Von Frank Bosse und Fritz Vahrenholt
Unser lebensfreundlicher Stern war auch im vergangenen Monat recht inaktiv. Die festgestellte SunSpotNumber (SSN) betrug 44,7, dies sind nur etwa 64% des mittleren Wertes des aktuellen Monats für alle 23 bisher komplett systematisch beobachteten solaren Zyklen (SC) mit einer jeweiligen mittleren Dauer von etwas über 11 Jahren. Das ergibt dieses Bild für den bisherigen Solaren Zyklus 24 (rot):
Abb. 1: Der Verlauf des Zyklus 24 im Vergleich zu einem mittleren Zyklus (blau), errechnet aus den Mittelwert der monatlichen SSN- Werte seit 1755, und dem seit vielen Monaten recht ähnlichem Zyklus 5 ( schwarz).
Auffällig: im stark absteigenden Ast des Zyklus seit etwa 18 Monaten ist der SC 24 konstant schwächer als der Zyklus 5, der das Dalton- Minimum um 1795 einläutete. Was wird also mit dem folgenden SC, der ab etwa 2020 erwartet wird? Im nächsten Monat werden wir wieder einen Blick auf die solaren polaren Felder werfen, ihre Stärke ist der erste Indikator für das, was die Sonne für uns bereit hält. Bis jetzt scheint alles für einen Verlauf wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu sprechen. Der Vergleich der Zyklen untereinander jeweils bis zum Monat 94 nach dem Start des SC24 im Dezember 2008:
Abb.2: Die aufsummierten monatlichen Abweichungen zwischen dem Mittelwert (blau in Abb.1) und den festgestellten Daten. Es gibt nur 2 Zyklen die inaktiver waren als der aktuelle SC: Nummer 5 und 6. Das ist 200 Jahre her! Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war die aktivste Phase in Amplitude und Zeitdauer.
Beginnend mit dem Zyklus 18 im Jahre 1944 bis in die Mitte der 90er (SC22) gab es 4 ausgesprochen starke Zyklen. Die Krone gebührt dem 19. , er endete 1964. Es folgte der drittstärkste Zyklus (SC 21) bis 1986. Das scheint ab etwa 2005 vorbei zu sein, ein solch starker Zyklus ist für die Jahre bis 2033 mit recht großer Sicherheit nicht zu erwarten.
Das arktische Meereis in 2016
Der Winter ließ Schlimmes befürchten: Die Arktis war sehr warm und auch der Wärmeinhalt der Wässer bis 700m Tiefe auf der europäischen Seite der Arktis zwischen dem Polarkreis und der Barentsee war sehr hoch. Das deutete auf ein sehr tiefes Minimum im September hin. Der zeitliche Verlauf der Saison Tag für Tag bis hin zum Minimum Mitte September ist recht spannend:
Abb.3: Die tägliche Abweichung der Eisausdehnung (der Fläche des Nordpolarmeeres, die von mindestens 15% Eis bedeckt ist= Extent) vom Mittelwert der 2000er für die Jahre ab 2007, als sich der erste große Einbruch des Meereises ereignete.
Die Saison startete mit einem sehr großen Eisdefizit von nahezu 1 Mio. km², sehr deutlich höher als alles was bisher von Satelliten gemessen wurde. Über die weiteren Monate stabilisierten sich die Verluste, für den gesamten Zeitraum war die Schmelze sehr durchschnittlich, sodass das Minimum nur unbedeutend tiefer war als 2007. Es wurde nichts aus dem neuen „Allzeitminimum“ das noch im Mai von manchem erwartet wurde. Das hält jedoch nach wie vor das Jahr 2012 mit weitem Abstand. Für die Monatsmittelwerte ergibt sich für die letzte Dekade (2007…2016) sogar ein Nulltrend: das arktische Meereis im Minimalwert (September) ist in diesem Zeitraum nicht weniger geworden, betrachtet man die zu mindestens 15% eisbedeckte Fläche.
Eis hat natürlich eine dritte Dimension, für die Ermittlung des Volumens ist die Eisdicke erforderlich. Dies ist eine noch schwierigere Aufgabe als die saubere Ermittlung der Eisbedeckung und vergleichbare Langzeitdaten stehen nur aus Modellen gewonnen bereit. Das meist benutzte ist „Piomas“ . Für die Auswertung wurde der Verlust des Volumens im September zum jeweils vorausgegangenen Maximum im April über die Jahre verglichen:
Abb. 4: Der Volumenverlust ( in Prozent) in den Jahren seit 1979 mit einer 11- jährigen Glättung.
