Klimatisch für Anfänger: Eine neue Lektion aus der Süddeutschen Zeitung

Vor kurzem stellten wir an dieser Stelle die erst wenige Jahrzehnte alte Sprache „Klimatisch“ vor (siehe unseren Blogbeitrag „Josh’s Klimakunst: Können Sie “Klimatisch”?„).  Am 23. Januar 2013 erschien nun in der Süddeutschen Zeitung ein bemerkenswerter, durchweg auf Klimatisch verfasster Text, den wir sehr gerne hier als geeignete Sprachlektion einführen wollen. Der Titel des besagten Aufsatzes lautet „Erderwärmung mit Pause?“, und der Autor dieses Spätwerks der klimatischen Sprache ist Christopher Schrader, mit dessen exzentrischer Dichtkunst wir uns hier im Blog bereits mehrfach beschäftigt haben. Im Folgenden bringen wir in der Spalte „Klimatisch“ einige Auszüge aus Schraders Text. In der rechten Spalte finden Sie die entsprechende Übersetzung ins Deutsche. Viel Spass bei dieser neuen Lektion aus der Reihe „Klimatisch für Anfänger“!

 

Klimatisch Deutsch
Es gibt Momente, da macht den Klimaforschern die Klimaforschung keinen Spaß mehr. Die ersten Wochen des neuen Jahres könnten dazu gehören. Da kommen unerwartete neue Daten, die einer Erklärung bedürfen, aber die Wissenschaftler können sich kaum an die Arbeit machen, weil ihnen alle möglichen Leute in den Ohren liegen. Manche werfen den Forschern das Versagen bisheriger Theorien vor, ziehen eigene Schlüsse aus Daten, die sie zu dem Zweck zurechtbiegen, und betonen mit einem triumphierenden Ausdruck, sie hätten es ja immer gesagt. Ach Du liebe Sch….e. Jetzt haben diese Leute da draußen doch tatsächlich mitbekommen, dass es seit 15 Jahren gar nicht mehr wärmer geworden ist. Diese blöden Fakten können einem so richtig den Tag vermiesen. Und jetzt wollen die auch noch, dass wir das öffentlich zugeben. Ätzend. Für wen halten sich diese Ungläubigen eigentlich? Das kommt gar nicht in die Tüte. Nee, nee liebe Freunde. Recht haben nur wir. Denn wir sind die Guten. Und Ihr die Bösen. So war das immer, und so bleibt das auch.
Es geht um die Frage, ob der Klimawandel womöglich eine Pause macht. Und ob an den bisherigen Erklärungen der globalen Veränderung etwas falsch ist. Letzteres, um es gleich zu sagen, lehnen Klimaforscher rundum ab: „Im Hintergrund geht die globale Erwärmung weiter“, erklärte James Hansen, Leiter des Goddard-Instituts der Nasa (Giss), mit zwei Kollegen vor einigen Tagen. „Es fällt mehr Wärme von der Sonne auf die Erde als sie wieder ins All strahlt.“ Das genau ist das Wesen des Treibhauseffekts. Um es gleich zu sagen: Wir lehnen es rundum ab, dass man uns kritisiert. Kritik können wir echt nicht ab. Wir machen keine Fehler. Wir irren uns nie. Fehler machen immer nur die anderen. Bei uns ist alles bestens. Das gilt besonders für unseren spirituellen Führer, James Hansen. Klar, dessen Temperaturprognose von 1988 ist dummerweise meilenweit an der Realität vorbeigeschossen. Aber das weiß zum Glück ja keiner. Und wenn James ein ganz ernstes Gesicht macht, dann fressen ihm die Journalisten immer noch aus der Hand. Haha. Hej James, wie war das nochmal mit dem Treibhauseffekt und warum Du Recht hast? „Nun“, sagt James, „Nachts ist es dunkler als draußen!“. Genau, genau, Du hast mal wieder Recht, James Hansen, Du bist einfach klasse!
