Der Anstieg des CO2-Gehalts in der Atmosphäre bereitet nicht nur hinsichtlich der Erderwärmung Sorge, sondern wird auch als Auslöser der Ozeanversauerung diskutiert. Unbestritten hat sich der durchschnittliche pH-Wert der Weltozeane in den letzten Jahrzehnten leicht erniedrigt, liegt aber noch auf der basischen Seite des Spektrums. Abseits dieses Langzeittrends wird oft verdrängt, dass der „Versauerungswert“ auch starken natürlichen Schwankungen unterliegt, die nichts mit dem atmosphärischen CO2-Geschehen zu tun haben. Eine Pressemitteilung des Geomar vom 23. Februar 2015 verdeutlicht dies:
Via Laser in die Vergangenheit der Ozeane
GEOMAR-Forscher rekonstruieren pH-Werte der vergangenen 120 Jahre im Nordpazifik
Experten des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel konnten jetzt zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus Großbritannien, Kanada und den USA dank modernster Analysetechnik erstmals den pH-Wert des Nordpazifik seit Ende des 19. Jahrhunderts hochauflösend rekonstruieren. Die Studie, die in der aktuellen Ausgabe der internationalen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erscheint, offenbart einen klaren Versauerungstrend, aber auch starke saisonale Schwankungen.
Neben der globalen Erwärmung gilt die Ozeanversauerung derzeit als zweites großes CO2-Problem. Denn mit dem Anstieg der Kohlendioxid (CO2)-Konzentrationen in der Atmosphäre gelangen auch immer größere Mengen des Gases in die Meere. Zusammen mit dem Wasser bildet es Kohlensäure, die den pH-Wert der Ozeane sinken lässt. Welche Auswirkungen das auf die Ökosysteme haben wird, ist noch weitgehend offen. Die Forschung steht vor einem großen Problem: Messungen des pH-Werts im Meer gibt es erst seit wenigen Jahrzehnten, in einigen Bereichen nur seit wenigen Jahren. Mit welchen pH-Werten sind Organismen vor 100, 200 oder 1000 Jahren zurechtgekommen?
Wissenschaftlern des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel ist es jetzt zusammen mit Partnern aus Großbritannien, Kanada und den USA gelungen, den Säuregrad (pH-Wert) des nördlichen Pazifiks in den vergangenen 120 Jahren auf Monate genau zu rekonstruieren. Dafür analysierten sie Proben von speziellen Kalkalgen mit einer innovativen Kombination aus Lasertechnik und Isotopenanalyse. „Aus den hohen nördlichen Breiten gibt es solche Rekonstruktionen bisher nicht. Die Daten sind aber wichtig, um die möglichen Folgen der Ozeanversauerung beurteilen zu können. Die von uns angewandte Technik eröffnet neue Möglichkeiten bei der Umweltrekonstruktion“, sagt Dr. Jan Fietzke vom GEOMAR. Er ist Erstautor der Studie, die jetzt in dem internationalen Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erscheint.
Für ihre Untersuchung, die unter anderem vom deutschen Verbundprojekt zur Erforschung der Ozeanversauerung BIOACID finanziert wurde, nutzte das Forscherteam Algen der Art Clathromorphum nereostratum. Diese Algen bilden im Nordpazifik und in der Beringsee große Riffe mit festen Kalkstrukturen. In ihnen sind schon mit bloßem Auge Jahresringe zu erkennen, die – ähnlich wie bei Bäumen – Informationen über die jeweiligen Umweltbedingungen enthalten.
Um diese Informationen hochauflösend zu entschlüsseln, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Verfahren namens Laser-Ablation angewendet. Dabei schießt ein spezieller Laser an vorher genau definierten Punkten Material aus der Probe. „Ein einzelner Probenpunkt ist gerade mal ein Zehntel Millimeter groß“, sagt Dr. Fietzke. Das abgelöste Material wird anschließend automatisch in ein Massenspektrometer abgeführt, wo verschiedene Isotopenverhältnisse in der Probe gemessen werden können. Für die aktuelle Studie nutzte die Arbeitsgruppe zwei Isotope des Elements Bor, deren Verhältnis zueinander als zuverlässiger Indikator für den pH-Wert des Meerwassers gilt.
