Beim Deutschlandfunk ging es am 25. Februar 2016 in die Antarktis:
Robbenmumien geben Aufschluss über Klimawandel
Das antarktische Rossmeer ist in weiten Teilen mit Eis bedeckt – das war nicht immer so. Paläontologen der University of California haben mithilfe von Robbenmumien erforscht, wie sich die Umwelt dort seit Ende der letzten Eiszeit verändert hat. Die Ergebnisse erlauben auch einen Blick in die Zukunft, denn im Rossmeer schmilzt das Eis dramatisch.
Schöne Einleitung. Im Rossmeer gab es also Zeiten, als es wärmer als heute war, als das Eis weniger weit ausgedehnt war als heute, sagt der Deutschlandfunk. Bei so viel Wahrheit musste wohl schnell noch ein Disclaimer nachgeschoben werden, die Lage wäre heute ganz dramatisch. Ceterum censeo Carthaginem esse delendam.
Nun sind wir aber vor allem an der Hauptstory interessiert:
In den Trockentälern des Transantarktischen Gebirges herrschen extreme Bedingungen: Dort, am Rand des Rossmeers, fallen im Winter die Temperaturen auf −50 °C, und im Sommer wird es kaum wärmer als −10. Schnee fällt sehr selten: Die Täler sind trockener als die Atacamawüste, und ein scharfer Wind weht beständig aus dem Inneren der Antarktis:
„In diesen Tälern wandert man über Sand und Geröll, und an der Oberfläche finden wir Robbenmumien. Innerhalb von zwei Jahren waren wir zwei Mal dort und haben Proben von mehr als 700 Mumien genommen“, erzählt Emily Brault von der University of California in Santa Cruz. Auf dem Geröll der Trockentäler liegen die einzelnen Mumien von Weddellrobben, südlichen Seeelefanten und Krabbenfresser-Robben weit verstreut. Datierungen verrieten, dass es die ältesten dieser Mumien auf rund 5000 Jahre brachten. Die meisten waren jedoch jünger als 1500 Jahre.
Das Gebiet scheint also über viele Jahrtausende eisfrei gewesen zu sein. Da ist es eher dramatisch, dass es hier überhaupt Eis gibt, das jetzt schmilzt. Die Eisschmelze eines Gebietes als dramatisch zu bezeichnen, das die meiste Zeit eisfrei war, ist schon gewagt, quasi dramatisierend. Weiter im Deutschlandfunk:
Aus den Analysen der Knochen schlossen die Paläontologen auf die Umwelt zu Lebzeiten der Tiere. Denn in den vergangenen Jahrtausenden sind in dem Gebiet dramatische Veränderungen abgelaufen. So gab es im Rossmeer zunächst weite, offene Wasserflächen – bis vor etwa 1000 Jahren: Dann begann sich das Schelfeis zu bilden, das heute das Meer auf einer Fläche von der Größe Frankreichs bedeckt. Die klimatische Abkühlung veränderte die Lebensbedingungen der Tiere: „Bei den Südlichen Seeelefanten und den Weddellrobben sehen wir vor 500 Jahren eine deutliche Verschiebungen in den Isotopenverhältnissen. Wahrscheinlich spiegelt das Veränderungen in der Ernährung der Tiere und im Ökosystem wider. Als das Rossmeer vereiste, gingen die offenen Wasserflächen zurück, so dass wahrscheinlich die Primärproduktion an Plankton sank.“
[…]
Weddellrobben und Krabbenfresser sind heute noch häufig im Rossmeer. Anders die Seeelefanten. Bis vor 1000 Jahren bevölkerten bis zu 200.000 Tiere die Buchten des Rossmeers. Heute werden sie nur noch vereinzelt gesichtet. „Unserer Meinung nach brach die Population im Rossmeer vor 1000 Jahren zusammen, als sich das Klima verschlechterte und das Eis vorstieß. Die letzten Individuen verschwanden vor 500 Jahren. Die Seeelefanten haben sich auf die subantarktischen Inseln zurückgezogen, denn sie brauchen eisfreie Buchten um ihre Jungen aufzuziehen. Insgesamt zeigen sowohl die Isotopenverschiebungen bei den Weddellrobben und Krabbenfressern, als auch das Verschwinden der Seeelefanten, dass zwischen 1000 und 500 Jahren vor heute im Rossmeer recht dramatische Veränderungen abgelaufen sein müssen.“
Hier fehlt es den Autoren um Jungautorin Emily Brault (momentan nur 2 Publikationen in Researchgate von ihr gelistet) offenbar am klimahistorischen Hintergrund. Vor 1000 Jahren wurde es in der Antarktis im Zuge der Mittelalterlichen Wärmeperiode (MWP) wärmer, was den Weddellrobben zugute kam. Die zitierten 1000 Jahre sind vermutlich aus der Hüfte geschossen, realistischer wäre 1250 n. Chr. oder noch etwas später, als die MWP allmählich ausklang und schließlich in die Kleine Eiszeit überging (siehe MWP-Online-Karte hier). KS-Blog-Chefredakteur Sebastian Lüning teilte Emily Brault in einer Email seine Beobachtungen zur Altersinterpretation mit:
