Die Klimadiskussion ist facettenreich. Wie in jeder wissenschaftlichen Diszipin gibt es unterschiedliche Interpretationen und Ansichten. Es wäre schlimm, wenn dies nicht so wäre. Aus politischen Gründen wird jedoch oft behauptet, es gäbe nur zwei Gruppen: Die schlauen Anhänger der IPCC-Auslegung sowie die dummen Skeptiker. Eine gefährliche Verklärung der Realität. Gute Gedanken gibt es bei allen Teilnehmern, wenn man sich die Mühe macht, mitzudenken. Aber es passieren auch Fehleinschätzungen, und über die muss man auch sprechen dürfen. In unserem Blog ‚Die kalte Sonne‘ kommentieren wir die Vorgänge in den Klimawissenschaften. Wir loben, wenn es etwas zu loben gibt. Und wir kritisieren, wenn wir einen Denkfehler erkannt haben. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, auf welcher Seite die Protagonisten stehen. Es geht allein um die Inhalte. Verzeihlich sind Fehler, die aus Versehen passieren. Wo geabeitet wird, passieren Fehler. Diese müssen dann aber auch anschließend klar eingeräumt werden. Probematisch sind logische Fehler und Fehlinterpretationen, die vorsätzlich gestreut werden, um politische Wirkung zu erzeugen.
Ein Großteil unserer Kritik im Blog zielt auf Klimaalarm ab, also das Aufbauschen von klimatischen Trends unter Vernachlässigung natürlicher Klimaprozesse und ihrer aktuellen Wirkung. Heute wollen wir jedoch auch ein beliebtes Skeptikerargument unter die Lupe nehmen, nämlich Probleme mit der Angabe der mittleren globalen Erdtemperatur. Wie wir sehen werden, gibt es hier in der Tat Probleme. Allerdings hat sich in der Argumentation ein Denkfehler eingeschlichen, so dass das Argument letztendlich nicht greift und as acta gelegt werden sollte. Schwache Argumente sollten so schnell wie mögloch aussortiert werden, um Raum für furchtbarere Diskussionen zu schaffen.
Die absolute globale Durchschnittstemperatur
Auf der Erde gibt es eine Vielzahl von Wetterstationen, außerdem überwachen Satelliten die Temperaturentwicklung des Globus nahezu flächendeckend. Natürlich ist es schwierig, aus der Vielzahl von Datenpunkten und Lücken eine globale Durchschnitts-Temperatur zu berechnen – aber es ist natürlich mathematisch möglich. Einige Gebiete der Erde erwärmen sich, andere sich kühlen ab. Es gibt jahreszeitliche Effekte, Gebirgseffekte und Datenlücken in schwer zugänglichen Regionen, die man auf verschiedene Weise interpolieren kann. Der Durchschnitt aller Weltregionen ergibt dann einen Mittelwert, der für ein konkretes Zeitfenster definiert ist. Dieses Zeitfenster kann z.B. ein bestimmtes Jahr oder ein bestimmtes dreißigjähriges Intervall sein.
Immer wieder liest und hört man Angaben absoluter globaler Temperaturen. Sie werden von NASA, GISS, WMO und anderen Organisationen herausgegeben. Leider sind diese unkoordiniert und weichen z.T. stark voneinander ab. Paul Bossert und Rainer Hoffmann vom «Klimamanifest von Heiligenroth» kritisieren seit Jahren diese Konfusion in Blogartikeln und Youtubevideos. Sie tun dies zu Recht, denn der Vergleich der Werte erbringt verwirrende Resultate. Im September 2018 formulierten sie beispielsweise ihre Kritik als Frage, die der SRF an den ehemaligen IPCC-Mann Thomas Stocker weiterreichte:
FRAGE 3: In den Jahren 1988 bis 1995, also in den Anfangsjahren des Weltklimarates IPCC, sei nach mehreren übereinstimmenden Quellen die absolute globale Mitteltemperatur zwischen 15,4 °C bis 15,5 °C ausgewiesen worden. Seit dem wissenschaftlichen 4. IPCC-Bericht 2007, für den auch Sie mitverantwortlich waren, verlaufe aber die globale Absoluttemperatur einer globalen Erderwärmung nur noch zwischen einem absoluten Temperaturfenster von 13,67 °C (für das Jahr 1850) und bis zu 14,8 °C (laut WMO in Genf für das Jahr 2017). Wurde es in den letzten 30 Jahren also kälter?
Bossert und Hoffmann haben natürlich Recht. Die Werte sind richtig zitiert und suggerieren auf den ersten Blick eine Absenkung der globalen Mitteltemperatur in neueren Klimaberichten, was natürlich nicht zur gemessenen Klimaerwärmung passt. Die IPCC-nahe Webplattform RealClimate räumt das Problem unumwunden ein:
Like the proverbial elephant, the internet never forgets. And so the world is awash with quotes of absolute global mean temperatures for single years which use different baselines giving wildly oscillating fluctuations as a function of time which are purely a function of the uncertainty of that baseline, not the actual trends. A recent WSJ piece regurgitated many of them, joining the litany of contrarian blog posts which (incorrectly) claim these changes to be of great significance. One example is sufficient to demonstrate the problem. In 1997, the NOAA state of the climate summary stated that the global average temperature was 62.45ºF (16.92ºC). The page now has a caveat added about the issue of the baseline, but a casual comparison to the statement in 2016 stating that the record-breaking year had a mean temperature of 58.69ºF (14.83ºC) could be mightily confusing. In reality, 2016 was warmer than 1997 by about 0.5ºC!
