Mitte Mai 2015 erschien der Zweite Klimazustandsbericht zum Ostseeraum, koordiniert vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht. In einer Pressemitteilung erklärte das Institut:
Der vor wenigen Tagen veröffentlichte Report zum Wissen über den Klimawandel im Ostseeraum „Second Assessment of Climate Change for the Baltic Sea Basin“ (BACC II) stellt eine Neubearbeitung und Ergänzung des bereits 2008 erschienenen BACC-Buches dar. “Der vorliegende Bericht für den Ostseeraum ist eine regionale Variante des vom Weltklimarat veröffentlichten IPCC-Reports zur globalen Klimaänderung“, erläutert Prof. Dr. Hans von Storch, Leiter am Institut für Küstenforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht und Initiator des Berichts. An der umfassenden wissenschaftlichen Bestandsaufnahme waren 141 Wissenschaftler aus 12 Ländern beteiligt. Das Projektteam bestehend aus Meteorologen, Hydrologen, Ozeanografen und Biologen wurde federführend vom Internationalen Baltic Earth Sekretariat am Helmholtz-Zentrum Geesthacht koordiniert.
Erwärmung schreitet voran
Diese aktuelle Studie betrachtet die beobachteten Klimaveränderungen seit rund 200 Jahren sowie die von Computermodellen projizierten möglichen Änderungen bis 2100. Eine Erwärmung der Lufttemperatur im Ostseeraum lässt sich anhand von Messungen bereits nachweisen, sie ist saisonal und regional jedoch unterschiedlich. Am stärksten war die gemessene Erwärmung mit 1,5 Grad Celsius im nördlichen Ostseeraum in den Frühlingsmonaten zwischen 1871 und 2011 erkennbar. Dieser Wert liegt deutlich über der im letzten IPCC-Bericht dokumentierten globalen Erwärmung von bis zu 1 Grad Celsius.
Eine Kleinigkeit haben die Geesthachter dann doch in der Pressemitteilung vergessen zu erwähnen. Die beiden ersten Kapitel des Berichts handeln nämlich von der Klimaentwicklung der letzten 12.000 Jahre bzw. der letzten 1.000 Jahre.
Pages 25-49: Climate Change During the Holocene (Past 12,000 Years)
Irena Borzenkova, Eduardo Zorita, Olga Borisova, Laimdota Kalniņa, Dalia Kisielienė…
Download PDF (1004KB)Pages 51-65: The Historical Time Frame (Past 1000 Years)
Tadeusz Niedźwiedź, Rüdiger Glaser, Daniel Hansson, Samuli Helama, Vladimir Klimenko…
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Die Studie geht also weit über die behaupteten 200 Jahre hinaus. Neugierig geworden, schauen wir in die beiden Kapitel. In der Kurzfassung zum 12.000-Jahreskapitel entdecken wir Interessantes:
The Holocene climate history showed three stages of natural climate oscillations in the Baltic Sea region: short-term cold episodes related to deglaciation during a stable positive temperature trend (11,000–8000 cal year BP); a warm and stable climate with air temperature 1.0–3.5 °C above modern levels (8000–4500 cal year BP), a decreasing temperature trend; and increased climatic instability (last 5000–4500 years). The climatic variation during the Lateglacial and Holocene is reflected in the changing lake levels and vegetation, and in the formation of a complex hydrographical network that set the stage for the Medieval Warm Period and the Little Ice Age of the past millennium.
Das vorindustrielle Klima im Ostseeraum war alles andere als stabil. Im Zeitraum 8000-4500 Jahre vor heute war es laut Studie um ein bis dreieinhalb Grad wärmer als heute. Dies entspricht dem sogenannten „mittelholozänen Klimaoptimum“. Eine Hitzeperiode, die in der Öffentlichkeit heute gänzlich unbekannt ist und auch von den Pressestellen offenbar nicht sehr geliebt wird. Plötzlich stellt sich die Zwischenüberschrift „Erwärmung schreitet voran“ in einem ganz anderen Licht dar. Es wird derzeit wärmer – aber es ist noch lange nicht wieder so warm wie vor 8000-4500 Jahren.
Am Ende der Kurzfassung wird auf die Mittelalterliche Wärmeperiode übergeleitet, die Teil des Folgekapitels von Tadeusz Niedźwiedź und Kollegen ist. Im Text der Darstellung über das letzte Jahrtausend findet sich die altbekannte Klimazyklik, die man zwischenzeitlich beim IPCC unter den Tisch fallen lassen wollte: Mittelalterliche Wärmeperiode, Kleine Eiszeit, Moderne Wärmeperiode:
According to the scientific literature, there are four climatic periods of the past millennium: the Medieval Warm Period (MWP 900-1350), the Transitional Period (TP 1350-1550), the Little Ice Age (LIA 1550-1850), and the Contemporary Warm Period (CW after 1850).
Wie warm war es zur Zeit der Mittelalterlichen Wärmeperiode im Ostseeraum? Auch vor dieser unbequemen Frage drücken sich die Autoren nicht:
Recent investigations of Fennoscandia by Ljungqvist (2010) showed that the MWP [Medieval Warm Period] occurred between 800 and 1300. At that time, warm-season (May-September) temperatures exceeded the contemporary warming of the end of twentieth century by about +0.5°C. The start of the warming was noted between the ninth and tenth centuries, and the peak temperature appeared at the beginning of the second half of the twelfth century. In a winter temperature simulation over the Baltic Sea region (Schimanke et al. 2012) during that time anomalies reached their highest value of+0.8°C for the MWP.
Ein klares Statement: Zur Zeit der Mittelalterlichen Wärmeperiode war es durchschnittlich um ein halbes Grad wärmer als heute. Auch diesen nicht ganz unwichtigen Umstand wollte man keinesfalls in der Pressemitteilung zum Bericht erwähnt sehen. Wie konnte es vor 1000 Jahren wärmer als heute sein, obwohl doch der CO2-Gehalt der Atmosphäre außerordentlich niedrig war?