Eine der Grundregeln in der Wissenschaft ist es, sich stets die harten Basisdaten anzuschauen. Egal was Professor X oder Doktor Y so herumerzählen, immer sollte man zunächst die wirklichen Daten heranziehen, um sich ein eigenes Bild zu machen. Das ist die berühmte wissenschaftliche Unabhängigkeit und Ergebnisoffenheit. Und dieses Prinzip leitet auch die Arbeit in diesem Blog, wie Stammleser sicher schon mitbekommen haben.
Vor kurzem kam das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) mit einer Pressemitteilung heraus, dass der Meeresspiegel jetzt sogar noch viel scheller ansteigt als bislang vermutet. Alles wird noch viel schlimmer als es sowieso schon war. So oder so ähnlich musste man die PIK-Meldung jedenfalls verstehen. Tun wir also unsere Pflicht und schauen auf die harten Daten. Wir nehmen dazu natürlich nicht irgendwelche Daten, sondern einen der weltweit etablierten Satellitendatensätze, der von der University of Colorado Sea Level Research Group herausgegeben wird (Abbildung 1).
Abbildung 1: Meeresspiegelentwicklung der letzten 15 Jahre basierend auf Satellitenmessungen. Daten bis August 2012. Quelle: University of Colorado Sea Level Research Group.
Die Überraschung ist groß, da wir auf den ersten Blick sehen können, dass sich seit 1992 rein gar nichts beim Meeresspiegelanstieg beschleunigt hat. Statt Beschleunigung entdecken wir eher eine leichtes Abbremsen des Meeresspiegelanstiegs in den letzten Jahren. Dazu braucht man keine komplizierten Formeln und Mittelwerte. Das sieht man mit bloßem Auge. Was für eine Ente hat uns das PIK dort eigentlich aufgetischt?
Nun könnte das PIK sagen, jaja, das stimmt, da hat sich nix beschleunigt. Aber unsere Prognosen waren halt viel geringer als was jetzt herausgekommen ist. Tja, auch in diesem Fall können wir die Herrschaften nicht aus der Pflicht entlassen. Der heutige Trend war bereits in den ersten zehn Jahren der Satellitenmessungen klar erkennbar. Wenn dann Prognosen erstellt werden, die diesen Trend nicht honorieren, sind dies einfach grobe handwerkliche Fehler.
Ok, wir werden hier nicht herausbekommen, was das PIK hier geritten hat. Widmen wir uns daher nun einer viel spannenderen Frage. Schauen Sie sich die Kurve oben noch einmal genau an. Fällt Ihnen etwas auf? Genau, zwischen 2011 und Mitte 2012 ist der globale Meeresspiegel um satte 5 mm abgesackt. Das wäre doch mal eine viel interessantere Pressemitteilung des PIK gewesen: „Meeresspiegel um 5 mm abgestürzt: Muss das Nordseebad Cuxhaven bald Konkurs anmelden?“
Spass beiseite. Was könnte den deutlich sinkenden Meeresspiegel in diesen 20 Monaten wohl verursacht haben? Eine US-amerikanische Forschergruppe um Carmen Boening vom Jet Propulsion Laboratory im kalifornischen Pasadena hat nun herausgefunden, dass das fehlende Wasser wohl verstärkt abgeregnet ist und insbesondere in Australien, im nördlichen Südamerika und in Südostasien zwischengespeichert wurde. Auf diese Weise füllten sich dadurch Grundwasservorkommen und Seen auf. Die Ursache hierfür sehen die Wissenschaftler im pazifischen Wettergeschehen. Auslöser war wohl der Wechsel von El Nino-Bedingungen 2009/2010, die 2010/2011 durch einen starken La Niña abgelöst wurden. Die Studie wurde im Oktober 2012 in den Geophysical Research Letters veröffentlicht.