Das Problem: Die Berechnung von globalen Mitteltemperaturen ist schwierig und hängt von einer Vielzahl von Annahmen und Methoden ab. Da wundert es nicht, dass die globalen Temperatur-Kurven der verschiedenen Auswertprodukte deutlich voneinander abweichen. GISS strich gar eine Umrechnungsformel von seiner Webseite, vielleicht um Konfusion zu vermeiden. Zudem kann sich im Laufe der Jahre auch die Methodik und das Bezugsniveau verändert haben. Realclimate zeigt ein Beispiel dafür:
Abbildung: Entwicklung der globalen Mitteltemperatur laut verschiedener Reanalysis-Modelle. Quelle: RealClimate.
Die Einzelkurven laufen ziemlich paralell zueinander, sind jedoch vertikal gegeneinander versetzt. Dieser vertikale Versatz ist ein Problem, das nicht leicht in den Griff zu bekommen ist. Daher ist es einfach, die Kurven einfach auf ein gemeinsames Nullniveau (baseline) zu setzen, und dann ihren Verlauf miteinander zu vergleichen. Hier steckt die wahre Information für die Klimadiskussion, nämlich die Erwärmungsrate pro Jahrzehnt, die bei den dargestellten Kurven trotz vertikalem Versatz sehr ähnlich ist. Wenn sich alle öffentlichen Aussagen auf ein Datenprodukt mit über die Jahre stabiler Methodik beziehen würde, so gäbe es gar keine Diskrepanz. Der ständige Hinweis auf den vertikalen Versatz der globalen Temperaturkurven führt in der Klimadiskussion nicht weiter, da er schnell erklärt werden kann. Entsprechend einfach hatte es Stocker im SRF-Interview:
Thomas Stocker: «Die Wissenschaft steht nicht still, das heisst, dass auch diese Zahlen ständig hinterfragt und kritisch beurteilt werden. Wenn in einem nachfolgenden IPCC Bericht Zahlen korrigiert werden, erfolgt dies erst nach einem langwierigen Begutachtungsverfahren, eingehender Debatte und genauer Nachprüfung, bis schliesslich ein Konsens gefunden wird. Das bedeutet, dass die erwähnten Zahlen von einem früheren Bericht nicht mit denjenigen eines nachfolgenden Berichts verrechnet werden können.»
Stocker hätte das noch viel klarer als Problem der Methodik erklären können, aber im Prinzip hat er Recht. Wir möchten daher allen Klimadiskutanten empfehlen, sich die Sache noch einmal genau anzuschauen. Der entsprechende Artikel auf RealClimate bildet eine gute Grundlage, unabhängig von der Kritik, die an vielen anderen RealClimate-Artikeln zu üben ist. Wenn die Klimadiskussion Fortschritte machen soll, so müssen beide Seiten ihre Argumente schärfen, das gilt auch für die Skeptikerseite. Auf diese Weise werden sich schnell die echten Knackpunkte herauskristallisieren, die voraussichtlich im Bereich der Attribution von Klimaschwankungen und der groben Unterschätzung natürlicher Klimafaktoren liegt.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Die vorgebrachte Kritik stellt keinswegs die großen Leistungen der genannten Klimaskeptiker oder anderer Skeptiker in Frage, die diese Argumente in der Vergangenheit vorgebracht haben. Im Gegenteil, die klimaskeptische Seite ist sich bewusst, dass Diskussion und Kritik integraler Bestandteil der Wissenschaft ist. Stichhaltige Argumente sollten immer mehr zählen, als eingefahrene Positionen aussichtslos zu verteidigen. Für die IPCC-Seite lässt sich diese Offenheit leider nicht feststellen. Sie ignoriert Kritik lieber und grenzt Kritiker aus, anstatt Kritikpunkte ernsthaft und ergebnisoffen zu erörtern.
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P.S. Nur um vorzubeugen: Die oben gezeigten Temperaturkurven sind natürlich nur ein Beispiel, um das Prinzip zu erläutern. Auch wenn die absolute globale Mitteltemperature hier keinen große Ansatzpunkt liefert, so muss doch kritisiert werden, dass die von Real Climate verwendeten Kurven vor allem die GISS-Version der Temperaturentwicklung propagieren. Das verwundert wenig, ist doch Gavin Schmidt als GISS-Direktor auch Co-Autor der RealClimate Aktivistenseite. Daher hier noch einmal die realistischere globale Temperaturentwicklung auf Basis der UAH-Satellitendaten:
Abbildung: Globale Temperaturentwicklung auf Basis der UAH-Satellitendaten. Quelle: Woodfortrees.org.