10 Jahren auch in der Arktis. Weitere Graphiken hierzu können Sie auch im Blog von Paul Homewood finden. Von „Runaway Arctic Warming“ weit und breit keine Spur.
Abbildung 4: Temperaturentwicklung der arktischen Region für die letzten 15 Jahre auf Basis eines speziellen HadCRUT4-Datensatz, der die nördlichen Breiten zwischen 70 und 90° umfasst. Quelle: Climate4you.
Das HadCRUT4-Temperaturplateau ist besonders gut erkennbar, wenn man die arktische Temperaturentwicklung der letzten 60 Jahre betrachtet (Abbildung 5):
Abbildung 5: Temperaturentwicklung der arktischen Region für die letzten 60 Jahre auf Basis eines speziellen HadCRUT4-Datensatz, der die nördlichen Breiten zwischen 70 und 90° umfasst. Quelle: Climate4you.
Die Beobachtung des arktischen Erwärmungshiatus des letzten Jahrzehnts wird auch von der bereits weiter oben angeführten Studie von Chung et al. (2013) gestützt und sogar auf die letzten 15 Jahre ausgedehnt. In den Concluding Remarks schreiben die Autoren in der Arbeit:
Our analysis shows that the warming structure in the recent period (roughly from 1998) differs greatly from that in the earlier period. In the recent period, the surface was not clearly warming in summer, and 500 hPa air became colder in autumn. Before 1998, however, all the layers at 500 hPa or below were warming.
Ein ähnliches Bild liefern auch die satellitengestützten Temperaturmessungen. Im arktischen Temperaturdatensatz der University of Alabama (UAH) ist für den Bereich 60-85° nördlicher Breite in den letzten 10 Jahren keine signifikante Erwärmung mehr zu erkennen (Abbildung 6, oben). In derselben Abbildung sind auch die antarktischen Temperaturen dargestellt. Hier ist in den vergangenen 35 Jahren überhaupt kein Trend zu erkennen (Abbildung 6, unten). Dies nur einmal am Rande.
Abbildung 6: Temperaturentwicklung der arktischen (oben) und antarktischen Region für die letzten 35 Jahre auf Basis der UAH-Satellitentemperaturen. Quelle: Climate4you.
Die fehlende Erwärmung der Arktis ist den Anhängern der Klimakatastrophenidee natürlich ein Dorn im Auge. Noch immer verkauft man der Öffentlichkeit die Arktis als überhitzte Erwärmungsregion auf der Überholspur. Aber irgendwann wird dann doch jemand auf die Idee kommen, sich die Originalkurven anzuschauen und dann steht die Glaubwürdigkeit der Zunft auf dem Spiel.
Vermutlich angetrieben durch den Wunsch, der klimaalarmistischen Bewegung in diesem gravierenden Problem unter die Arme zu greifen, schritt ein Aktivistenduo bestehend aus dem Protein-Röntgen-Kristallographen Kevin Cowtan und dem Geographie-Doktoranden Robert Way zur Tat und entwickelte eine abenteuerliche Rettungstheorie. Pikanterweise ist Way Mitglied des Autorenteams der klimaaktivistischen Webseite Skeptical Science, deren erklärtes Ziel es ist, die klimaalarmistische Ideologie gegen die immer mehr aufkommende Kritik aus der Gesellschaft zu verteidigen. Auch Cowtan scheint dort als Autor tätig zu sein, wie der Klimawissenschaftler Andrew Dessler im Climate Change National Forum verriet. Eine unabhängige, ergebnisoffene Sichtweise kann daher von den beiden nicht erwartet werden. Axel Bojanowski berichtete im November 2013 auf Spiegel Online über das im Quarterly Journal of the Royal Meteorological Society erschienene Paper von Cowtan & Way:
Nun haben Forscher Satellitendaten von höheren Luftschichten über der Arktis mit Hilfe neuer Formeln auf den Boden übertragen. Ihr aufregendes Ergebnis: Die Arktis hat sich während der vergangenen 15 Jahre stärker erwärmt als bisher angenommen. Zählt man diesen Temperaturanstieg dazu, ergibt sich global für die letzten Jahre eine kontinuierlich fortschreitende Erwärmung, die gut zu den gängigen Klimamodellen passt. Die vermeintliche Pause wäre also schlicht mangelnden Daten geschuldet. […] Die beiden Wissenschaftler haben die Unterschiede von Bodenmessungen und Satellitendaten vom Rand der Arktis verglichen und diese Differenz auf die gesamte Arktis angewendet: Zu den Satellitenmessungen haben sie entsprechende Differenzwerte hinzugezählt – die Summe ergab die Bodentemperatur. Das Verfahren hätten sie zuvor erfolgreich für Regionen getestet, in denen sowohl Satelliten- als auch Bodendaten vorlägen, schreiben die Forscher. Nachdem die Datenlücken der Arktis auf diese Weise gefüllt wurden, lautet das Ergebnis: Die globale Temperatur in Bodennähe steigt mit einem Trend von 0,12 Grad pro Jahrzehnt – dem Wert entsprechend, den der Uno-Klimarat IPCC als Langzeittrend seit Mitte des 20. Jahrhunderts angibt.
