Noch vor einiger Zeit galt Biosprit als wichtige Zukunftssäule einer nachhaltigen Energieversorgung. Auch im Zuge der deutschen Energiewende spielte diese Energiespielart bislang eine wichtige Rolle und wurde kräftig gefördert. Anders als Wind- und Solarstrom, muss man Biosprit nicht sofort verbrauchen, sondern kann den Energieträger bequem zwischenlagern, bis er wirklich benötigt wird. Die Speicherfähigkeit ist in der Tat ein großer Vorteil. Weniger schön hingegen sind etliche andere Aspekte der Bioenergie, die bei der politischen Rahmengesetzgebung und der Einführung offensichtlich leichtfertig übersehen wurden. Wer in dieser energetischen Sturm- und Drangzeit zu sehr auf diese Defizite hinwies, wurde sogleich als Gegner oder Saboteur der Energiewende hingestellt.
In unserem Buch „Die kalte Sonne“ haben wir die Aufbauphase der erneuerbaren Energien analysiert und Missstände aufgezeigt. Neben dem überhasteten Umbau ohne Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit (siehe unser Blogartikel „Nach der Anfangseuphorie kommt jetzt die Ernüchterung: Überhastete Energiewende wird bald unbezahlbar“), hatten wir uns auch mit der Fragwürdigkeit der Bioenergie beschäftigt. In unserer Analyse konnten wir die massive Einführung von Biokraftstoffen als politischen Schnellschuss identifizieren, welcher als direkte Folge der allgemeinen CO2-Hysterie anzusehen ist. Auf Seite 348 schreiben wir hierzu in „Die kalte Sonne“:
Die Europäische Union hat für 2020 das Ziel vorgegeben, 10 Prozent der Kraftstoffe durch Bioethanol auf Weizen-, Roggen- oder Zuckerbasis sowie Rapsöl als Dieselersatz erzeugen zu lassen. Deutschland hat bereits – wie so häufig im Klimaschutz vorauseilend – für 2010 einen Biokraftstoffanteil von 6,25 Prozent und für 2015 8 Prozent gesetzlich festgelegt. Die CO2-Bilanz dieser Maßnahmen ist höchst fragwürdig. Allein durch die Kulisse der IPCC-induzierten Schreckensgemälde ist nachvollziehbar, dass mittlerweile 20 Prozent der deutschen landwirtschaftlichen Fläche mit Energiepflanzen bestückt ist. […]
Bedenkt man, dass allein der Zuwachs des Kraftstoffbedarfs in China in den nächsten 25 Jahren die fünffache Menge des deutschen Kraftstoffverbrauchs ausmacht und die zusätzliche Kraftstoffnachfrage eines halben Jahres in China das Biokraftstoffvolumen in Deutschland mehr als kompensieren würde, kommt man unweigerlich zu dem Ergebnis, dass die mit Hysterie geführte Klimadebatte auf eine rationale Basis zurückgeführt werden muss. Gegen Biosprit oder Biogas aus pflanzlichen Reststoffen ist prinzipiell nichts einzuwenden, doch vor einer Ausweitung der Flächen warnt der Vorsitzende des Bioökonomierats der Bundesregierung, Prof. Reinhard Hüttl mit deutlichen Worten, nämlich dass „die Nutzung der Bodenflächen in Deutschland weitgehend ausgereizt sei. Entsprechende Rückwirkungen auf die Boden- beziehungsweise Pachtpreise seien bereits deutlich spürbar.“ (BioÖkonomieRat 2010). In anderen Teilen der Erde hat der Energiepflanzenanbau bereits zu Rodungen des tropischen Regenwalds und zum Anstieg der Lebensmittelpreise geführt.
Noch im März 2012, als unser Buch erschien, wollten nur Wenige diese Warnungen überhaupt hören. Das schöne Bioenergie-Gedankenschloss wollte man sich wohl nicht zerstören lassen. Zu süß war der Traum, als dass man daraus aufwachen wollte. Stattdessen zogen Wissenschaftler und Politiker durch die Lande und verkündeten, dass sowieso alles falsch sein müsse, was in unserem Buch steht, denn es bildet ja nicht den angeblichen wissenschaftlichen Konsens ab.
So kann man sich irren. Mittlerweile sieht die Situation bekanntlich anders aus. Heute gibt es kaum noch jemanden, der die Sinnhaftigkeit großmaßstäblicher Bioenergie anzweifelt. Immer mehr Stimmen werden laut, dass man sich wohl früher in den Ökobilanzen verrechnet und das Dilemma „Tank oder Teller“ maßlos unterschätzt habe.
