Die USA wurden Anfang des Jahres von unerwartet kühlen Temperaturen auf die Probe gestellt. Die Welt fasste die Situation am 9. Januar 2014 zusammen:
Die aktuelle Kältewelle in Nordamerika ist nach Einschätzung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) die strengste seit zwei Jahrzehnten. […] Ihren Höhepunkt habe die Kältewelle am 6. und 7. Januar erreicht, als Polarluft bis in den Süden der USA und den Norden Mexikos vordrang, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Zwischenbericht der DWD-Expertinnen Susanne Haeseler und Christina Lefebvre. Nachts herrschte demnach sehr strenger Frost bis minus 30 Grad, in Zentral-Kanada sogar bis minus 40 Grad. In Chicago sei am 6. Januar ein Tageshöchstwert von -25,5 Grad gemessen worden.
Wenn es eine Hitzewelle gewesen wäre, dann wäre der Zusammenhang mit der prognostizierten Klimakatastrophe schnell hergestellt. Extreme Kältephasen wie diese hingegen werden traditionell mit dem Hinweis „das ist Wetter und nicht Klima“ vom Tisch gewischt. Seit einigen Jahren scheint es auf der IPCC-Seite jedoch eine neue Strategie zu geben: Nicht nur die Hitzewellen, sondern auch die Kältewellen sollen eine Folge des anthropogenen CO2-Ausstoßes sein. Doppelt hält besser. Der Klimaretter ist wie stets vorne mit dabei (Auszug aus einem Beitrag vom 8. Januar 2014):
Ist die Eiseskälte in Nordamerika eine Folge des Klimawandels? Tatsächlich ist die Großwetterlage, die die US-Amerikaner frieren lässt, sehr ungewöhnlich. Aber ob sie etwas mit der Erderwärmung zu tun hat, diskutiert die Fachwelt noch kontrovers.
In der Folge erklärt der Klimaretter, dass der Klimawandel wohl den Jetstream am Himmel festgenagelt hat und sich daher das kälteauslösende Tiefdruckgebiet „Christina“ so stark über Nordamerika ausprägen konnte. Der Klimaretter weiter:
Das sieht auch der Klimawissenschaftler Thomas Jung vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung so. „Es ist nicht gänzlich auszuschließen, dass diese Situation mit dem Klimawandel zu tun hat. Meines Erachtens ist allerdings die wahrscheinlichste Erklärung, dass diese Situation eine zufällige Variabilität der Atmosphäre ist. Das passiert einfach mal.“ Andere Wissenschaftler, wie etwa Dim Coumou vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, sehen einen Zusammenhang mit dem Klimawandel. Die extremen Kältewellen seien in den zurückliegenden Wintern häufiger geworden seien, sagte Coumou gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Seine Erklärung: Der Polarwirbel speist sich aus dem Temperaturunterschied zwischen der Arktis und den mittleren Breiten. Weil sich die Arktis überdurchschnittlich schnell erwärmt, verringert sich die Temperaturdifferenz – und mit ihr die Kraft des polaren Windgürtels [„polar vortex“]. In der Folge breche dieser leichter aus, so Coumou. In diesem Zusammenhang gibt Thomas Jung vom Alfred-Wegener-Institut aber zu bedenken: „Wir können aus unseren Forschungen einen Zusammenhang zwischen dem Rückgang des arktischen Meereises und tendenziell kälteren Wintern in Europa bestätigen. Dieser Einfluss ist aber relativ gering und kann meiner Meinung nach solche extremen Winterereignisse allein vermutlich nicht erklären.“ Arbeiten der Wissenschaftlerin Jennifer Francis von der Rutgers University deuten darauf hin, dass die ungewöhnliche Stabilität der Jetstreams auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Davon geht auch Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung aus. „Das seltsame Temperaturmuster hängt mit dem verrückten Jetstream zusammen“, twitterte der Wissenschaftler.
Immerhin lässt der Klimaretter auch einige skeptische Stimmen zu Wort kommen. Trotzdem bietet er den Vertretern der Jetstream-Blockaden eine ausführliche Bühne. Dass dies fachliche Außenseitermeinungen sind, wird im Klimaretterartikel nicht ganz klar. Die meisten Fachkollegen sehen das Treiben von Comou, Rahmstorf und anderen PIK-Forschern mit Skepsis und verfassen mittlerweile sogar regelrechte Gegenpublikationen, um das Bild wieder gerade zu rücken (siehe unseren Blogartikel „Studie der Colorado State University widerspricht dem PIK: Arktischer Meereisschwund führt nicht zu mehr Extremwetter„). Auch Judith Curry hält nichts von der Verknüpfung der US-Kältewelle mit dem Klimawandel. In ihrem Blog Climate Etc. schrieb sie am 7. Januar 2014:
Is global warming causing the polar vortex? In a word, no. […] The media are mostly in stupid mode over this one. Cliff Mass provides a good overview, the punch lines:
„The bottom line: the claims that greenhouse warming causes more cold waves like we have seen this week really seems to be without any basis in observational evidence or in theory. The media needs to stop pushing this unsupported argument. It is SO frustrating that every major weather event causes such claims and counterclaims to be aired, with many media outlets unable to do the minimal research that would allow them to give the public more dependable information. All this bogus reporting has done substantial damage, with many American’s believing that global warming is already causing our winter weather to become more extreme, while the observational evidence suggests no such thing. One day some sociologists will study this situation and the psychological elements that drove it.“
Schlängelt sich der Jetstream heute wirklich weniger schnell als in früheren Zeiten? Eine Forschergruppe der University of Reading und des British Antarctic Survey um Tim Woolings veröffentlichte im August 2013 im Quarterly Journal of the Royal Meteorological Society eine Analyse der Jetstream-Entwicklung im Nordatlantik während der vergangenen 140 Jahre. Das Ergebnis fiel eindeutig aus: Die heutigen Jetstream-Eskapaden unterscheiden sich kein bisschen von dem Verhalten des Strahlstroms in der Vergangenheit. Die aktuelle Entwicklung läuft vollständig im Bereich der bekannten natürlichen Variabilität ab. In der Kurzfassung der Arbeit schreiben Woolings und Kollegen:
When viewed in this longer term context, the variations of recent decades do not appear unusual and recent values of jet latitude and speed are not unprecedented in the historical record.
Auch der italienische Meteorologe Guido Guidi konnte im Rahmen einer Analyse von Jetstream-Daten der letzten 66 Jahre keinen Langzeittrend entdecken. Zudem können Klimamodelle den polaren Vortex noch immer nicht einheitlich abbilden, wie Horwitz et al. 2009 berichteten. Interessanterweise fanden Veretenenko und Ogurtsov (im Druck) sogar einen Zusammenhang der Entwicklung des Polar Vortex mit Schwankungen der Sonnenaktivität. Kurioserweise hatte das Time Magazin unter Hinweis auf Wissenschaftler im Jahr 1974 ähnliche polare Vortex-Wetterlagen als Folge einer stetigen Klimaabkühlung („Global Cooling“) interpretiert.