Bei der Analyse ergab sich, dass der pH-Wert im Nordpazifik tatsächlich seit Ende des 19. Jahrhunderts sinkt, das Wasser also versauert. „Der Trend passt genau zu den steigenden Kohlendioxid-Werten in der Atmosphäre“, erklärt Co-Autorin Dr. Federica Ragazzola von der Universität Bristol (UK). Gleichzeitig offenbarte die monategenaue Auflösung aber auch starke Schwankungen des pH-Wertes innerhalb eines Jahres. Vermutlich stammen sie daher, dass in der Herkunftsregion der Kalkalge große Tangwälder wachsen. „Im Frühjahr und Sommer verbraucht der Tang große Mengen an CO2. Im Wasser entsteht also weniger Kohlensäure, der pH-Wert steigt“, erklärt die Biologin.
Begeistert zeigten sich die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von den Möglichkeiten der Laser-Ablation. „So erhalten wir extrem hoch aufgelöste Ergebnisse, die man sehr gut optisch auswerten kann. So sind Unterschiede direkt sichtbar und man muss nicht nackte Zahlen vergleichen, schwärmt Dr. Fietzke.
Die jetzt vorliegende Studie soll erst der Anfang sein. „Diese und ähnliche Arten von Kalkalgen gibt es in allen Ozeanen in den hohen Breiten. Sie können mehrere tausend Jahre alt werden. Dank der Laserablation können wir mit weiteren Proben in Zukunft noch viel weiter in die Vergangenheit zurück, um detailliert pH-Wert und andere Umweltparameter zu rekonstruieren“, betont der Kieler Physiker.
BIOACID in Kürze:
Unter dem Dach von BIOACID (Biological Impacts of Ocean Acidification) untersuchen 14 Institute, wie marine Lebensgemeinschaften auf Ozeanversauerung reagieren und welche Konsequenzen dies für das Nahrungsnetz, die Stoff- und Energieumsätze im Meer sowie schließlich auch für Wirtschaft und Gesellschaft hat. Das Projekt begann 2009 und ging im September 2012 in eine zweite auf drei Jahre angelegte Förderphase. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt die aktuellen Arbeiten mit 8,77 Millionen Euro. Die Koordination liegt beim GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Eine Liste der Mitglieds-Institutionen, Informationen zum wissenschaftlichen Programm und den BIOACID-Gremien sowie Fakten zur Ozeanversauerung sind auf der Website www.bioacid.de zu finden.Originalarbeit:
Fietzke, J., F. Ragazzola, J. Halfar, H. Dietze, L. C. Foster, T. H. Hansteen, A. Eisenhauer, R. S. Steneck (2015): Century scale trends and seasonality in pH and temperature for shallow zones of the Bering Sea. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), Early Edition, http://dx.doi.org/10.1073/pnas.1419216112
Eine halbes Jahr später legte eine Forschergruppe um Gangjian Wei eine Studie zur pH-Entwicklung während der vergangenen 160 Jahre im Westpazifik nach. Die Wissenschaftler fanden eine signifikante natürliche Variabilität des Versauerungsgrades, die im Maßstab von Jahrzehnten schwankte. Ein einheitliches Schwankungsmuster konnten Wei und Kollegen nicht finden, die Entwicklung in den einzelnen Regionen unterscheidet sich stark. Hier der Abstract der Arbeit, die im November 2015 im Journal of Geophysical Research erschien:
Decadal variability in seawater pH in the West Pacific: Evidence from coral δ11B records
Long-term seawater pH records are essential for evaluating the rates of ocean acidification (OA) driven by anthropogenic emissions. Widespread, natural decadal variability in seawater pH superimposes on the long-term anthropogenic variations, likely influencing the OA rates estimated from the pH records. Here, we report a record of annual seawater pH estimated using the δ11B proxy over the past 159 years reconstructed from a Porites coral collected to the east of Hainan Island in the northern South China Sea (SCS). By coupling this time series with previously reported long-term seawater pH records in the West Pacific, the decadal variability in seawater pH records and its possible driving mechanisms were investigated. The results indicate that large decadal variability in seawater pH has occurred off eastern Hainan Island over the past 159 years, in agreement with previous records. The Qiongdong upwelling system, which controls nutrient supplies, regulates surface water productivity, and is driven by the East Asian summer monsoon, is the primary control of this decadal variability, while terrestrial inputs appear not influence significantly. Meanwhile the impacts of the Pacific Decadal Oscillation (PDO) and the El Nino and Southern Oscillation (ENSO) systems on seawater pH off eastern Hainan Island is likely limited. In contrast, the PDO is the main factor to influence the decadal seawater pH variability offshore the East Australia, while the mechanism controlling the decadal seawater pH variability in Guam is not clear yet. Meanwhile, the rate of decrease in seawater pH estimated from coral records are significantly different in different regions and over different time spans, which may reflect a combination of natural decadal variability in seawater pH and long-term variations. Therefore, understanding the mechanisms driving natural variability in seawater pH is important for improving estimates of ocean acidification rates driven by anthropogenic emissions.
