Früher war der Klimawandel an allem und jedem Schuld. Mittlerweile hat man jedoch bemerkt, dass die Fixierung auf eine Ursache wenig realistisch ist. Das jüngste Beispiel ist die Bedrohung der Artenvielfalt. Spiegel Online berichtete am 11. August 2016:
Klimawandel: Was die Artenvielfalt wirklich bedroht
Der Klimawandel bringt nicht nur eine starke Veränderung des Wetters mit sich, er greift auch in das Leben von zahlreichen Tierarten ein – so lautete die These von einigen Forschern lange. Tatsächlich sei die weltweite Artenvielfalt derzeit jedoch weniger von Klimaveränderungen als von altbekannten Gefahren wie der Übernutzung von Ressourcen und der Landwirtschaft bedroht, berichten Forscher im Fachjournal „Nature“. Die Fokussierung auf den Klimawandel könne dazu führen, dass Prioritäten beim Artenschutz falsch gesetzt werden, befürchten sie.Weiterlesen bei Spiegel Online
Im dazugehörigen Artikel von Maxwell et al. in Nature heißt es:
There is a growing tendency for media reports about threats to biodiversity to focus on climate change. Here we report an analysis of threat information gathered for more than 8,000 species. These data revealed a contrasting picture. We found that by far the biggest drivers of biodiversity decline are overexploitation (the harvesting of species from the wild at rates that cannot be compensated for by reproduction or regrowth) and agriculture (the production of food, fodder, fibre and fuel crops; livestock farming; aquaculture; and the cultivation of trees). […] It is also crucial that the World Conservation Congress delegates — and society in general — ensure that efforts to address climate change do not overshadow more immediate priorities for the survival of the world’s flora and fauna.
Auch WDR5 Radio und die Schweizerische BauernZeitung berichteten. Im Folgenden die Original-Pressemitteilung der University of Queensland vom 11. August 2016:
Guns, nets and bulldozers driving species loss
University of Queensland-led research published in Nature has found that nearly three-quarters of the world’s threatened species are in peril because people are converting their habitat into agricultural lands and overharvesting species. The team from UQ, the Wildlife Conservation Society (WCS) and the International Union for the Conservation of Nature (IUCN) studied information on 8688 species on the IUCN Red List. PhD student in the School of Geography, Planning and Environmental Management (GPEM) Sean Maxwell said the study found that 72 per cent (6241 species) were overexploited (the harvesting of species from the wild at rates not compensated for by reproduction or regrowth).
The authors also showed that expansion and intensification of agricultural activity was imperilling 5407 (62 per cent) of species they assessed, including Africa’s cheetah and Asia’s hairy-nosed otter. “For example, the Sumatran rhinoceros, Western gorilla and a scaly mammal, the Chinese pangolin, are all hunted illegally for high market demand for their body parts and meat,” Mr Maxwell said. “In comparison, 19 per cent of species are considered threatened by climate change. “We are concerned that efforts to address climate change could overshadow more immediate priorities for the survival of the world’s flora and fauna. “Addressing overharvesting and agricultural activities are key to turning around the biodiversity extinction crisis. “This must be at the forefront of the conservation agenda.”
Study co-author Associate Professor James Watson of WCS and UQ GPEM said, “History has taught us that minimising impacts from overharvesting and agriculture require a variety of conservation actions but these can be achieved. “Actions such as well managed protected areas, enforcement of hunting regulations, and managing agricultural systems in ways that allow threatened species to persist within them all have a major role to play in reducing the biodiversity crisis. “These activities need to be well funded and prioritised in areas that will reduce threat.” Study authors also include Associate Professor Richard Fuller of UQ’s School of Biological Sciences and Dr Thomas Brooks of the IUCN. Next month, representatives from government, industry and non-government organisations will define future directions for conservation at the World Conservation Congress of the IUCN in Hawaii.
Bleiben wir beim Thema. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) überraschte am 29. August 2016 mit einer guten Nachricht:
Amazonaswald: Biodiversität kann Klimarisiken mindern
Wald mit einer großen Vielfalt von Pflanzen kann besser auf Klimastress reagieren. Erstmals konnten Forscher dies jetzt für das Amazonas-Gebiet in umfassenden Computer-Simulationen, die den Artenreichtum von Bäumen dort mit einberechnen, zeigen. Biodiversität kann demnach ein wirksames Mittel sein, Klimarisiken abzumildern, und sollte nicht nur im Naturschutzkontext betrachtet werden.
