Pressemitteilung der schweizerischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) vom 8. Februar 2016:
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Alte Bäume offenbaren „Spätantike Kleine Eiszeit“ vor rund 1500 Jahren
Jahrringmessungen decken eine drastische Kälteperiode in Eurasien zwischen 536 und etwa 660 nach Christus auf. Sie überlagert sich zeitlich mit der Justinianischen Pest sowie mit politischen Umwälzungen und Völkerwanderungen sowohl in Europa als auch in Asien. Dies berichtet ein interdisziplinäres Team unter Leitung der Eidg. Forschungsanstalt WSL und des Oeschger-Zentrums der Universität Bern im Fachjournal „Nature Geoscience„.
Die Wissenschaftler um den Jahrringforscher Ulf Büntgen von der WSL konnten erstmals präzise die Sommertemperaturen der letzten 2000 Jahre in Zentralasien rekonstruieren. Möglich machten dies neue Jahrringmessungen aus dem russischen Altai-Gebirge. Die Ergebnisse ergänzen die bereits 2011 im Fachjournal „Science“ von Büntgen und Kollegen publizierte Klimageschichte der Alpen, welche 2500 Jahre zurückreicht. „Der Temperaturverlauf im Altai passt erstaunlich gut mit dem der Alpen überein“, sagt Büntgen. Die Studie ermöglicht erstmals Aussagen über die Sommertemperaturen in grossen Teilen Eurasiens für die letzten 2000 Jahre.
Aus der Breite der Jahrringe kann man die sommerlichen Klimabedingungen der Vergangenheit jahrgenau ableiten. Dabei stach den Forschenden eine Kälteperiode im 6. Jahrhundert ins Auge, die noch kälter, länger und grossräumiger war als die bisher bekannten Temperatureinbrüche innerhalb der „Kleinen Eiszeit“ zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert. „Es war die stärkste Abkühlung auf der Nordhalbkugel während der letzten 2000 Jahre“, sagt Büntgen.
Klima und Kultur
Die Forschenden bezeichnen deshalb erstmals den Zeitraum von 536 bis etwa 660 nach Christus als „Spätantike Kleine Eiszeit“ (Late Antique Little Ice Age, LALIA). Auslöser waren drei grosse Vulkanausbrüche in den Jahren 536, 540 und 547 nach Christus, deren Effekt auf das Klima durch die verzögernde Wirkung der Ozeane und ein Minimum der Sonnenaktivität noch verlängert wurde.
Gemäss dem Team aus Natur-, Geschichts- und Sprachforschern fällt eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Umwälzungen in diese Periode. Nach Hungersnöten etablierte sich zwischen 541 und 543 die Justinianische Pest, die in den folgenden Jahrhunderten Millionen von Menschen dahinraffte und vermutlich zum Ende des Oströmischen Reichs beitrug.
Völkerwanderungen
In die von den Römern verlassenen Gebiete im Osten des heutigen Europas wanderten Frühslawisch sprechende Menschen ein, vermutlich aus den Karpaten, und definierten den slawischen Sprachraum. Auch die Expansion des Arabischen Reichs in den Mittleren Osten könnte von der kühlen Periode begünstigt worden sein, mutmassen die Forschenden: Auf der arabischen Halbinsel gab es mehr Regen, mehr Vegetation und somit mehr Futter für Kamelherden, welche die arabischen Armeen für ihre Kriegszüge nutzten.
In kühleren Gebieten wanderten einzelne Völker auch nach Osten in Richtung China, vermutlich wegen eines Mangels an Weideland in der Zentralasien. In den Steppen Nordchinas kam es folglich zu Konflikten zwischen Nomaden und den dort herrschenden Mächten. Eine Allianz dieser Steppenvölker mit den Oströmern besiegte danach das persische Grossreich der Sassaniden und führte zu dessen Untergang.
Strategien für den heutigen Klimawandel
Die Forscher betonen jedoch, dass mögliche Zusammenhänge zwischen der Kälteperiode und soziopolitischen Veränderungen stets mit grosser Vorsicht zu beurteilen seien. „Die ‚Spätantike Kleine Eiszeit‘ passt aber erstaunlich gut mit den grossen Umwälzungen jener Zeit zusammen“, schreiben sie.
Für Ulf Büntgen zeigt die Untersuchung beispielhaft auf, wie abrupte Klimaveränderungen bestehende politische Ordnungen verändern können: „Aus der Geschwindigkeit und Grössenordnung der damaligen Umwälzungen können wir etwas lernen“, sagt er. So liessen sich Erkenntnisse darüber, wie sich grosse Klimaumschwünge früher ausgewirkt haben, beispielsweise dazu nutzen, um Strategien im Umgang mit dem heutigen Klimawandel zu entwickeln.
Abbildung: estausbrüche, Aufstieg und Fall von Imperien, Völkerwanderungen und politische Umwälzungen (Sterne, dunkle Balken) überlagern sich zeitlich mit den kältesten Dekaden der letzten 2000 Jahre, der „Spätantiken Kleinen Eiszeit“ (blaue Linien). (Grafik: Nature Geoscience).
Am 8. Februar 2016 berichtete auch die SRF-Tagesschau über die Studie:
Mit Dank an KMH