Von Michael Miersch
Zuerst erschienen auf Salonkolumnisten.com.
Postfaktische Warm-ZEIT
„Die Zeit“ fragt, was gegen Populisten hilft – und spielt in der gleichen Ausgabe den Populisten in die Hände. Indem sie allein ihnen jegliche Kritik an den offiziellen Klimaprognosen überlässt. Wer zweifelt sei „postfaktisch“ und „rechtkonservativ“.
„Was hilft gegen den Populismus?“ fragt „Die Zeit“ auf der Titelseite ihrer Ausgabe vom 8. Dezember 2016. Gut, dass sich die Redaktion Gedanken über diese wichtige Frage macht. Nur ein Aspekt kam mir ein bisschen zu kurz dabei: journalistische Selbstgerechtigkeit. Dass manche Journalisten ihren Lesern, Hörern und Zuschauern als elitäre Volkserzieher begegnen, wussten die neuen nationalistischen Bewegungen geschickt für sich auszunutzen.
In der gleichen Ausgabe, steht direkt unter dem Populismus-Titel ein Artikel mit der Überschrift „Nichts zu leugnen“, der geradezu prototypisch alles enthält, was Leser als Zumutung empfinden, die informiert und nicht bekehrt sein möchten. Der Autor berichtet kurz von zwei Temperaturphänomenen: Einer Rekordeisschmelze am Nordpol und einem großen Riss im Eisschelf Larsen C des Südpols. Diese Informationen benötigt zwei von elf Absätzen. Der Rest des Artikels warnt eindringlich vor finsteren Mächten, die die globale Erwärmung leugnen. Diese „rechtskonservativen“ Gesellen seien allesamt von der „Öl- und Kohlelobby“ gesteuert. Was sie sagen sei durchweg „postfaktisch“.
Offenbar ist bei der „Zeit“ niemandem aufgefallen, wie solches Abkanzeln jeglicher Zweifel an einer zum Konsens erklärten Theorie genau die gesellschaftliche Spaltung fördert, die die Titelgeschichte so arg bedauert. Ein Blick in die eigenen Archive hätte womöglich geholfen. 1984 war die Redaktion genauso fest vom „Waldsterben“ überzeugt und erhob sich ebenso selbstsicher über alle Skeptiker: „An der Diagnose gibt es nichts mehr zu deuteln. Fünfzig Prozent der bundesdeutschen Wälder sind geschädigt … Am Ausmaß des Waldsterbens … könnte heute nicht einmal der ungläubige Thomas zweifeln, allenfalls ein Ignorant.“
Der Artikel zieht alle Register der rhetorischen Diskreditierung. Wer der Mehrheitsmeinung der Klimaforscher und Politiker nicht folgt, sei ein „Leugner“. Zweifel rühren nicht etwa aus Sachverstand, Daten und Fakten, sondern würden „mit viel Geld gestreut“. Dabei handele es sich um „Desinformationskampagnen“. Ergo: Wer die globale Erwärmung nicht so einschätzt wie der Autor, ist ein bezahlter Propagandist oder ein Ignorant (siehe Waldsterben 1984).
Wer sich ein bisschen mit der Klimadebatte der vergangenen drei Jahrzehnte befasst hat, und mit dem Positionen derjenigen Wissenschaftler, die nicht auf Linie des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) liegen, der fragt sich, wer denn diese immer wieder aufgeführten „Klimaleugner“ sind? Es mag ja solche Spinner geben, aber ich habe bei meinen Recherchen jedenfalls nicht einen getroffen, der angezweifelt hätte, dass das Klima sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts um etwa 0,8 Grad erwärmt hat. Dies ist messbar und unstrittig.
Gestritten wird um vier Fragen:
• Sind die Prognosen des PIK und anderer Institutionen, die eine dramatische Erwärmung vorhersagen, wirklich so gut, wie sie selbst behaupten? Schließlich haben sie in der Vergangenheit oftmals falsch gelegen. Fakt ist: Die Schreckensszenarien aus den 80er-Jahren, als globale Erwärmung ein Thema wurde, sind nicht eingetroffen.
• Ist das Kohlendioxid (CO2) der wichtigste Faktor beim Klimawandel, oder wirken auch andere Naturkräfte, beispielsweise die Sonnenaktivität? Schließlich war es in der erdgeschichtlichen Vergangenheit mehrmals so, dass es zuerst wärmer wurde und danach ein Anstieg des CO2-Gehalts in der Luft folgte.
• Ist der Beitrag des Menschen tatsächlich alles entscheidend, angesichts dessen, dass 96 Prozent des CO2 in der Atmosphäre aus natürlichen Quellen stammen?
• Ist eine Erwärmung nur schlecht, oder bringt sie auch Vorteile? Schließlich waren im Laufe der Erdgeschichte Warmzeiten für Menschen, Tiere und Pflanzen stets besser als Eiszeiten.
Um solche kniffligen Fragen kann man sich prima herummogeln, wenn man alle Zweifler zu Leugnern erklärt. Um die klimatische Drohkulisse schön schaurig auszumalen, muss man nichts falsches behaupten, man lässt einfach alle Informationen weg, die das Gesamtbild ambivalent erscheinen lassen könnten. Die Tatsache, dass die Klimawandel der Vergangenheit selten nur Nachteile oder nur Vorteile brachten, ist auszublenden.