Das Paper schlug hohe Wellen und löste heftige Diskussionen in der Fachwelt aus (siehe z.B. Lubos Motls Beitrag hier). Die anerkannte Klimawissenschaftlerin Judith Curry analysierte die Methodik der Studie und kam zu einem vernichtenden Urteil, wie Bojanowski auf Spiegel Online zusammenfasste:
Andere Forscher sind nicht überzeugt. Sie sehe zwar ebenfalls Indizien für eine sich erwärmende Arktis, räumt Judith Curry vom Georgia Institute of Technology ein, die ebenfalls Temperaturdaten der Arktis auswertet. Die Methode von Cowtan und Way trage jedoch „nichts zum Verständnis bei“. „Sie ergibt physikalisch keinen Sinn“, meint die Atmosphärenforscherin. Das Übertragen von Temperaturunterschieden vom Festland aufs Meer oder aufs Eis sei nicht erfolgreich erprobt worden. Curry bezieht sich unter anderem darauf, dass Messstationen der Arktis vor allem an Land stehen, die nun berechnete Region des arktischen Datenlochs aber meist von Meereis oder Wasser bedeckt wird. Die Frage ist, ob sich die Luft über den unterschiedlichen Landschaften in ähnlicher Weise mischt, so dass die Temperaturunterschiede zwischen Boden und Höhe zwischen den Regionen übertragbar wären. „Immerhin“, sagt Curry, „hat die neue Studie das Thema aufgebracht, dass wir einen Weg finden müssen, die Temperaturen in der Arktis zu ermitteln.“
Nach den wilden medialen Klimaalarm-Wochen verschwand die Studie der beiden Klimaaktivisten schnell wieder in der Versenkung. Nach eingehender Prüfung verwarf die Fachwelt das Paper. Lediglich einige hartgesottene Alarmisten werden die Studie wohl in ihrer Zitatesammlung belassen, wohlwissend, dass das Ergebnis wissenschaftlich nicht belastbar ist. Die Vorgehensweise birgt kaum Risiken, denn kaum jemand außerhalb der Fachkreise interessiert sich für nervige Details wie etwa die Robustheit der Methodik.
Die vergessene Arktis-Wärme der 1940er Jahre
Die Arktis hat sich in den vergangenen 50 Jahren spürbar erwärmt, das steht fest. In der Öffentlichkeit weniger bekannt ist jedoch, dass sich die Region in den 1940er bis 60er Jahren rapide abgekühlt hat – und zwar um etwa den gleichen Betrag, um den sich das Gebiet in den nachfolgenden Jahrzehnten dann wiedererwärmt hat. Die unbequeme Faktenlage ist, dass die Arktis in den 1930er und 40er Jahren bereits einmal so warm wie heute war. Die HadCRUT4-Arktistemperaturdaten lassen wenig Zweifel an dieser Feststellung (Abbildung 7).
Abbildung 7: Temperaturentwicklung der Arktis nach HadCRUT4-Daten während der letzten 95 Jahre. Quelle: Climate4you.
Fallstudien aus verschiedenen Teilen der Arktis bestätigen die Wärmephase. Für Grönland sei z.B. auf unseren Artikel „Luftbilder-Fund im Keller des dänischen Katasteramts: Rapide grönländische Gletscherschmelze in den 1930er Jahren“ verwiesen. Aus der sibirischen Arktis liegt eine Studie des Alfred Wegener Instituts von Opel et al. vor, die im Oktober 2013 im Fachjournal Climate of the Past erschienen war. In der Temperaturrekonstruktion für die Arktisinsel Sewernaja Semlja ist eine deutliche Wärmespitze in den 1930er und 40er Jahren zu erkennen, die die heutigen Temperaturen klar überragt (Abbildung 8). Die Autoren weisen in der Kurzfassung ihrer Arbeit zudem darauf hin, dass in der Arktis ein erhebliches Maß an natürlichen Klimaschwankungen zu verzeichnen sei.