In den 80er Jahren lag er recht konstant bei ca. 52% und stieg später (besonders nach 2000) steil an bis er um 2010 etwa 77 % im Mittel erreichte. In der Schmelzsaison verlor das arktische Meereis mehr als 3/4 seines Volumens, bei 100% ist nichts mehr da zum Schmelzen! In den späteren Jahren jedoch stagnierte der Wert, wie die Glättung in Abb. 4 zeigt. Der Volumenverlust scheint ein Plateau erreicht zu haben und das passt nicht zu den Erwartungen von selbst ernannten „Experten“. Einer davon ist Peter Wadhams. Er sagte bereits für das vergangene Jahr eine praktisch eisfreie Arktis (unter 1 Mio km² Extent) voraus. Die Wahrheit lag bei 4,6 Mio km²! Nun ist seine Prognose „eisfrei“ nächstes Jahr oder 2018 . Das ist weniger Wissenschaft denn „Atmosfear“ . Entsprechend ist auch das Echo, man fragt auch in den Medien inzwischen zunehmend kritisch nach, leider weniger in den deutschsprachigen.
Es gibt bei der Betrachtung von Diagrammen einige Regeln, die Sie unbedingt beachten sollten. Eine davon: hüten Sie sich vor Trendextrapolationen! Unsere subjektive Wahrnehmung ist da sehr verwundbar. Immer wenn wir einen Trend sehen verlängern wir ihn unbewusst. Der Mensch will Muster erkennen, auch wenn sie unter Umständen gar nicht da sind. Das hat ihm in den zig tausenden Jahren seiner Entwicklung im Kampf gegen die feindliche Natur stets geholfen. Seine Feinde (z.B. Säbelzahntiger) und seine Beutetiere waren immer in Bodennähe und unser Gehirn hat es gelernt, alles am Horizont höher zu bewerten als das, was weit oben am Himmel steht. Der auf- bzw. untergehende Mond erscheint uns nur aus diesem Grunde größer zu sein als der hoch am Firmament, Streuung oder eine andere physikalische Erklärung ist hier nicht die Ursache. Ganz ähnlich ist es mit Trendmustern. Ein schönes Beispiel liefert eine aktuelle Arbeit zum Thema. In der Abb. 3 wird dort der Meereisextent nach NSIDC (Daten) im September gezeigt:
Abb. 5: Der Meereisextent mit einem quadratischen Trend, Quelle: Hamilton et al. (2016)
Hier wird ein binomialer Fit 2. Ordnung als Trendlinie verwendet, obwohl in der Betrachtung in Tabelle 1 („RMSE“) der Arbeit der quadratische Trend seit 2008 (blaue Quadrate in Abb. 5) einen größeren Fehler aufweist als ein linearer Trend. Und was suggeriert diese Trendlinie? Eine viel frühere eisfreie Arktis als ein linearer Trend nahe legt:
Abb. 6: Linearer Trend (blau) und quadratischer Trend (rot) der beobachteten Daten bis 2015 wie in Abb. 5 verwendet (dunkelrot) extrapoliert, sowie ein 11-jähriger nichtlinearer Trend (grün).
In 2032 wäre die Arktis im September praktisch eisfrei, wenn wir den zitierten quadratischen Trend aus Abb.5 fortsetzen, beim linearen Trend wäre dies erst etwa 2060 der Fall. Beide Extrapolationen sind jedoch nicht zielführend, der weitere Verlauf der realeren grünen Kurve ist unbestimmt. Extrapolieren Sie „rot“ einfach einmal rückwärts, dies ist ebenso zulässig/unzulässig wie vorwärts. Sie kommen dann zu der Erkenntnis, dass die Arktis wohl schon im Jahre 1930 sommerlich eisfrei gewesen sein sollte. Das ist genauso Unsinn wie die Vermutung für 2032.
In Wahrheit hat sich in den letzen 10 Jahren praktisch nichts getan! Daher haben wir den nichtlinearen Trend in Abb. 6 bewusst nicht extrapoliert, er spiegelt das Verhalten der Beobachtungen mit dem kleinsten Fehler wieder. Der Säbelzahntiger ist sehr wahrscheinlich gar nicht da. Ob und vor allem wann der arktische Ozean im September eisfrei wird lässt sich infolge der hohen internen Variabilität nämlich nicht genau sagen, dies fanden auch Alexandra Jahn und Kollegen von der Universität Boulder, Colorado in einer aktuellen Arbeit heraus. Mit Trendextrapolationen wird uns die Sicherheit des nahen Endes des Sommereises im hohen Norden nur subtil suggeriert und das hat wenig mit Wissenschaft zu tun. Sie sollte erhellen und nicht Trugbilder erzeugen.