Die Climatic Research Unit (CRU) an der University of East Anglia und das Giss stuften das Jahr als neuntwärmstes seit Beginn der Aufzeichnungen ein, die US-Wetterbehörde Noaa als zehntwärmstes. 2010 war den Instituten zufolge das wärmste oder zweitwärmste Jahr gewesen. Die genauen Daten dieser Auswertung sind im Internet verfügbar. Und hier die Siegerehrung der Temperaturolympiade: Lediglich den neunten Platz erreichte das Jahr 2012. Frage an den Athleten: „Sie hatten zuvor vollmundig verkündet, Sie würden so superheiß werden wie nie zuvor und alles verbrennen, was in Ihnen in die Quere kommt. Woran hat’s gelegen? Mit Verlaub, Sie haben sich in den letzten 15 Jahren kein Zehntelgrad verbessern können. Liegts vielleicht an Ihrer Trainingsmethode? War das EPO alle?“ Das Jahr 2012 antwortet: „Nein, nein, eigentlich bin ich der heißeste von allen. Aber ich hatte mich verletzt, außerdem kann ich nicht gut bei Vollmond brennen, dazu hatte ich noch einen Schnupfen und mir den Magen kurz vor dem Wettbewerb verdorben. Wenn Sie im Internet googlen, dann werden Sie schnell sehen, dass ich eigentlich der Heißeste und Beste geworden wäre, wenn nichts dazwischengekommen wäre.“
Verstärkt wurde die Botschaft noch durch eine Simulation, an der der britische Wetterdienst Met Office arbeitet: eine Vorhersage für ein Jahrzehnt. Die Meteorologen, die eng mit der CRU zusammenarbeiten, experimentieren damit, den Temperaturtrend der nahen Zukunft zu ergründen. Es basiert, sagen sie, auf einer Prognose der Meeresströmungen, die große Mengen Wärme transportieren. Ende Dezember veröffentlichte das Met Office einen Ausblick auf die Jahre 2013 bis 2017, wonach die Temperaturen zunächst etwas steigen, dann wieder leicht fallen, und so für weitere fünf Jahre auf hohem Niveau auf der Stelle treten. Dieses blöde Met Office. Wir hatten denen doch klipp und klar gesagt, dass sie die echte Prognose auf keinen Fall verwenden sollten. Das Volk ist einfach noch nicht reif für die Wahrheit. Und der Phil Jones vom CRU nervt ganz besonders. Der hatte doch tatsächlich vor einiger Zeit behauptet, dass sich die Erwärmungsrate 1977-2000 statistisch nicht von den Erwärmungsphasen 1860-1880 und 1910-1940 unterscheidet. Was für ein Blödkopf. So was kann man doch nicht laut in der Öffentlichkeit sagen. Das sollte doch unser gemeinsames Geheimnis bleiben.
Diese Nachricht wurde an vielen Stellen in den Medien und im Internet aufgegriffen, ohne groß auf die Aussagekraft der Information zu achten. Stattdessen wurden diese schnell mit den immer wieder gesäten Zweifeln verknüpft, ob Treibhausgase wie CO2 wirklich das Klima verändern: Schließlich waren die Emissionen in vergangenen Jahren teilweise im Rekordtempo gestiegen. Ich könnte wahnsinnig werden, wenn ich sehe, dass nicht alle Medien und Blogs den vorgefertigten PIK-Pressetext verwenden. Wie kann es angehen, dass jemand hier selbständig mitdenkt, obwohl das amtliche klimatische Denkmonopol doch ganz klar auf einen bestimmten Berg in Potsdam beschränkt ist? Warum wurden hier Analysen veröffentlicht, ohne sie durch die Klimazensur prüfen zu lassen? Stattdessen wagt man es wirklich, an den religiösen Grundpfeilern unseres Klimatums zu zweifeln?
Gleichzeitig sei die Sonne in einem Strahlungsminimum, betonten manche, also habe sie offenbar stärkeren Einfluss als angenommen. Diese Argumentation ist schon von der Logik her falsch, wendet da die Wissenschaft ein: Wenn eine Theorie Probleme hat, alle Fakten zu erklären, dann ist doch nicht automatisch eine konkurrierende Theorie richtig, für die es sonst keine guten Belege gibt. James Hansen betont, dass der schwankende Einfluss der Sonnenzyklen viel geringer sei als der stetig steigende Effekt der Treibhausgase. Der Weltklimarat IPCC bestätigt das in dem bereits bekannt gewordenen Entwurf seines nächsten Berichts: Es ist so gut wie sicher, dass die Menschheit mit der Emission von Treibhausgasen Einfluss auf das Klima nimmt. Und CO2 ist bei weitem der stärkste Faktor, stärker als alle natürlichen Phänomene. Komm mir jetzt bloß nicht mit der Sonne, die nervt. Ist mir völlig egal, dass die in der Vergangenheit das Klima maßgeblich mitbestimmt hat. Denn diese Argumentation mit der Sonne ist schon von der Logik her falsch, wenden wir als erste und beste Wissenschaft ein. Unsere Modelle sind ganz vorzüglich, weil die Computer mit denen wir gerechnet haben ganz teuer waren. „Upps“, wendet da die zweite Wissenschaft ein. „Hand aufs Herz, Eure Modelle sind wirklich nicht so dolle. Ihr hattet uns für die letzten 15 Jahre drei Zehntel Grad Erwärmung versprochen. Und nichts davon ist eingetreten.“ „Manno“ sagt da die erste Wissenschaft. Nur weil wir fünfzehnmal falsch gelegen haben, könnt Ihr doch nicht plötzlich anfangen an uns zu zweifeln! Und James Hansen hat gesagt, die Sonne kann nichts, und der große Astrophysiker und Solargeologe James Hansen hat immer Recht. Naja, mit Ausnahme seiner saublöden Temperaturprognose von 1988 natürlich. Das mit der Taugenichts-Sonne steht ja sogar im neuen IPCC-Bericht. Ärgerlich nur, dass die Abbildungen im IPCC-Entwurf irgendwie komplett anders und harmloser aussehen als die von Stefan Rahmstorf“.
