Es war einmal, vor gut drei Jahren, da empörte sich der schillernde Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf in seiner Klimalounge über den Deutschen Wetterdienst (DWD). Der DWD hatte es doch tatsächlich gewagt, Rahmstorf zu widersprechen. Konkret ging es um den vermuteten Zusammenhang zwischen der Ausdehnung des arktischen Meereises und kaltem Winterwetter. Rahmstorfs simples Modell: Weniger arktisches Meereis verursache kalte europäische Winter. Dazu führte er seinerzeit ein Sammelsurium von Studien an und behauptete:
Aus meiner Sicht liefern die oben genannten Studien deutliche Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem arktischen Eisverlust infolge der globalen Erwärmung, häufigeren Winter-Hochdrucklagen insbesondere über dem atlantisch-europäischen Teil der Arktis, und damit verbundenem Einstrom von Kaltluft nach Europa. Wie wir sie in den letzten Wintern oft erlebt haben – zum Beispiel spektakulär in der ersten Februarhälfte 2012.
Dabei schlug Rahmstorf verbal wild um sich und teilte kräftig aus. Der DWD sei blamabel, in Fragen des Klimawandels inkompetent, könne nicht mal wissenschaftliche Arbeiten lesen, die Argumente platt. Ein ungewöhnlich aggressiver Diskussionsstil, den man sonst in der Wissenschaft eher selten antrift. Rahmstorf O-Ton:
Die taz zitierte gestern dagegen den Sprecher des Deutschen Wetterdienstes mit der Aussage, wenn es einen direkten Zusammenhang mit der Meereisbedeckung geben würde, hätte ja der gesamte Winter in Deutschland zu kalt sein müssen. Dieses platte Argument, mit dem er die oben gezeigten Ergebnisse der Klimaforschung vom Tisch wischen möchte, halte ich für ziemlich blamabel für den DWD. Denn offenes Wasser in der Arktis setzt selbstverständlich das stochastische Wettergeschehen nicht außer Kraft; es wird immer einen Wechsel von kalten und warmen Perioden geben. In allen genannten Studien geht es um veränderte Wahrscheinlichkeiten in den vorherrschenden Wettermustern: Petoukhov und Semenov etwa schätzen, dass sich die Wahrscheinlichkeit von kalten Winterextremen verdreifachen könnte, das steht schon im Abstract. Man fragt sich, ob der DWD-Vertreter die relevanten Studien überhaupt gelesen hat – und wenn nicht, weshalb er sich berufen fühlt, sie in den Medien zu kommentieren. Leider hat es eine gewisse Tradition, dass Meteorologen, die sich mit Wettervorhersage befassen, wenig vertraut mit der Klimaforschung sind.
Drei Jahre sind seit Rahmstorfs digitalem Rumpelstielzchentanz ins Land gegangen. Die Forschung hat sich zwischenzeitlich des Themas professionell angenommen und konnte nun erste robuste Ergebnisse vorlegen. Am 11. August 2016 präsentierte eine Forschergruppe um Hans Chen von der Pennsylvania State University im Journal of Climate ein Paper, das Stefan Rahmstorf sicher eine schlaflose Nacht gebracht haben wird. Bitter: Rahmstorf lag voll daneben, er hatte den DWD offenbar ganz zu unrecht angepöbelt. In Wahrheit gibt es laut Chen et al. 2016 keinen robusten Zusammenhang zwischen dem arktischen Meereis und dem Wetter in mittleren Breiten.
Einige Zitate aus den Ergebnissen der Studie:
“ These results show that the linear relationship between Arctic sea-ice loss and mid-latitude weather patterns is weak, suggesting that the remote atmospheric response is small compared with the internal variability, or highly nonlinear with respect to the sea-ice area anomalies.“
„Thus, our results do not show evidence of an unusually elongated jet stream associated with Arctic sea-ice loss on a monthly time scale.“
„We have shown using several different metrics that the remote atmospheric response can be non-robust due to internal dynamics alone, and leave diagnosis of mechanisms behind this non-robustness for future studies. „
Fazit: Kalte Winter sind Wetter. Rahmstorfs Versuch der „Antropogenisierung“ des Winterwetters scheiterte grandios. Es zeigt jedoch auch die kurzatmigen Versuche, einige kältere Winter zu „verklimatisieren“. Eine souveräne Wissenschaft hätte solche billig PR-Gags nicht nötig.
Im Folgenden der Abstract der neuen Studie von Chen et al. 2016:
The robustness of mid-latitude weather pattern changes due to Arctic sea-ice loss
The significance and robustness of the link between Arctic sea-ice loss and changes in mid-latitude weather patterns is investigated through a series of model simulations in Community Atmosphere Model 5.3 with systematically perturbed sea-ice cover in the Arctic. Using a large ensemble of ten sea-ice scenarios and 550 simulations, it is found that prescribed Arctic sea-ice anomalies produce statistically significant changes for certain metrics of the mid-latitude circulation but not for others. Furthermore, the significant mid-latitude circulation changes do not scale linearly with the sea-ice anomalies, and are not present in all scenarios, indicating that the remote atmospheric response to reduced Arctic sea ice can be statistically significant under certain conditions, but is generally non-robust. Shifts in the Northern Hemisphere polar jet stream and changes in the meridional extent of upper-level large-scale waves due to the sea ice perturbations are generally small and not clearly distinguished from intrinsic variability. Reduced Arctic sea ice may favor a circulation pattern that resembles the negative phase of the Arctic Oscillation, and may increase the risk of cold outbreaks in eastern Asia by almost 50 %, but this response is found in only half of the scenarios with negative sea-ice anomalies. In eastern North America the frequency of extreme cold events decreases almost linearly with decreasing sea-ice cover. Our finding of frequent significant anomalies without a robust linear response suggests interactions between variability and persistence in the coupled system, which may contribute to the lack of convergence among studies of Arctic influences on mid-latitude circulation.
Wie reagierte die deutsschprachige Presse auf die wichtige neue Veröffentlichung? Noch vor vier Jahren hatte man ausführlich über Rahmstorfs Visionen zu den Kältewellen berichtet (Zeit, Welt). Nun jedoch herrschte vielsagendes Schweigen. Keine einzige Zeitung griff das Thema auf. Man wollte sich offenbar nicht blamieren. Ein weiterer Fall für unsere Kategorie „Schweigen im Walde“ („unbequeme wissenschaftliche Resultate, die von der deutschsprachigen Presse bzw. Medien totgeschwiegen werden, da sie nicht der im Mainstream-Journlismus fest etablierten Klima-Alarmismus-Storyline entsprechen.“).
Siehe auch: "Hypothese gefloppt: Kalte Winter keine Folge des schrumpfenden arktischen Meeereises"