Ende Juli 2012 meldete sich nun die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina mit einer neuen Studie zur Bioenergie. Das Fazit der Untersuchung fällt eindeutig aus:
In einer Stellungnahme zu den Grenzen und Möglichkeiten der Nutzung von Bioenergie kommt die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina zu dem Schluss, dass Bioenergie als nachhaltige Energiequelle für Deutschland heute und in Zukunft keinen quantitativ wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten kann. Im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energieressourcen wie der Photovoltaik, der Solarthermie und der Windenergie verbrauche Bioenergie mehr Fläche und sei häufig mit höheren Treibhausgasemissionen und Umweltbeeinträchtigungen verbunden. Zudem konkurriere Bioenergie potenziell mit der Herstellung von Nahrungsmitteln. Vorrang solle der Einsparung von Energie sowie der Verbesserung der Energieeffizienz gegeben werden.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb hierzu am 27. Juli 2012:
Die simple Logik, dass Pflanzen beim Wachsen auf dem Feld, Wald und Wiese so viel Kohlendioxid aufnehmen, wie sie später beim Verbrennen wieder freisetzen, ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Daneben passieren lauter unübersichtliche Dinge beim Anbauen, Düngen, Ernten, Transportieren und Verarbeiten des Grünzeugs, die man nicht ignorieren darf. Die dabei verwendeten Maschinen verbrauchen Energie, die vollkommende Verwertung der Pflanzen schadet den Böden, wenn immer weniger Stroh untergepflügt wird, der Stickstoff aus dem Dünger landet als potentes Treibhausgas in der Atmosphäre. Und schließlich könnte eine globalisierte Biomasse-Wirtschaft schnell die Bedürfnisse der Ärmsten nach bezahlbarer Nahrung an den Rand drängen. Immer mehr Wissenschaftler senken darum den Daumen über die Bioenergie. Zuletzt auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Die „Verwendung von Biomasse als Energiequelle in größerem Maßstab [ist] keine wirkliche Option für Länder wie Deutschland“, stellt das Forschergremium in einer [Ende Juli 2012] veröffentlichten Stellungnahme fest. Sie empfiehlt, den geplanten Ausbau der Bioenergie zu stoppen. Das europäische Ziel, 2020 zehn Prozent des Treibstoffs für Autos aus Biomasse zu gewinnen, solle man überdenken. Und die Idee, Deutschland könne im Jahr 2050 fast ein Viertel seines Energiebedarfs aus einheimischen Pflanzen decken, so wie es die Szenarien der Bundesregierung vorsehen, empfinden die Forscher als geradezu irrwitzig.
In einem Vorbericht vom 26. Juli 2012 hatte dieselbe Zeitung bereits einen der Koordinatoren der Leopoldina-Studie zitiert:
„Das Ziel von 23 Prozent der Primärenergie, die laut den Szenarien der Bundesregierung im Jahr 2050 Pflanzen liefern sollen, ist nicht nachhaltig zu erreichen“, begründet Rudolf Thauer, Direktor am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg das Votum [der Leopoldina]. Er gehört zu den drei Koordinatoren des 124-seitigen Berichts, der der SZ vorliegt. „Die Verfügbarkeit der Biomasse ist nicht so hoch wie angenommen, und die intensive Landwirtschaft, die sie erzeugt, stößt sehr viele Treibhausgase aus.“ Den Anbau zu steigern habe ungewollte Folgen. Schon heute werde den Wäldern mehr Holz entnommen als langfristig tragbar und auf den Feldern zu wenig Stroh untergepflügt, um die Bodenqualität zu erhalten. Gesteigerte Erträge ließen sich nur durch mehr Dünger erzielen, dessen Stickstoff in die Luft getragen als potentes Treibhausgas wirkt. Außerdem gibt es ein Mengenproblem. „Selbst wenn wir die ganze Biomasse, die in Deutschland in einem Jahr nachwächst, verheizen würden, ließe sich damit der Energiebedarf nur zur Hälfte decken“ so Thauer.
Es wird klar, dass der allergrößte Teil der Landwirtschaftlichen Produktion in Deutschland und weltweit dringend zur Nahrungsmittelproduktion benötigt wird. Dies gilt insbesondere, um auf regelmäßig wiederkehrende Extremwettersituationen vorbereitet zu sein, die mit großen Ernteausfällen verbunden sein können.