Es wäre sicherlich auch für „Zeit“-Leser einmal interessant zu erfahren, dass die Erde seit dem heftigen Anstieg des CO2 immer grüner wird. Satellitenbilder, Flugaufnahmen und Untersuchungen am Boden belegen, die Pflanzenwelt profitiert massiv. Weltweit dehnen sich Wälder aus und Wüsten ergrünen (natürlich nur dort wo die Vegetation nicht aktiv von Menschen durch Raubbau zerstört wird).
Nicht ganz unwichtig auch die Tatsache, dass die globale Durchschnittstemperatur von Ende der 1990er-Jahre bis Mitte der 2010er-Jahre nicht gestiegen ist, sondern stagnierte – ganz im Gegensatz zu früheren Prognosen des PIK. Bei der Klimakonferenz in Doha 2012 war diese Stagnation ein großes Thema. In Deutschland wurde kaum darüber berichtet.
Aber geschenkt, der „Zeit“-Artikel dreht sich ja lediglich um die Pole. Doch auch hierbei wären zwei Informationen hilfreich gewesen, damit „Zeit“-Leser sich ein Gesamtbild machen können.
Erstens die einfache physikalische Tatsache, dass selbst ein komplettes Abschmelzen des Nordpols, den Meeresspiegel nicht anheben würde. Sie ist vielen Menschen nicht bewusst. Verantwortungsvoller Journalismus sollte sie nicht unerwähnt lassen. Das Nordpol-Eis liegt auf dem Wasser. Wandelt sich Eis zu Wasser, ändert sich der Pegel nicht.
Nicht ganz unwichtig wäre auch zu erwähnen, dass zwar das Larsen C Eisschelf möglicherweise abbricht, das Eis am Südpol – im Gegensatz zum Nordpol – aber insgesamt zugenommen hat. Die Temperaturen in der Antarktis steigen nicht, sie fallen.
Solche Informationen sind „Zeit“-Lesern offenbar nicht zuzumuten. Das Weglassen aller Tatsachen, die den schlimmsten Prognosen der Klimaforschung zuwiderlaufen könnten, ist in Deutschland leider medienübergreifend üblich. Fairerweise muss hier erwähnt werden, dass „Der Spiegel“, wenige andere Blätter und ganz gelegentlich sogar „Die Zeit“ ab und an eine Abweichung vom alarmistischen Grundton wagen. Wer aber verlässlich auch über widersprüchliche und nicht ins Katastrophenbild passende Klimafakten informiert sein möchte, ist auf ausländische Zeitungen angewiesen.
Bewohner totalitärer Staaten wissen, Relevant ist, was nicht in den Zeitungen steht. Leider trifft dies gelegentlich auch in einer freien Presselandschaft zu, wenn Autoren es nicht fertigbringen wichtige Fakten zu erwähnen, die nicht in ihr Weltbild passen. Wie anders ist es zu erklären, dass im Rahmen des Nordpolschmelze-Schwerpunktes in der „Zeit“ ein dreiviertelseitiges Interview mit einem Eisbären-Experten abgedruckt wird. Der Interviewer dabei aber nicht die Frage stellt, ob diese Tierart immer seltener wird – wie die meisten Menschen glauben – oder nicht.
Man muss nicht sonderlich misstrauisch sein, um zu vermuten, dass dieses Thema ausgespart wurde, weil die korrekte Antwort nicht in den apokalyptischen Sound des Themenschwerpunktes passt. Fakt ist: Den Eisbären geht es so gut wie lange nicht. Während Wissenschaftler in den 70er-Jahren lediglich 5.000 Eisbären zählten, liegt die Bestandsgröße laut jüngster Schätzung zwischen 22.600 und 32.000 Tieren. Etwa 1.000 davon dürfen jedes Jahr ganz legal abgeschossen werden, damit die Population nicht zu schnell wächst.
Einen krassen Fall für das Weglassen relevanter Informationen erlebte ich im September 2012. Als Leiter der „Focus“-Wissenschaftsressorts flatterte mir eine Pressemeldung des amerikanische National Snow and Ice Data Center (NSIDC) auf den Tisch. Die Behörde gab bekannt, dass sich rund um den Südpol so viel Eis gebildet hatte wie noch nie seit Beginn der Messungen. Gleichzeitig vermeldete das Institut eine Rekord-Eisschmelze am Nordpol. Doch bis auf wenige Ausnahmen, berichteten die deutschen Medien nur vom nördlichen Eisschwund und ließen die südliche Eisausdehnung weg. Vermutlich befürchteten die Redakteure, dies könnte Leser und Zuschauer auf falsche Gedanken bringen.
