Am 4. November 2014 führte Gaby Ochsenbein auf swissinfo.ch: ein Interview mit IPCC-Berichts-Chef Thomas Stocker:
swissinfo.ch: Die Wissenschafts-Community hat ihre Arbeit getan. Gefordert sind nun die politischen Entscheidungsträger. Wie optimistisch sind Sie, dass es jetzt vorwärts geht?
T.St.: Grundsätzlich bin ich optimistisch, denn es gibt keine Alternative. Aber man muss auch realistisch sein, und der Realismus wird von der Wissenschaft geliefert. Der sagt nämlich, dass es bereits heute sehr schwierig, aber nicht unmöglich ist, dieses Klimaziel von 2°C zu erreichen.
Die Arbeit getan? Das klingt so, als gäbe es einen wissenschaftlichen Konsens, die Klimamodelle würden perfekt funktionieren und nur noch die i-Tüpfelchen würden fehlen. Das ist natürlich falsch. Und das hätte Stocker antworten müssen. Es wird immer klarer, dass der IPCC die CO2-Klimasensitivität zu hoch angesetzt hat, dass sich der Wert am untersten Rand der angegebenen Spannweite befindet oder sogar noch darunter.
swissinfo.ch: Wenn wir dieses Fenster trotzdem verpassen – was dann?
T.St.: Dann muss man sich eingestehen, dass hier im Wesentlichen die politischen Entscheidungsträger und die Gesellschaft zu lange gewartet und versagt haben.
Es ist so einfach, den Fehler immer auf der anderen Seite zu suchen. Realistischer ist, dass die Klimawissenschaften hier versagt haben. Zu früh hatte man sich auf Katastrophenszenarien festgelegt, die nun immer unwahrscheinlicher werden. Die Öffentlichkeit hat es bereits gemerkt, die ersten Alarmisten fielen um. Angst breitet sich unter den Alarmisten aus. Wie jetzt das Gesicht wahren?
swissinfo.ch: IPCC-Chef Rajendra Pachauri hat bei der Präsentation des Berichts in Bern sogar von einer Führungsrolle der Schweiz gesprochen. Ist eine solche realistisch?
T.St.: Es ist sicher nicht realistisch, wenn man nicht will. Aber wenn man will, könnten sich solche Pläne erfüllen. Ich weiss, dass die Schweiz sehr gut aufgestellt ist, die Innovationskraft ist sehr hoch, die Forschungsleistung ebenso. Von daher gibt es keine bessere Ausgangsposition. Wenn nicht wir, dann andere.
Die Schweiz reißt den Rest der Welt mit in eine bessere Klimazukunft. Ein schöner Gedanke. Der CO2-Ausstoß der Schweiz ist im weltweiten Vergleich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Insbesondere in China wird man über die anteilsmäßig geringen CO2-Einsparungen des Alpenlandes nur müde lächeln.
Hier noch ein paar Lektüreempfehlungen zur „Dringlichkeit“ des Klimawandels in der Schweiz:
- Neue schweizerische Studien: Künftig weniger Hochwasser in den Zentralalpen – Sonnenaktvität übt signifikanten Einfluss aus
- Temperaturen eines schweizerischen Alpensees schwankten während der letzten 10.000 Jahre im Takt der Sonne
- Bald kein Schnee mehr in der Schweizer Alpen? MeteoSwiss-Studie widerspricht und belegt Zunahme der Schneemengen seit 2000
Illustriert hat Gaby Ochsenbein ihren Beitrag mit dem Foto eines iranischen Salzsees. In der Bildunterschift heißt es:
Der Urmia-See im Nordwesten Irans, einer der grössten Salzseen der Welt, ist in den letzten zehn Jahren um mehr als 80% seiner ursprünglichen Fläche auf 1000 km2 geschrumpft.
Faktencheck: Warum ist der Urmia-See denn eigentlich geschrumpft? Der Kontext suggeriert, dass es wohl am menschengemachten Klimawandel liegen muss. Das englischsprachige Wikipedia gibt jedoch einen ersten Hinweis auf die wahren Gründe:
The lake seems to have had a complex hydrological history and its water levels have greatly fluctuated in the geological history.
