Kann man eigentlich ein Buch rezensieren, ohne es überhaupt gelesen zu haben? Die Zeit-Autoren Stefan Schmitt und Christian Tenbrock haben es kürzlich versucht – wie zu erwarten relativ erfolglos. In ihrem Artikel „Kälte aus dem All – Der RWE-Manager Fritz Vahrenholt zweifelt an der weiteren Erderwärmung“ (Die Zeit, 26.1.2012) versuchen die beiden Zeit-Autoren anhand des Verlagsankündigungstextes und anderer Informationshäppchen zu erraten, worum es in unserem Buch „Die kalte Sonne“ wohl gehen mag. Wenn doch Schmitt und Tenbrock nur noch zwei Wochen Geduld bis zum Erscheinen des Buches aufgebracht hätten, dann wäre den Zeit-Lesern vielleicht ein Text voller Ungenauigkeiten, Verdrehungen, Fehlern, Auslassungen und falscher Vermutungen erspart geblieben.
Es geht gleich im Untertitel los. Fritz Vahrenholt zweifelt nämlich gar nicht an der langfristigen, weiteren Erderwärmung. Im Buch nehmen wir eine Temperaturerhöhung bis 2100 um bis zu 1°C gegenüber heute an, welche wir auf die Treibhauswirkung der menschengemachten CO2-Emissionen zurückführen. Eine nur „untergeordnete Rolle“ des CO2 unterstellen wir daher gar nicht, sondern postulieren vielmehr eine gleichberechtigte Stellung im Vergleich zu den wichtigen natürlichen Klimamechanismen. Daher liegen die Zeit-Autoren auch gleich mit ihrer nächsten Vermutung falsch, nämlich dass im Buch stehe könnte, dass die klimatischen Auswirkungen der Kohlendioxid-Emissionen vorerst vernachlässigt werden könnten. Das Gegenteil ist der Fall, im Buch wird stattdessen ausdrücklich auf die Notwendigkeit der weiteren Dekarbonisierung der Weltwirtschaft hingewiesen. Ganz offensichtlich können sich Schmitt und Trenbock hier nur Schwarz-Weiß-Argumentationsmuster vorstellen, eine deutlich überholte Diskussionsstrategie, die vermutlich auch die Hauptschuld an der Kommunikationskrise zwischen den verfeindeten Klimaparteien trifft.
Apropos Kommunikation. Genüsslich wird im Zeit-Artikel berichtet, Vahrenholt und Lüning hätten kürzlich an einem fragwürdigen Klimaskeptikerkongress in München teilgenommen. Wieso sollte dies überhaupt verwerflich sein? Denn auch der Zeit-Autor Tenbrock war doch fast die gesamte Veranstaltung über vor Ort. Bedeutet eine Teilnahme automatisch, dass man alle dort geäußerten Ansichten teilt? Sollte man nicht vielmehr beide Klimaparteien dazu animieren, sich auf derartigen Konferenzen zu treffen um fachlich zu diskutieren? Oder gibt es möglicherweise wissenschaftliche Denkverbote und unüberbrückbare persönliche Abneigungen, die dies grundsätzlich verhindern? Schmitt und Tenbrock konnten zudem nicht wissen, dass sowohl der Jerusalemer Physiker Nir Shaviv als auch der Kopenhagener Klimaforscher Henrik Svensmark, die beide auf der Tagung vortrugen, Gastbeiträge für „Die kalte Sonne“ verfasst haben und sich ein Autoren-Treffen auf der Tagung schlichtweg anbot.
Es ist bezeichnend, dass die Zeit-Autoren in ihrem Bericht gleich zweimal den Namen von Henrik Svensmark falsch geschrieben haben („Hendrik Svendsmark“). Hätten sie sich intensiver mit dessen Forschung auseinandergesetzt, dann hätten sie nicht nur den Namen korrekt wiedergeben können, sondern auch gleich die erstaunlich gute Synchronität zwischen Sonnenaktivität und irdischer Wolkenbedeckung bemerkt. Der Weltklimarat kannte diese „alles andere als neu[en]“ Arbeiten natürlich, entschied sich aber dafür, die klimatisch hochinteressanten Zusammenhänge im Klimabericht von 2007 mit einigen dürren Zeilen abzuschmettern. Auch in dem in diesem Zusammenhang wichtigen CLOUD-Projekt, das derzeit am europäischen Kernforschungszentrum CERN stattfindet, scheinen Schmitt und Tenbrock weniger gut bewandert zu sein. In der nun abgeschlossenen ersten Phase untersuchten die CERN-Forscher ganz bewusst nur den ersten Schritt des möglichen solaren Wolkenbildungsprozesses. Gezeigt werden sollte und konnte, dass eine schwache Sonne und damit verstärkte kosmische Strahlung mehr kleine Aerosole bilden kann. Im nächsten Schritt der Experimentserie soll nun erforscht werden, ob sich aus diesen kleinen Aerosolen, größere bilden können, die dann als Wolkenkondensationskeime fungieren (siehe „Die kalte Sonne“, Seite 247ff). In der unstatthaften Verkürzung im Zeit-Artikel klingt dies nun plötzlich so, als wäre das Experiment gescheitert – dabei ist Phase 2 des Experiments noch in vollem Gange, und mit endgültigen Ergebnissen ist erst 2013/2014 zu rechnen.
Auch der versteckte Vorwurf, „Die kalte Sonne“-Autoren Vahrenholt und Lüning würden es allein gegen tausende von Forschern aufnehmen, zielt ins Leere. Die Basis des Buches bilden nämlich hunderte von Publikationen aus anerkannten, begutachteten Fachzeitschriften, die zu einem großen Teil vom Weltklimarat ignoriert oder zu wenig beachtet wurden. „Die kalte Sonne“ gibt der „wissenschaftlichen Opposition“ die notwendige Plattform, die ihr vom IPCC bislang verwehrt wurde. Das Buch möchte damit Anstöße für die Wiederaufnahme einer überfälligen, ergebnisoffenen Fachdebatte ohne wissenschaftliche und politische Vorverurteilungen geben.
Einen klassischen Denkfehler begehen Schmitt und Tenbrock dann auf der Schlussgeraden ihres Artikels: „Spätestens seit den achtziger Jahren wärmt sich die Erde, anders als in der vorindustriellen Zeit, nicht mehr synchron zur Sonnenaktivität.“ Hätten die Zeitautoren doch auf das Erscheinen des Buches gewartet, wo auf Seite 116ff dieses weitverbreitete Missverständnis aufgeklärt wird. Parallel zur Erwärmungsphase 1977-2000 nahm nämlich die Sonnenaktivität vom schwachen 20. Zyklus in den 1970ern signifikant bis zum 21. Zyklus in den 1980ern zu. Das hohe Sonnenaktivitätsniveau blieb auch im darauffolgenden 22. Zyklus in den 1990ern stabil. Wie bei einer konstant heißen Herdplatte leistete die Sonne auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zur beobachteten Erwärmung. Zusätzlich spielten aber auch vieljährige Ozeanzyklen und anthropogenes CO2 eine Rolle. Das Klima ist halt doch komplexer als so mancher gedacht hat. Und dies ist auch eine der Hauptaussagen des Buches. Wer darüber urteilen möchte, sollte es am besten gelesen haben.
Fritz Vahrenholt & Sebastian Lüning