Eigentlich sollte man annehmen, dass deutsche Redaktionen seit den Ereignissen der vergangenen Silvesternacht in Köln eine Lektion gelernt haben: Es ist nicht ratsam Leser und Zuschauer vor bestimmten Informationen zu „beschützen“. Doch offenbar sehen viele Medienleute nicht das systemische in dieser Art betreuender Berichterstattung. Sie glauben, wenn man künftig die Herkunft von Straftätern nicht mehr verschweigt, sei die Sache erledigt. Ist sie aber nicht. Auch bei allen anderen Themen sollten die Rezipienten als mündige Bürger angesprochen werden und nicht als Zöglinge. Wer glaubt, das Weglassen unliebsamer Tatsachen bewahre Menschen davor, die Falschen zu wählen, irrt. Das Gegenteil ist der Fall.
Deswegen ist das Dümmste an dem „Zeit“-Klimaleugner-Artikel, dass er alle, die am angeblichen Konsens zweifeln in die rechtskonservative Ecke stellt. Damit fördert der pädagogische Klimajournalismus die neuen Nationalisten. Er wirft den Demagogen einen Happen hin, der ihnen bestens schmeckt und sie stärkt.
Es ist ein Trauerspiel und einer liberalen Demokratie unwürdig, dass heute nur die AfD ein paar skeptische Zeilen zur Energiewende und der vermeintlichen Klimarettung durch deutsche Windräder im Programm stehen hat. Dies war keinesfalls von Anfang an so. Einer der einflussreichsten Führungsfiguren der AfD war noch vor Kurzem Konrad Adam, ein abgrundtief pessimistischer Klima-Apokalyptiker. Erst als grüne Klimapolitiker immer massiver versuchten, alles Zweifel an ihrem Weltrettungsplan als „rechts“ zu denunzieren, nutzte die Partei die Chance auch in diesem Teich zu fischen.
Das Klima ist weder links noch rechts und die Klimaforschung auch nicht. Es geht bei der Debatte um Erwärmungsprognosen und die richtigen Folgerungen daraus um Sachfragen und nicht um Werturteile. So sollte es zumindest sein. Doch leider wurde das Thema ins Rechts-links-Schema gepresst. Zunächst in den Vereinigten Staaten, wo es zur Parteiraison der Demokraten gehört, an die düsteren Prognosen der Klima-Warner zu glauben. Während man ihnen als ordentlicher Republikaner mit einer Extraportion Skepsis begegnet. Mittlerweile ist es auch in Deutschland so: Während die meisten Linken die Klimakatstrophe verkünden, neigen viele Zweifler zum Konservatismus.
Wie kommt es, dass eine naturwissenschaftliche Frage, die nichts, aber auch gar nichts mit politischer Gesinnung zu tun hat, die allein durch Empirie geklärt werden kann, fast nur noch nach dem Muster der parlamentarischen Sitzordnung betrachtet wird?
Ein Grund könnte sein, dass es den Klima-Warnern ein bedeutender kommunikativer Sieg gelungen ist. Sie unterstellen erfolgreich, dass jeder, der den Schrecken einer globalen Erwärmung relativiert, von der Kohle- und Ölindustrie gekauft sei. Also von finsteren kapitalistischen Mächten (= rechts!). Dies hat sich in vielen Köpfen festgesetzt.
Sicherlich bezahlen Kohle- und Ölkonzerne Lobbyisten. Doch der einseitige Vorwurf gekauft zu sein, lässt zwei Dinge außer Acht. Die gleichen Konzerne, die fossile Kraftwerke betreiben, investieren seit Jahren in Wind- und Solarenergie. Auch dies ist längst ein Milliardengeschäft und getarnte Propagandisten sind dafür ebenfalls unterwegs. Es gibt also auf beiden Seiten gekaufte Meinungen – und Menschen, die aus Überzeugung argumentieren.
Betrachtet man den deutschen Weg zur Klimarettung, die Energiewende, kann man darin schwerlich linke Politikansätze erkennen. Ideologisch erwünschte Technologien werden durch massive Umverteilung von unten nach oben gefördert und am Leben erhalten. Wer zur Miete wohnt, muss die Solardächer der Haus- und Grundbesitzer mitfinanzieren. Sozial ist das nicht. Man erheischt Applaus aus dem Kulturbetrieb, den Kirchen, von gut situierten Beamten und den Managern des Öko-Industrie-Sektors. Die anderen fragen sich, wie sie ihre Stromrechnung bezahlen sollen.
Es ist traurig, dass die Hüter der Klima-Apokalypse die berechtigte Kritik daran AfD und Co. überlassen. Viele Journalisten in den großen, populären Medien haben offenbar immer noch nicht begriffen, dass sie nur mit Offenheit und umfassende Informationsweitergabe (auch wenn’s dem eigenen Weltbild weh tut) Vertrauen zurückerobern können. Das wäre ein schönes Thema, wenn die Zeit wieder einmal fragt: Was hilft gegen den Populismus?
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Über Michael Miersch
Michael Miersch mag Menschen, aber auch Tiere, insbesondere die wilden. Weshalb er bei der Deutschen Wildtier Stiftung arbeitet. Drei Jahrzehnte lang schrieb er wilde Geschichten in so unterschiedlichen Biotopen wie Die Welt, taz, Focus, natur, Cicero und Hessischer Rundfunk. Außerdem drehte er Tierfilme und verfasste ziemlich viele Bücher.