Schauen wir in die pH-Kurve von Hainan (Abb. 1). Über die letzten 160 Jahre sind starke Oszillationen des pH-Wertes zu erkennen, jedoch kein Langzeittrend. Der Vergleich mit dem PDO-Ozeanzyklus und El-Nino-Geschehen bringt wenig Übereinstimmung. Der genaue Antrieb der starken natürlichen Variabilität der Ozeanversauerung im West-Pazifik bleibt daher vorerst unklar. In Australien hingegen ist es wohl die PDO, die die Versauerungsänderungen kontrolliert.
Abb. 1: Änderungen des pH-Wert (Versauerungsgrades) des Ozeanwassers offshore Hainan Island im Westpazifik. Quelle: Wei et al. 2015.
Schauen wir nun in den Atlantik, in die Sargassosee. Eine Team um Nathalie Goodkin dokumentierte von dort eine 222-jährige Zeitreihe zur pH-Entwicklung, die sie im Juni 2015 in den Geophysical Research Letters publizierten. Unerwarteterweise fanden die Forscher enorme Schwankungen in der Ozeanversauerung, die größtenteil von der atmosphärischen CO2-Entwicklung entkoppelt sind. Andere Faktoren wie die Ozeanzirkulation und beiogechemische Änderungen spielen dabei eine weitaus größere Rolle. Hier der Abstract:
Ocean circulation and biogeochemistry moderate interannual and decadal surface water pH changes in the Sargasso Sea
The oceans absorb anthropogenic CO2 from the atmosphere, lowering surface ocean pH, a concern for calcifying marine organisms. The impact of ocean acidification is challenging to predict as each species appears to respond differently and because our knowledge of natural changes to ocean pH is limited in both time and space. Here we reconstruct 222 years of biennial seawater pH variability in the Sargasso Sea from a brain coral, Diploria labyrinthiformis. Using hydrographic data from the Bermuda Atlantic Time-series Study and the coral-derived pH record, we are able to differentiate pH changes due to surface temperature versus those from ocean circulation and biogeochemical changes. We find that ocean pH does not simply reflect atmospheric CO2 trends but rather that circulation/biogeochemical changes account for >90% of pH variability in the Sargasso Sea and more variability in the last century than would be predicted from anthropogenic uptake of CO2 alone.
Wieder wollen wir es genauer wissen und suchen uns die Kurve aus der Publikation heraus. Die graue Kurve in Abbildung 2 gibt die pH-Entwicklung in der Sargassosee wieder (die schwarze Kurve zeigt einen Vergleichsdatensatz aus einem antarktischen Eiskern). Gut zu erkennen ist die starke natürliche Variabilität des pH-Wertes. Zwischen 1840 und 1950 fiel der pH deutlich ab. Im Anschluss daran stieg der Wert dann jedoch wieder, obwohl der CO2-Gehalt in der Atmosphäre gleichzeitig anstieg. Im letzten halben Jahrhundert dominierte offenbar die natürliche Variabilität die Ozeanversauerung in diesem Teil des Atlantiks.
Abbildung 2: Entwicklung des pH-Wertes (Ozeanversauerung) in der atlantischen Sargassosee währen der vergangenen 250 Jahre (graue Kurve). Die schwarze Kurve zeigt zum Vergleich die pH-Entwicklung im antarktischen Law Dome Eiskern. Quelle: Goodkin et al. 2015.
Die Vernachlässigung historischer pH-Wertmessungen in der Klimadiskussion wurde bereits vom Hydrologen Michael Wallace auf WUWT bemängelt.
Selbst im saisonalen Jahresgang schwankt der pH-Wert in einigen Ozeanbereichen viel stärker als angenommen. Eine Forscherguppe um David Kline stellte Untersuchungen im Großen Barriereriff in Australien an und entdeckte ein natürliches temporäres Absacken auf pH-Werte, die im weltweiten Durchschnitt für 2100 prognostiziert werden. Die Studie erschien im Juni 2015 in PLOS One.