In der geologischen Vergangenheit hat der Seespiegel stets signifikant geschwankt. Könnte die aktuelle Schwankung daher vielleicht auch andere Ursachen haben? Kelts & Sharabi (1986) dokumentierten eine bedeutende natürliche Variabilität:
Preliminary radiocarbon and pollen analyses suggest a playa stage prior to 9000 yr B.P. with saline lake deposition in a cool arid climate. From 9000 to 7500 yr B.P., higher-energy facies prevailed in a shallow saline lake and, since then, present-day saline environments have persisted with evidence of numerous second-order water-level fluctuations.
Eimanifar & Mohebbi (2007) fanden zudem, dass neben Dürren vor allem die vermehrte Wasserentnahme zu landwirtschaftlichen Bewässerungszwecken den Wasserspiegel hat absinken lassen:
Due to drought and increased demands for agricultural water in the lake’s basin, the salinity of the lake has risen to more than 300 g/L during recent years, and large areas of the lake bed have been desiccated.
Ganz aktuell auch das im Januar 2015 im Fachjournal Remote Sensing of Environment erscheinende Paper von Tourian et al., in dem erneut der exzessive Wasserverbrauch bemängelt wird:
A spaceborne multisensor approach to monitor the desiccation of Lake Urmia in Iran
Lake Urmia, a hypersaline lake in northwestern Iran, is under threat of drying up. The high importance of the lake’s watershed for human life demands a comprehensive monitoring of the watershed’s behavior. Spaceborne sensors provide a number of novel ways to monitor the hydrological cycle and its interannual changes. The use of GRACE gravity data makes it possible to determine continental water storage changes and to assess the water budget on monthly to multi-annual time scales. We use satellite altimetry data from ENVISAT and CryoSat-2 to monitor the lake water level. Moreover, we employ optical satellite imagery to determine the surface water extent of the lake repeatedly and at an appropriate time interval. Our altimetry results indicate that, on average, the lake has lost 34 ± 1 cm of its water level every year from 2002 to 2014. The results from satellite imagery reveal a loss of water extent at an average rate of 220 ± 6 km2/yr, which indicates that the lake has lost about 70% of its surface area over the last 14 years. By combining water level from altimetry, surface water extent from satellite imagery and local bathymetry, we ascertain the changes in lake volume. Results indicate that the lake volume has been decreasing at an alarming rate of 1.03 ± 0.02 km3/yr. The water volume of the lake behaves differently from the water storage of the whole basin captured by GRACE. Our results show that the onset of a drought in 2007 over this region together with an increase in the rate of groundwater depletion caused a new equilibrium level for water storage of the whole basin. Comparing the results from GRACE and the obtained water volume in the lake with in situ groundwater level data reveals the anthropogenic influences on an accelerated lake desiccation. In fact, our monitoring approach raises critical issues regarding water use in the basin and highlights the important role of spaceborne sensors for any urgent or long-term treatment plan.
Exakt dasselbe Foto wie auf swissinfo.ch erschien übrigens bereits am 2. Juli 2014 in der Washington Post. Die Stoßrichtung des Artikels geht jedoch erneut in Richtung überstrapazierte Nutzung der knappen Wasserressourcen:
Iran’s water crisis the product of decades of bad planning
[…] “Our water usage is twice the world standard, and considering the situation in our country, we have to reduce this level,” Massoumeh Ebtekar, a vice president and the head of Iran’s Department of Environment, said in a recent speech. […] With Iran’s annual precipitation only a third of the global average, heavy overconsumption has ravaged its available water resources. […] The Zayandeh River, which flowed through Iran’s heartland, is mostly a dry bed after being diverted and dammed to provide irrigation for farms. Disappearing lakes and dried-up rivers are the outward symptoms of Iran’s water shortage, but the root causes are less visible, stemming from the techniques and habits of a more traditional and less mechanized era. “In less than 50 years, we’ve used all but 30 percent of our groundwater supply, which took a million years to gather, and it’s getting worse and worse due to unsustainable development,” said Nasser Karami, an Iranian physical climatologist who is an associate professor at the University of Bergen in Norway.Weiterlesen in der Washington Post.
Übrigens: Dürren hat es in der Region schon immer gegeben. Sie folgen in der Regel natürlichen Zyklen, die viele Jahrzehnte umfassen:
- Natürliche Zyklen kontrollieren den Südasiatischen Monsun – Klimamodelle bekommen das Geschehen nicht in den Griff
- Der Verdacht erhärtet sich: Änderungen im Indischen Monsun maßgeblich von Schwankungen der Sonnenaktivität gesteuert