„Die Vielfalt der Eigenschaften all der verschiedenen Pflanzen in den Wäldern des Amazonas könnte diesem helfen, sich auf ein gewisses Maß von Klimaveränderung einzustellen – manche der heute vorherrschenden Bäume würden absterben und andere Arten würden ihren Platz einnehmen, die mit den zukünftigen klimatischen Bedingungen besser zurecht kommen“, sagt Boris Sakschewski vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Leit-Autor der in Nature Climate Change erscheinenden Studie. Das Überleben von Baumarten hängt zum Beispiel davon ab, was die Wissenschaftler ‚Blatt-Ökonomie‘ nennen: deren unterschiedliche Größe, Dicke, Langlebigkeit oder Dichte bestimmt mit, wie gut eine Pflanze höhere Temperaturen oder Wasserknappheit verträgt. „Biodiversität erweist sich hier als ein Muss, nicht als hübsches Beiwerk“, sagt Sakschewski. „Sie kann funktional sein für das langfristige Überleben der großen Biomasse-Reservoirs unserer Erde, zu denen auch die Wälder der Amazonas-Region gehören.“
Allerdings hängt dies vom Ausmaß der Belastung ab. Nur in einem Szenario mittleren Klimawandels kann große Biodiversität nach einem drastischen Rückgang von Biomasse zu einer weitgehenden Erholung nach mehreren Jahrhunderten in großen Gebieten des Amazonas beitragen. Auf mehr als 80 Prozent der Waldfläche der Region könnte die Biomasse zu einem großen Teil erhalten bleiben oder nachwachsen, so die Studie. In einem Szenario hingegen, in dem der Ausstoß von Treibhausgasen unvermindert anhält (business-as-usual) und zu massivem Klimawandel führt, könnten weniger als 20 Prozent der Fläche diesen positiven Effekt zeigen.
Ein wichtiger Schritt vorwärts für die Modellierung des Erdsystems
Nie zuvor ist dieses Kräftespiel so genau und umfassend in eine biogeochemische Simulation von Vegetation und Klimawandel eingebaut worden, dies ist ein wichtiger Schritt vorwärts für die noch bessere Modellierung des Erdsystems. „Um zu erklären, wie die Vielfalt der Eigenschaften von Pflanzen zur Widerstandsfähigkeit des Regenwalds beiträgt, haben wir zuerst ein Versuchsgebiet in Ecuador untersucht und dann die Simulationen auf das ganze Amazonasbecken ausgedehnt“, sagt die Leiterin des Forschungsteams, Kirsten Thonicke vom PIK. „Wir haben hieran mehrere Jahre gearbeitet. Bekannt war, dass Biodiversität bedeutsam ist für die Produktivität eines Ökosystems und für das Speichern von Biomasse. Aber bislang konnte dies im großen Maßstab nicht quantitativ gezeigt werden. Wir freuen uns, dass wir hier auf der Grundlage früherer Forschung eine Lücke schließen können.“
„Das sind gute Nachrichten für die Wälder des Amazonas – aber es bedeutet keineswegs, dass der Klimawandel diesen einzigartigen Lebensraum nicht schädigen würde, ganz im Gegenteil“, sagt Wolfgang Lucht, Ko-Leiter des PIK-Forschungsbereichs Erdsystemanalyse. Große Artenvielfalt ermöglicht dem Wald, viel von seiner Biomasse wieder aufzubauen – beim Übergang von einem Zustand in den anderen gibt es jedoch einen ungeheuren Bruch. Die Zusammensetzung der Arten am Amazonas würde sogar bei nur moderatem Klimawandel stark verändert. „Trotz der ermutigenden Ergebnisse zum funktionalen Wert der Biodiversität bleibt der Regenwald des Amazonas leider einer der Brennpunkte unseres Planeten, der nach einer raschen Verringerung des CO2-Ausstoßes verlangt.“
Artikel: Sakschewski, B., von Bloh, W., Boit, A., Poorter, L., Peña-Claros, M., Heinke, J., Joshi, J., Thonicke, K. (2016): Resilience of Amazon forests emerges from plant trait diversity. Nature Climate Change (Advance Online Publication) [DOI:10.1038/nclimate3109]
Der Standard berichtete über die Studie einen Tag später.