Abbildung 8: Temperaturrekonstruktion und Messdaten der sibirischen Arktisinsel Sewernaja Semlja für die vergangenen 200 Jahre. Quelle: Opel et al. 2013.
Die unerwartete arktische Erwärmungsspitze vor 75 Jahren wirft unbequeme Fragen auf. Könnte es sein, dass die möglicherweise rasante Erwärmung der letzten Jahrzehnte lediglich Ausdruck eines ausgeprägten 60-jährigen Ozeanzyklus darstellt, der in der Arktis einen besonders intensiven Verlauf nimmt? Ein Blick auf Abbildung 7 gibt dieser Vermutung weitere Nahrung. Bereits Alexeev et al. wiesen in einer 2012 im Fachmagazin Climatic Change erschienenen Arbeit auf die Bedeutung der Ozeanzyklen für die regionale Temperaturenticklung in der Arktis hin. In den Schlussfolgerungen der Studie interpretieren die Autoren genau solch einen engen Zusammenhang zwischen Ozeanzyklen und ausgeprägtem arktischem Temperaturverlauf:
This pattern of temporal changes may be associated with multi-decadal fluctuations on time scales of 50–80 years, which are known to be exceptionally strong in the Arctic and North Atlantic.
Aus dem arktischen Nordatlantik ist die Erwärmung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts schon länger bekannt, wie George Rose in einer Arbeit aus dem Jahr 2005 eindrucksvoll dokumentierte hatte. In der Studie heißt es:
From approximately 1920 to 1940, North Atlantic Waters from Greenland to Norway warmed significantly, by as much as 3–4°C (Tåning, 1948). Although the causes of this event are not well understood, there is no doubt of its authenticity or widespread occurrence in temperature records.
Interessanterweise räumt mittlerweile sogar der IPCC in seinem neuesten, 5. Klimazustandsbericht die Existenz dieser frühen Erwärmungsphase ein. Im Bericht steht in überraschender Klarheit in Kapitel 10 der physikalischen Grundlagen:
Arctic temperature anomalies in the 1930s were apparently as large as those in the 1990s and 2000s. There is still considerable discussion of the ultimate causes of the warm temperature anomalies that occurred in the Arctic in the 1920s and 1930s
In einem lesenswerten Blogbeitrag beschäftigt sich auch Judith Curry ausführlich mit der Thematik und zitiert weitere Beispiele.
Die letzten 1000 Jahre
Wenn es bereits vor 75 Jahren bereits einmal so warm wie heute in der Arktis war, wie sah es dann in den letzten 1000 Jahren aus? Gab es auch in dieser Zeit ähnliche Warmphasen? Wir beginnen unseren Streifzug durch die neuere Fachliteratur im kanadischen Labrador. Eine Forschergruppe um Thomas Richerol von der Université Laval in Québec veröffentlichte hierzu im September 2014 im Fachmagazin Paleoceanography eine Temperaturrekonstruktion des Nunatsiavut Fjords für die vergangenen 300 Jahre. Überraschenderweise fanden die Wissenschaftler, dass das Klima über diesen Zeitraum in der Region stabil geblieben ist. Hier ein Auszug aus der Kurzfassung der Arbeit:
Fossil pollen and dinoflagellate cyst assemblages allowed depicting the climate history of the region over the last ~200–300 years. In contrast to the general warming trend observed in the arctic and subarctic Canada since the beginning of the Industrial Era, the Nunatsiavut has experienced relative climate stability over this period. Fossil pollen data show a shift of the tree limit to the south illustrating the cooling of terrestrial conditions. Our reconstructions suggest that the Labrador region has remained climatically stable over the last ~150–300 years, with just a slight cooling trend of the reconstructed sea surface temperatures, only perceptible in Saglek and Anaktalak fjords.
Am 22. August 2014 meldeten die Deutschen Wirtschafts Nachrichten einen sensationellen Fund von der Ellesmere Insel in der kanadischen Arktis: „400 Jahre alte Pflanzen werden zum Leben erweckt“. Unter zurückweichenden Gletschern fand eine Forschergruppe der University of Alberta in Edmonton um Catherine La Farge Moosreste, die sie im Labor zu neuem Leben erweckten. Die Pflanzen hatten an jener Stelle vor 400 Jahren gelebt, als sie dann von den vorrückenden Gletschern der Kleinen Eiszeit überrollt und konserviert wurden. Zu Zeiten des Mittelalters mussten dort ähnlich warme Bedingungen wie heute geherrscht haben, wobei die Gletscher offenbar kürzer als heute waren, ansonsten könnte heute das Moos darunter heute nicht zum Vorschein kommen. Vermutlich handelt es sich um die Spätphase der Mittelalterlichen Wärmeperiode.
