Von Josef Kowatsch
Deutschland würde keine Winter mehr erleben, heißt es immer wieder. Schnee würde es nur noch im Hochgebirge geben. Und auch dieser recht milde Winter [2015/16] in Süddeutschland scheint dafür ein Indiz zu sein. Der Februar war fast schneefrei in den mittleren Lagen.
Betrachten wir zunächst längere Zeiträume. Nach 1950 bis 1975 hatten wir nicht nur in Deutschland ein kleines Kälteloch, ab 1988 sind die Wintertemperaturen dann auf das heutige Niveau gestiegen. Winter sind der Durchschnitt der Monate Dezember, Januar und Februar. Obwohl es sich beim letzten Wert um den warmen Dezember 2015 handelt, zählt dieser bei Winter 2016 mit. Deshalb war der letzte Winter auch relativ warm. Der DWD gibt ihn mit 3,6°C an.
Die Trendlinie zeigt deutlich, dass wir aus einem kleinen Kälteloch in der Mitte des letzten Jahrhunderts kommen. Und die Rentner von uns können sich noch gut an die kalten sibirischen Winter erinnern, die während des Krieges einsetzten und auch noch in der Nachkriegszeit unsere Kindheitserinnerungen prägten. Die polynome Trendlinie täuscht allerdings ein langsames Verlassen der Minieiszeit vor. In Wirklich erfolgte um 1987 ein Temperatursprung auf ein höheres Niveau, das zeigen die letzten 30 Winter.
Das Ergebnis ist eindeutig: Wir sehen zwar ein jährliches Auf und Ab, aber insgesamt haben wir eine ausgeglichene Wintertrendlinie in Deutschland. Die Winter sind in den letzten 30 Jahren gleich geblieben und nicht wärmer geworden. Das ist die Botschaft. Betrachten wir nun kürzere Zeiträume. Wie ändert sich die Trendlinie, wenn wir den noch recht kalten Winter 1987 weglassen und erst später beginnen, also immer mehr in die Gegenwart kommen? Das nächste Diagramm beginnt mit 1988 als Startjahr, das sind bis heute 29 Winter.
Die Messungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) sind eindeutig: Von wärmer werdenden Wintern ist weit und breit nichts zu sehen. Nähern wir uns weiter der Gegenwart, dann wird die Trendlinie noch fallender. Eine fallende Trendlinie ist das genaue Gegenteil einer Erwärmung.
Nun ist es so, dass die Temperaturdaten des DWD nicht wärmeinselbereinigt sind. In den letzten 30 Jahren hat die wärmende Bebauung zugenommen, täglich werden in Deutschland 110 ha der freien Fläche urbanisiert und mit zusätzlich wärmenden Gebäuden und Plätzen versehen. Und diese jährliche von Menschen erzeugte Zusatzwärme messen die Thermometer der Messstationen mit, weil alle Messstationen dort aufgestellt sind, wo auch die Menschen wohnen, nämlich in den wachsenden Wärmeinseln.
Wir waren nun lange auf der Suche nach einer Wetterstation, in deren Umgebung sich seit 30 Jahren nichts oder kaum etwas verändert hat. Fündig wurden wir in Amtsberg-Dittersdorf, einem kleinen Ort südöstlich von Chemnitz am Fuße des Erzgebirges. Laut Aussage des Stationsleiters steht seine Wetterstation dort wie schon immer, und auch die Häuser und Einwohnerzahl sei fast gleich gelblieben. Nur der wärmende Autoverkehr auf der inzwischen ausgebauten Bundesstraße hat sich sicherlich mehr als verdreifacht in den letzten 30 Jahren.
Die fast wärmeinselfreie Station Amtsberg (blaue Kurve) sieht über die letzten 30 Winter im Vergleich zu der Gesamtzahl der deutschen DWD-Stationen (orange Kurve) so aus:
Der Verdacht: Wäre Deutschland über die letzten 30 Jahre gleich geblieben, gleiche Einwohnerzahl, gleiche Gebäudeanzahl, gleich viele Autos und Heizungen, dann wären die Winter in Deutschland über die letzten 30 Jahre vielleicht sogar kälter geworden.
Sind nun Amtsberg und das Erzgebirge ein Zufall? Wurde es nur dort kälter? Mit Schneifelforsthaus in der Eifel haben wir eine zweite in der weiten Umgebung fast gleich gebliebene Station im Westen Deutschlands gefunden. Die Überlegungen scheinen sich auch hier zu bestätigen. Die Untersuchung weiterer Fallbeispiele zur Klärung des Sachverhalts ist geplant.