Am 27. September 2014 haben sich 35.000 Walrosse an einem Strand in Alaska getroffen. Die Berner Zeitung zitierte eine WWF-Quelle, die der Öffentlichkeit mit vorgehaltenem Zeigefinger erklärt, wie es zu dieser Massenansammlung angeblich gekommen sei:
Die Ansammlung der Walrosse sei ein weiteres Beispiel für die dramatischen Veränderungen, welche das Schrumpfen des Packeises in der Arktis auslöse, zitiert die britische Tageszeitung «The Guardian» Margaret Williams, die bei der Umweltschutzorganisation WWF das Arktis-Programm leitet. «Die Walrosse sagen uns, was uns schon die Eisbären und viele indigene Völker der Arktis gesagt haben: dass sich die Umweltbedingungen in der Arktis extrem schnell verändern und dass es für den Rest der Welt Zeit ist, dies zur Kenntnis zu nehmen und den Klimawandel anzugehen», sagte Williams weiter.
Ein Mitarbeiter des ansonsten für Gesteinsforschung zuständigen US Geological Survey hat sich ein kreatives Modell zurechtgelegt, wie das alles zusammenhängen könnte:
Die Experten führten das Phänomen auf den Klimawandel zurück, der das Packeis in der Arktis zum Schmelzen bringt. Wie der USGS-Forscher Chadwick Jay erläuterte, zog sich das Packeis der Arktis wegen des wärmeren Klimas stärker zurück als bisher. Deshalb hätten die Walrosse auf das Festland ausweichen müssen. Normalerweise leben die Tiere auf dem Eis und fischen von dort aus in seichten Gewässern, wie Jay erklärte. Mit dem schmelzenden Eis seien die Fischgründe jedoch zu tief für die Walrosse geworden, weshalb sie auf das Festland umgezogen seien.
Eine unterhaltsame neue Klimagruselstory, die bereitwillig von den Medien allerorten aufgegriffen wurde. Zeit für einen Faktencheck gab es da natürlich nicht. Die Geschichte sollte möglichst schnell und weitflächig verbreitet werden. Schade, denn so kamen nämlich die eigentlichen Experten gar nicht zu Wort. Und die hatten eine ganz andere Geschichte zu erzählen, eine die signifikant von jener der Klimaaktivisten-Vereinigung des WWF abwich. Aber gehen wir systematisch, Punkt für Punkt vor.
Walross-Treffen sind nichts Neues
Die Bilder der riesigen Walross-Ansammlung gingen um die Welt. Vermutlich ist dies die größte jemals fotografierte Walross-Gruppe. Das soll aber nicht heißen, dass es dieses Phänomen nicht auch schon früher gegeben hat. Aus den 1970er Jahren sind ähnliche Ereignisse beschrieben worden, eines in 1978 auf St. Lawrence Island und Punuk Islands und ein anderes 1972 auf der Wrangell Insel. Die erstgenannte Walross-Ansammlung wurde 1980 von Francis Fay und Brendan Kelly in einer im Fachmagazin ‚Arctic“ erschienenen Arbeit detailliert beschrieben (pdf hier):
In October-November 1978, several thousand living walruses came ashore in at least four localities on St. Lawrence Island where they had not been present before in this century. They hauled out also at two other sites which they have occupied annually but in much smaller numbers. At least 537 animals died on the haulout areas at that time, and approximately 400 other carcasses washed ashore from various sources. This was by far the greatest mortality of walruses ever recorded in an event of this kind. At least 15% of the carcasses on the haulouts were aborted fetuses, 24% were 5-6-month-old calves; the others were older animals ranging in age from 1 to 37 years old. About three-fourths of the latter on the haulouts were females; in the non-haulouts areas the sex ratio was about 1:1. Forty of the best preserved carcasses were examined by necropsy. The principal cause of death was identified as extreme torsion of the cervical spine, with resultant cerebrospinal hemorrhage, apparently due to traumatization by other walruses. Nearly all of the dead were extremely lean, having less than half as much subcutaneous fat as healthy animals examined in previous years.
Im Text wird auf bis zu 60.000 Walrosse verwiesen, die sich damals versammelt haben könnten (siehe markierte Textstellen im Polar Bear Science Blog).
Entwicklung der Walross-Population
Wie soll man die WWF-Einlassungen eigentlich verstehen? Eine riesige Menge von Walrossen hat sich an einem Ort getroffen. Sollte man sich nicht eigentlich freuen, dass es überhaupt so viele Walrosse gibt? Heute leben in der pazifischen Region Alaskas wohl etwa 200.000 Walrosse, etwa doppelt so viele wie in den 1950er Jahren. Offensichtlich geht es den Walrossen heute besser als noch vor 60 Jahren, trotz Klimaerwärmung um ein halbes Grad. Da macht es dann einfach keinen Sinn, den Klimawandel als Gefahr für die Walrosspopulation darzustellen.
Die Zoologin Susan Crockford widerpricht der WWF-Theorie einer in Zeitlupe ablaufenden arktischen Walross-Katastrophe vehement. In ihrem Blog schreibt sie:
The attempts by WWF and others to link this event to global warming is self-serving nonsense that has nothing to do with science…this is blatant nonsense and those who support or encourage this interpretation are misinforming the public.
In einem weiteren Beitrag erläutert sie:
In short, recent huge gatherings of females and calves on Chukchi Sea beaches may have more to do with the fact that the population of walruses is now very large rather than because there has recently been no ice for a few months in late summer/fall.
Warum versammeln sich die Walrosse?
Wenn es Walross-Ansammlungen auch schon in den eisreichen 1970er Jahren gegeben hat, dann spielt das Eis wohl keine Rolle. Kurioserweise ist das arktische Meereis in diesem Jahr (2014) stärker ausgedehnt als in den Vorjahren. In einem Wikipedia-Eintrag von 2007 findet sich eine mögliche Spur zur Lösung des Rätsels:
In the non-reproductive season (late summer and fall) walruses tend to migrate away from the ice and form massive aggregations of tens of thousands of individuals on rocky beaches or outcrops.
Dazu lesen wir auf How Stuff Works:
Each summer, nine million pounds of walrus flesh packs the beaches of Round Island, off the southwest coast of Alaska in the Bering Sea. Scientists aren’t exactly sure why, but for a few months each summer, about 12,000 male Pacific walruses congregate on the two mile (3.2 km) long island. From the base of the cliffs to the bubbly surf, all you can see is walrus.
Nichts genaues weiß man nicht, also weiterforschen!
Siehe Berichte auf Climate Depot, Bishop Hill und Polar Bear Science.