Im Folgenden die Kurzfassung der Arbeit von La Farge et al. (2013) aus dem Fachmagazin PNAS:
Regeneration of Little Ice Age bryophytes emerging from a polar glacier with implications of totipotency in extreme environments
Across the Canadian Arctic Archipelago, widespread ice retreat during the 20th century has sharply accelerated since 2004. In Sverdrup Pass, central Ellesmere Island, rapid glacier retreat is exposing intact plant communities whose radiocarbon dates demonstrate entombment during the Little Ice Age (1550–1850 AD). The exhumed bryophyte assemblages have exceptional structural integrity (i.e., setae, stem structures, leaf hair points) and have remarkable species richness (60 of 144 extant taxa in Sverdrup Pass). Although the populations are often discolored (blackened), some have developed green stem apices or lateral branches suggesting in vivo regrowth. To test their biological viability, Little Ice Age populations emerging from the ice margin were collected for in vitro growth experiments. Our results include a unique successful regeneration of subglacial bryophytes following 400 y of ice entombment. This finding demonstrates the totipotent capacity of bryophytes, the ability of a cell to dedifferentiate into a meristematic state (analogous to stem cells) and develop a new plant. In polar ecosystems, regrowth of bryophyte tissue buried by ice for 400 y significantly expands our understanding of their role in recolonization of polar landscapes (past or present). Regeneration of subglacial bryophytes broadens the concept of Ice Age refugia, traditionally confined to survival of land plants to sites above and beyond glacier margins. Our results emphasize the unrecognized resilience of bryophytes, which are commonly overlooked vis-a-vis their contribution to the establishment, colonization, and maintenance of polar terrestrial ecosystems.
Umfangreiche Moosfunde aus der Mittelalterlichen Wärmeperiode hatten bereits Miller et al. (2012) auf der Baffininsel in der kanadischen Arktis gemacht. Damals hatten die Autoren jedoch offenbar keine „Wiederbelebungsversuche“ unternommen. Und das mittelalterliche Moos wollte so gar nicht in das Bild der Klimakatastrophe passen, so dass Gifford Miller und Kollegen abenteuerliche Nebenstories ersannen, mit denen sie beim IPCC punkten wollten. Letztendlich zeigten jedoch genauere Überprüfungen, dass die klimaalarmistische Richtung nicht aufrechtzuerhalten war (siehe unseren Blogbeitrag „Wärmer als je zuvor? Rätselhafte Moosklumpen auf der arktischen Baffininsel führen Forscher aufs Glatteis“).
Auch im nördlichen Skandinavien war es zur Zeit der Mittelalterlichen Wärmeperiode mindestens so warm wie heute. Eine Forschergruppe um Juhani Rinne rekonstruierte die Temperaturen der Region für die letzten 1500 Jahre und fand für die Zeit der Mittelalterlichen Wärmeperiode wärmere Bedingungen als heute (Abbildung 9). Die Arbeit erschien im Mai 2014 im Fachblatt Global and Planetary Change (siehe auch Besprechung auf The Hockey Schtick). Interessanterweise fanden die Autoren auch eine ausgeprägte Periodizität der Temperaturentwicklung mit Zyklen im Bereich von 70-80 Jahren, die die Autoren im Zusammenhang mit Ozeanzyklen interpretieren.
Abbildung 9: Temperaturrekonstruktionen für das nördliche Skandinavien. Quelle: Rinne et al. 2014.
Die letzten 10.000 Jahre
Auch ein Blick auf die letzten Jahrtausende zeigt, dass die heutigen Arktis- und Subarktistemperaturen keineswegs etwas vollkommen Neues darstellen. Aus Kamschatka liegt eine Studie eines Teams des Alfred Wegener Instituts um Hanno Meyer vor, die im September 2014 im Fachblatt Global and Planetary Change erschien. Die Forscher rekonstruierten die Temperaturen in der Region für die vergangenen 5000 Jahren und fanden interessanterweise einen langfristigen Abkühlungstrend. Über lange Zeiten war Kamschatka während der letzten Jahrtausende offenbar wärmer als heute, eine überraschende Erkenntnis. Eine genaue Besprechung der Arbeit gibt es auf The Hockey Schtick. Leider versäumte es das Alfred Wegener Institut bislang, eine Pressemitteilung zu dieser bemerkenswerten Arbeit herauszugeben.