Wie konnte man all dies so einfach übersehen? Die diesjährige Dürre in den USA zeigt doch, dass man in den Bioenergieszenarien offensichtlich zu naiv vorgegangen ist. Eine ähnlich heftig Dürre hatte die USA bereits in den 1930er Jahren heimgesucht, was für viele Planer wohl in den Bereich Archäologie und Prähistorie fiel, so dass eine solche Situation nicht in realistischer Weise durchgespielt wurde. Die Süddeutsche Zeitung schrieb am 16. August 2012:
Droht eine neue Hungersnot? Die Dürre im Mittleren Westen der USA hat die Preise für Agrarprodukte noch einmal verteuert. Die Reaktion an den Weltmärkten auf die Ernteausfälle ist deshalb so heftig, weil die Vorratslager für Getreide fast leer sind. Besonders stark leidet Afrika. Während viele Menschen hungern, wird im Westen mehr als ein Drittel der Maisproduktion für Biosprit verbraucht. […] Immerhin ein Drittel der deutschen Maisernte landet inzwischen in Biogasanlagen, wie das Bundesagrarministerium einräumt. Tendenz steigend. Landwirte werden zu Energiewirten, die von Stromreissubventionen profitieren – und weniger Nahrungsmittel anbauen. […] Seit 2007 schreibt die Regierung in Washington den amerikanischen Raffinerien vor, neun Prozent Bioalkohol ins Benzin zu mischen, mit der Folge, dass in diesem Jahr, kurz vor Ausbruch der Dürre, 37 Prozent der Maisernte in Autotanks landen. Die Vorschrift hat schon vor der Trockenheit im Mittleren Westen die Preise getrieben, in Kombination mit der Jahrhundertdürre sind die Folgen jedoch verheerend. In den vergangenen sechs Wochen hat sich Mais um 50 Prozent auf 340 Dollar pro Tonne verteuert. Das wird auf der ganzen Welt zu spüren sein. Über ein Drittel der Maisproduktion in der Welt stammt aus den Vereinigten Staaten. José Graziano da Silva, Generaldirektor der Welternährungsorganisation FAO, forderte die USA daher auf, ihr Biosprit-Programm „vorläufig auszusetzen“ und so die Lage auf den globalen Nahrungsmärkten zu entspannen.
Die deutsche Politik hat mittlerweile reagiert. Entwicklungsminister Entwicklungsminister Niebel fordert jetzt plötzlich das sofortige Ende von des Biokraftstoffs E10 (siehe z.B. Bericht im Focus). Auch die SZ berichtete am 16. August 2012:
Angesichts steigender Getreidepreise fordert Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) einen Verkaufsstopp für den Biosprit E10 an deutschen Tankstellen. Biosprit können zu stärkerem Hunger in der Welt beitragen, sagte Niebel dem Fernsehsender n-tv. „Das ist ein Konflikt zwischen Tank und Teller.“
Niebels Forderung ist selbstverständlich zu begrüßen. Es muss trotzdem die Frage erlaubt sein, warum sich erst jetzt, kurz vor dem Crash, diese Erkenntnis durchsetzt. Haben die zahlreichen Fachleute, Planer und politischen Berater die Bioenergie-Risiken schlichtweg unterschätzt? Oder haben sie gewarnt, fanden aber kein Gehör? Etwas mehr Weitsicht hätte hier sicher nicht geschadet. Und wie kann es eigentlich sein, dass der neue Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) noch ein paar Wochen zuvor angekündigt hatte, er wolle die Nutzung von Biomasse auf jeden Fall vorantreiben (siehe z.B. SZ vom 27.7.2012)?
Interessanterweise sehen mittlerweile sogar die Umweltverbände den Biosprit sehr kritisch und unterstützen Niebel in seiner Forderung des E10-Stopps. Die SZ schrieb am 17. August 2012:
[Niebels] Forderung nach einem sofortigen Verkaufsstopp für den umstrittenen Biosprit E10 stößt sowohl beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) als auch bei Greenpeace auf Zustimmung. „Wir haben E10 schon immer kritisch gesehen“, sagt BUND-Sprecher Rüdiger Rosenthal. „Die darin enthaltene erhöhte Beimischung von Bioethanol ist nicht nur klimapolitisch fragwürdig, sondern verschärft auch die Konkurrenz zwischen Tank und Teller.“ Auch Martin Hofstetter, Agrarexperte bei Greenpeace, hält Niebels Vorschlag für sinnvoll. „Ökologisch bringt uns die Biosprit-Erzeugung überhaupt nichts“, sagt der Fachmann. „Sie hat im Gegenteil eher noch zu einer Intensivierung der Landwirtschaft beigetragen und damit zu einer weiteren Belastung der Böden und des Klimas.“
Siehe auch Beitrag auf Zeit Online zur Leopoldina-Studie.