Auch über die Zahlen, die in der Argumentation benutzt werden, ist zu reden: Die Jahreszeitenprognose des Met Office ist ein experimentelles Produkt, das in der Vergangenheit nicht unbedingt gute Ergebnisse erzielt hat. Vor allem aber widersprechen Forscher der Annahme, eine Analyse der Temperaturen über 15 Jahre sei eine vernünftige Sache. Normalerweise gilt Klima als Mittelwert des Wetters über 30 Jahre. Wenn man in den Daten von CRU, Giss und Noaa die Trends zwischen 1983 und 2012 bestimmt, ergeben sich Steigungen um 0,16 Grad pro Jahrzehnt, die überhaupt keinen Anlass zum Zweifeln liefern. Das Met Office taugt nichts. Verräter. Mit denen reden wir nix mehr. Und 15 Jahre sind viel zu kurz. So schauts aus. Das passt uns gar nicht. Wir wollen noch weitere 15 Jahre Narrenfreiheit. Das reicht genau bis zur Rente. „Pssst“ flüstert da die zweite Wissenschaft. Hoffentlich merkt keiner, dass Santer et al. (2011) neulich mal gesagt haben, dass auch 17 Jahre ausreichen würden. Und wenn man die Met Office Prognose hernimmt, dann werden das auf jeden Fall mehr als 17 Jahre Erwärmungsstopp. Hoffentlich kommt das nicht raus, sonst wird’s echt brenzlig.
Grund für einen Rückzieher sehen Klimaforscher also nicht. Aber sie interessieren sich auch für mögliche Ursachen, warum mehr Treibhausgase nicht eins zu eins höhere Temperaturen auslösen. Zum Beispiel fragen sich die Experten, ob die deutliche Zunahme von Smog vor allem in Asien, wo viele neue Kohlekraftwerke ans Netz gehen und der Autoverkehr zunimmt, die Erde kühlt. Als wichtiger Faktor gelten auch Meeresströmungen, weil Ozeane um eine Vielfaches mehr Wärme speichern und verschieben als die Atmosphäre. Nicht vollständig verstanden haben die Klimaforscher auch das Wechselspiel zwischen El-Niño- und La-Niña-Episoden im Pazifik. Genug Möglichkeiten also, die Theorie vom Klimawandel durch Treibhausgase um einige Nebenfaktoren zu erweitern – wenn die Forscher nach dem gehässigen Trara über Temperaturkurven wieder klare Gedanken fassen können. Nee, jetzt mal redlich und nachhaltig. Nur weil wir komplett falsch lagen, ist das noch lange kein Grund, einen Rückzieher zu machen. Wir wollen auf keinen Fall die üppig sprudelnden Fördergelder oder unser Gesicht verlieren. Wir sind doch nicht dumm. Jan Ullrich sagt ja auch nicht öffentlich, dass er gedopt hat. Irgendeine blöde Ausrede wird uns schon einfallen. Global Dimming haben die Leute schon einmal geglaubt, als es von 1940-1977 nicht wärmer werden wollte. Dass die Kältephase total gut mit dem Pazifischen Ozeanzyklus (PDO) zusammenpasste, brauchen wir ja keinem auf die Nase zu binden. Und dass das jetzt wieder so ist, sollten wir auch für uns behalten. Immer wenn‘s kälter wird, machen wir Global Dimming. Und wenn‘s dann wieder wärmer wird ist‘s die Klimakatastrophe. So einfach geht das. Aber so ein bisschen PDO müssen wir jetzt einfach mal zugeben, so weh das auch tut. Und da mischen wir noch ein bisschen El Nino-La Nina rein, das klingt kompliziert und exotisch, das macht sich immer gut. Aber klar, das sind alles nur „Nebenfaktoren“. König Kohlendioxid ist unser Held. Und den werden wir bis aufs Messer verteidigen. Klare Gedanken hatten wir zuletzt 1998 fassen können, als uns El Nino richtig viel Freude bereitet hat. Seitdem wollen die Gedanken nicht mehr wie sie eigentlich sollen. Das macht mich echt traurig und betroffen, dass die Natur nachhaltig unsere Modelle verleugnet.

Copyright: Josh.