Eine umfassende Darstellung der arktischen Temperaturgeschichte für die vergangenen 10.000 Jahre erschien im August 2014 im Fachblatt Climate of the Past, verfasst von einer 21-köpfigen Forschergruppe um Hanna Sundqvist. Die Online-Datenbank mit umfangreichen Excel-Wertetabellen kann auf einer NOAA-Webseite aufgerufen werden. Auch hier dürften sich wieder zahlreiche Phasen wiederfinden, die mindestens genauso warm wie heute waren. Eine ergiebige neue klimastatistische Quelle.
Wie geht es besser?
Mittlerweile dämmert es immer mehr Wissenschaftlern, dass man in Sachen Arktiserwärmung lange Zeit medial überreizt hat. Nun ist guter Rat teuer, um aus der Alarmkiste ohne größeren Gesichtsverlust wieder herauszukommen. Zum Teil hat bereits ein neuer Realismus eingesetzt. So veröffentlichte eine Forschergruppe um Petr Chylek im Mai 2014 in den Geophysical Research Letters eine Studie, in der sie natürliche von anthropogenen Komponenten in der Arktiserwärmung unterscheiden. Das Ergebnis lässt aufhorchen: Die Wissenschaftler stufen nur etwa die Hälfte der Erwärmung der letzten Jahrzehnte als menschengemacht ein und sehen die andere Hälfte bedingt durch natürliche Klimaschwankungen. In der Kurzfassung der Arbeit schreiben die Autoren:
Our structural model analysis of observational data suggests that about half of the recent Arctic warming of 0.64 K/decade may have anthropogenic causes.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch ein Team um Qinghua Ding in einer ebenfalls im Mai 2014 im Fachblatt Nature erschienenen Studie zur Erwärmung im nordöstlichen Kanada und Grönlands. Der Ozeanzyklus der Nordatlantischen Oszillation (NAO) spielt eine bislang unterschätzte Rolle bei der Arktiserwärmung der letzten Jahrzehnte, fanden die Autoren. Ding und Kollegen schlussfolgern, dass ein signifikanter Teil dieser Erwärmung auf das Konto von natürlichen Ozeanzyklen geht, wobei der anthropogene Anteil entsprechend reduziert werden muss. Im Folgenden ein Auszug aus der Kurzfassung der Arbeit:
We find that the most prominent annual mean surface and tropospheric warming in the Arctic since 1979 has occurred in northeastern Canada and Greenland. In this region, much of the year-to-year temperature variability is associated with the leading mode of large-scale circulation variability in the North Atlantic, namely, the North Atlantic Oscillation. Here we show that the recent warming in this region is strongly associated with a negative trend in the North Atlantic Oscillation, which is a response to anomalous Rossby wave-train activity originating in the tropical Pacific. […] This suggests that a substantial portion of recent warming in the northeastern Canada and Greenland sector of the Arctic arises from unforced natural variability.
Im August 2014 wagte ein elfköpfiges Forscherteam um Judah Cohen in Nature Geoscience eine Bestandsaufnahme der polaren Verstärkerproblematik. Das Fazit der Wissenschaftler fällt ernüchternd aus: Schlechte Datenlage, große Unsicherheiten, unzureichende Modelle. Die Klimaforschung ist noch weit davon entfernt, die Vorgänge in der Arktis in den Griff zu bekommen. Interessanterweise ist einer der Koautoren des Papers Dim Coumou vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), einem Institut das in der Vergangenheit stets behauptet hatte, es würden nur noch i-Tüpfelchen in den Klimamodellen fehlen. Das PIK auf dem Weg hin zu mehr Klimarealismus? Man möchte es sich sehr wünschen. Im Folgenden ein Auszug aus der Kurzfassung des Papers:
Recent Arctic amplification and extreme mid-latitude weather
The Arctic region has warmed more than twice as fast as the global average — a phenomenon known as Arctic amplification. […] However, because of incomplete knowledge of how high-latitude climate change influences these phenomena, combined with sparse and short data records, and imperfect models, large uncertainties regarding the magnitude of such an influence remain. We conclude that improved process understanding, sustained and additional Arctic observations, and better coordinated modelling studies will be needed to advance our understanding of the influences on mid-latitude weather and extreme events.