Dear Emily,
With interest I have read the press release about your results from Antarctica:
https://www.sciencedaily.com/releases/2015/10/151029112243.htm
Are these results meanwhile published? One question/comment: You are assuming a cooling after 1000 AD. However, the regional literature from the Ross Sea suggests the cooling may only have started around 1200 AD. Please click on the dots in the area of the Ross Sea on this intercative Google Map to see a summary of the respective paper:
http://t1p.de/mwp
My question: How well is your 1000 AD onset-of-cooling date constrained? Do you have room/error margin that this could actually be 1200 AD or even slightly later?
Best wishes
Sebastian
Leider hat sich Frau Brault (noch?) nicht zurückgemeldet. Vielleicht antwortet ja ihr Coautor Paul Koch, den wir nun ebenfalls angeschrieben haben.
Interessant ist zudem, dass die ganze Story lediglich auf einer Pressemiteilung der Society of Vertebrate Paleontology vom 29. Oktober 2015 basiert, die der Deutschlandfunk offenbar nun mit Verspätung ausgebuddelt hat. Eine Publikation steht bislang nicht dahinter, die Ergebnisse sind also offenbar (noch) nicht durch einen wissenschaftlichen Begutachtungsprozess gelaufen. Vielleicht kann Emily Brault unsere Hinweise daher noch in die endgültige Publikation mit einbauen?
Im Folgenden die Pressemitteilung der Society of Vertebrate Paleontology im Original:
Mummified seals reveal ecological impact of ice change
Over the last 7,500 years, the area surrounding the Ross Sea has undergone dramatic environmental change. Once an open body of water; a large, land-fast ice shelves began to form there around 1000 years ago, transforming living conditions for the seals. This has given paleontologists Paul Koch and Emily Brault, from the University of California at Santa Cruz, a unique opportunity to study the long-term impact of changing ice conditions on mammal populations. „Studies of fossils let us see how species do or don’t adapt to environmental shifts. Here, we are using that approach to explore the adaptability and vulnerability of different Antarctic seal species to less icy conditions in the near future“ Explains Koch.
To understand the effects of ice expansion on the seals, Koch and colleagues from Santa Cruz and the University of Maine amassed a vast collection of seal remains, which were well preserved by the cold, dry conditions in the Dry Valleys of Antarctica. The hoard totaled over five hundred mummified animals, including about 380 crabeater seals, and 170 Weddell seals. Koch estimated the age of the specimens using radiocarbon dating, and using the degree of weathering of the carcasses. Colleagues at the Durham University confirmed species identification with ancient DNA analysis. Finally, the structure of carbon and nitrogen atoms in their bones was used as a window into their ecology. Comparing the ratios of heavy and light forms of these elements, known as isotopes, provided an indication of where seals were hunting and what they were eating.
The isotopes suggest that the response to changing ice conditions varies between seal species. The crabeater seals, which most commonly feed on small plankton such as krill, showed very little isotopic change over the past 2500 years, indicating their diet likely remained unaltered. However, the Weddell seals, that have a mixed diet of fish, squid and crustaceans, underwent a shift in isotopic values around 500 years ago. Likely this isotopic shift reflects a combination of changing diet of the seals and changing ecosystems in the Ross Sea associated with the expansion of the land fast ice shelves.
„It’s becoming clear that big changes in the Ross Sea ecosystem occurred at the end of the Holocene.“ Concludes Brault „We are beginning to understand what that meant for the organisms that lived and died there. For example, primary productivity may have decreased significantly, and predators may have adapted their foraging strategies to a changing environment.“