Am 17. März 2015 räumte das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ein, dass das antarktische Inlandeis im Zuge der zukünftigen Erderwärmung anwachsen und wohl doch nicht schrumpfen wird. Eine hochinteressante Prognose. Unter diesem Hintergrund lesen sich einige Meldungen der Vormonate ziemlich seltsam. So hatte die Augsburger Allgemeine noch am 3. Dezember 2014 die Antarktis kurz vor dem Zusammenbruch gesehen:
KLIMAWANDEL: Gletscher in der Antarktis schmelzen immer schneller
Das Tempo der Gletscherschmelze in einer besonders sensiblen Antarktis-Region hat sich im vergangenen Jahrzehnt fast verdreifacht. Das geht aus einer vergleichenden Studie hervor, die Forscher der kalifornischen Universität Irvin (UCI) und des Nasa-Labors JPL am Dienstag veröffentlichten. Demnach schmolzen seit 1992 zunächst jährlich 6,1 Milliarden Tonnen Eis an den Küsten der Amundsen-See; von 2003 bis 2009 erhöhte sich der jährliche Eisverlust jedoch auf 16,3 Milliarden Tonnen. Das Schmelzen der Polkappen lässt den Meeresspiegel anschwellen und bedroht damit die Küstenregionen weltweit. Schon im vergangenen Mai kamen Studien zu dem Schluss, dass die großen Gletscher der westlichen Antarktis wegen der Klimaerwärmung immer schneller schmelzen.
Vielleicht erklärt sich der Klimaalarm, wenn man dazu weiß, dass vom 1. bis 13. Dezember 2014 in Lima eine wichtige UN-Klimakonferenz abgehalten wurde, die traditionell von der Presse mit mehr oder weniger kreativen Meldungen begleitet wird. Aber auch knapp zwei Wochen vor der PIK-Meldung gab es noch Versuche, die Antarktis als todkrank darzustellen. Euronews schrieb am 4. März 2015:
Eisschmelze in der Antarktis – Eine Bedrohung für Küstengebiete weltweit
Ewig ist das Eis der Antarktis schon längst nicht mehr. Es schmilzt, verflüssigt sich und bringt den globalen Meeresspiegel zum Steigen, eine Bedrohung für Küstengebiete weltweit. Laut Messungen von Nasa-Satelliten gingen im vergangenen Jahrzehnt 118 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr verloren. Besonders deutlich wird der Rückgang auf Robert Island, vor der antarktischen Halbinsel. Dort wacht seit Jahren der Brite Peter Convey über das schwindende Eis.
Die Sintflut ist nahe, rette sich wer kann. Während sich die Presse jedoch bewusst auf die attraktiven Klimahorrorstücke geworfen hat, geht die seriöse Forschung im Stillen unbeirrt weiter. In die trockene Welt der Fachliteratur verirrt sich jedoch nur selten ein auf Publikumseffekt spezialisierter Journalist. Wir wollen an dieser Stelle aushelfen und die wahre Sachlage anhand ausgewählter jüngerer Literatur darstellen. Es soll später niemand sagen können, er hätte davon nichts gewusst.
Bereits 2009 hatten Genthon et al. in den Annals of Glaciology berechnet, dass die Zunahme des Schneefalls in der Antarktis bis zum Ende des 21. Jahrhunderts einen Absenkungsbeitrag von 1 mm pro Jahr zur globalen Meeresspiegelentwicklung beisteuert.
Neuere Untersuchungen bestätigen die Grundidee einer wachsenden antarktischen Eismasse. So veröffentlichte im Juni 2014 ein Team um Gong et al. von der University of Bristol ihre Berechnungen im Fachblatt The Cryosphere. Die Forscher modellierten den Lambert-Gletscher in der Ostantarktis, der in den Amery-Eisschelf mündet. Auch Gong und Kollegen fanden, dass das Eisssystem im Zuge der Klimaerwärmung im 21. und 22. Jahrhundert anwachsen und nicht etwa schrumpfen wird. Ursache sind der stark zunehmende Schneefall, der auch durch die beschleunigte Gletscherbewegung nicht ausgeglichen werden kann. Die Eisvorgänge in der Ostantarktis werden daher laut Gong und Kollegen in den kommenden ein bis zwei Jahrhunderten einen Absenkungsbeitrag zur globalen Meeresspiegelentwicklung beisteuern. In der Kurzfassung der Arbeit heißt es:
Modelling the response of the Lambert Glacier–Amery Ice Shelf system, East Antarctica, to uncertain climate forcing over the 21st and 22nd centuries
[…] Overall, the increased accumulation computed by the atmosphere models outweighs ice stream acceleration so that the net contribution to sea level rise is negative.
Kurz darauf erschien dann im September 2014 im Fachbatt Climate Dynamics eine neue Modellierungsstudie eines Forscherteams um M. N. A. Maris. In ihrer Modellierung kommen die Autoren auf ein Spektrum von Szenarien, wobei Veränderungen im Antarktis-Eis den Meeresspiegel bis zum Ende de Jahrhunderts um 2,2 cm absacken lassen könnten. In einem anderen Szenario sehen die Wissenschaftler aber auch einen positiven Meeresspiegelbetrag von bis zu 6,3 cm für möglich, was sich in 0,75 mm Anstiegsbetrag pro Jahr übersetzt – weit entfernt von allen bisher verbreiteten Horrorszenarien. Aus der Kurzfassung:
A model study of the effect of climate and sea-level change on the evolution of the Antarctic Ice Sheet from the Last Glacial Maximum to 2100
[…] We estimate […] the contribution of the Antarctic Ice Sheet to the global mean sea level in 2100, with respect to 2000, to be −22 to 63 mm.
Im Oktober 2014 – zwei Monate vor der Lima-Klima-Konferenz – hatten Mémin et al. in den Earth and Planetary Science Letters dann neue Messergebnisse aus den letzten zehn Jahren zu berichten, die es aus naheliegenden Gründen jedoch in keine Tageszeitung schafften. Die unbequeme Wahrheit: Der größte Teil des Eisschildes ist stabil. Viele Regionen legten an Eismasse zu. Einige Gletscher schrumpften, andere dehnten sich aus. Hier die Kurzfassung der Arbeit:
Snow- and ice-height change in Antarctica from satellite gravimetry and altimetry data
We combine the surface-elevation and surface-mass change derived from Envisat data and GRACE solutions, respectively, to estimate regional changes in air and ice content of the surface of the Antarctic Ice Sheet (AIS) between January 2003 and October 2010. This leads, upon certain assumptions, to the separation of the rates of recent snow-accumulation change and that of ice-mass change. We obtain that the height of ice in Thwaites and Pine Island glaciers sectors decreases (≤−15.7 cm/yr) while that in the Kamb glacier sector increases (≥5.3 cm/yr). The central part of the East AIS is mostly stable while the whole Dronning Maud Land coast is dominated by an increase in snow accumulation. The Kemp land regions show an ice-mass gain that accounts for 67–74% of the observed rates of elevation change in these regions. A good agreement is obtained over 68% of the investigated area, mostly in the East AIS, between our estimated rates of snow accumulation change and the predicted rates of the monthly surface mass balance derived from a regional atmospheric climate model.
Im März 2015 musste dann auch das PIK zugeben, dass die Antarktis in Zukunft mit einem satten Eiszuwachs zu rechnen hat. Gut, dass es bis zur nächsten Klimakonferenz noch mehr als ein halbes Jahr dauert. Bis dahin wird die Geschichte hoffentlich schnell wieder vergessen sein.