In der Welt der Temperaturdaten-Archive gibt es eine ganze Reihe von kreativen „Gestaltungsmöglichkeiten“, mit denen die Originalmessdaten „bearbeitetet“ bzw. „korrigiert“ werden, bevor sie als offizieller Messdatensatz veröffentlicht werden. Zum Teil sind dies sogar sehr sinnvolle Modifikationen. Wenn sich zum Beispiel Messgeräte ändern oder Messstationen örtlich etwas verlagert werden, müssen selbstverständlich entsprechende Anpassungen vorgenommen werden, um die Daten vergleichbar zu machen und künstliche Brüche und Artefakte zu vermeiden.
Aber wo endet die wissenschaftlich berechtigte „Korrektur“ und wo beginnt die fragwürdige Manipulation? Die Klimawissenschaften haben sich in den letzten Jahrzehnten zu einem hochpolitisierten Fach entwickelt, indem kleine Eingriffe in die Datenbasis eine große politische Wirkung entfalten können. Sollten sich einige „Korrekturen“ bei einer unabhängigen Überprüfung als unnötig und ideologisch getrieben herausstellen, könnte dies durchaus eine Straftat sein. Bereits 1907 hatte der US-amerikanische Wettdienst vor solchen Manipulationen gewarnt (Scan mit Dank an Real Science).
Vor etwa zwei Jahren, Mitte 2012, haben wir an dieser Stelle eine Einführung in das Thema gegeben (siehe unseren Blogartikel „Die wunderbare Welt der Temperaturdaten-Korrekturen: Und plötzlich hatte sich der Trend ins Gegenteil verkehrt…”.). Der Artikel wird auch heute noch regelmäßig über Google gefunden und gelesen und hat bereits vielen Lesern die Augen geöffnet. Nein, es handelt sich leider nicht um eine Verschwörungstheorie der „Klimaskeptiker“, es ist ein reales Problem, das zu lange unter dem Radar geblieben ist. Im Folgenden wollen wir uns anschauen, wie sich die Diskussion zur Temperaturdaten-Korrektur in den letzten 24 Monaten weiterentwickelt hat.
Am 7. Juli 2014 veröffentlichte Zeke Hausfather auf Judith Currys Klimablog Climate Etc. unter dem Titel „Understanding adjustments to temperature data“ einen Rechtfertigungsversuch, weshalb alle Korrekturen als legitim zu betrachten wären. Zeke Hausfather ist ein Energiesystem-Analyst und Umweltökonom, der einst an der BEST-Temperaturstudie der University Berkeley beteiligt war. Hausfather räumt gleich zu Beginn seiner Abhandlung ein, dass die modifizierten US-Temperaturen stark von den ursprünglichen Messwerten abweichen:
Adjustments have a big effect on temperature trends in the U.S., and a modest effect on global land trends. The large contribution of adjustments to century-scale U.S. temperature trends lends itself to an unfortunate narrative that “government bureaucrats are cooking the books”.
Die Materie ist technisch und schwierig. Bereits zuvor hatten Hausfathers Ansichten auf WUWT Kritik hervorgerufen (Beiträge von Bob Dedekind und Willis Eschenbach im Juni 2014). Wer liegt richtig, wer liegt falsch? Im Mai 2014 hatten Anthony Watts und Hausfather auf WUWT sogar einen gemeinsamen Artikel, der Diskrepanzen im Temperaturdatensatz des United States Historical Climatology Network (USHCN) zum Thema hatte. Im Gegensatz zu Steve Goddard sieht Klimaskeptiker Watts einen Teil der Temperaturkorrekturen durchaus als gerechtfertigt an. Trotzdem gab es im Juni 2014 dann doch einen Vorfall bei dem Watts Goddard Recht gab und USHCN in die Pflicht nahm. Die Fronten in dieser Diskussion sind daher alles andere als klar. Ende Juni 2014 brachte Judith Curry eine gute und wohlgewichtete Bestandsaufnahme der für Außenstehende verworrenen Diskussion.
Grundsätzlich ist es schon etwas verdächtig, wenn stets die Vergangenheit künstlich kälter gemacht wird als ursprünglich gemessen. Ohne „Korrektur“ würden die heutigen Temperaturen der USA lediglich auf dem Niveau der 1930er Jahre liegen. Eine Erwärmung wäre dann für die letzten 80 Jahre nicht erkennbar. Im Gegenteil, es wäre sogar eine Abkühlung eingetreten.
In einem Manuskript bemängelte 2012 auch Frank Lansner die erheblichen Modifikationen, die am US-Temperaturdatensatz durchgeführt wurden:
USA TEMPERATURE DEVELOPMENT 1880-2010 FROM UNADJUSTED GHCN V2 DATA
Temperature records worldwide are used to estimate a warming signal due to increase of CO2 and are thus key parameters when deciding an appropriate climate policy. Despite the fact that the contiguous USA has the best availability of temperature data in the world, there is a large difference between recent [2] and earlier [1] published temperature data from GISS. This raises questions about the robustness of data. The USA temperature trend calculated from unadjusted Global Historical Climate Network (GHCN) data shows the 1930s as the warmest decade, around 0,2 K warmer than 2000-2009. The calculated temperature trend is based on data from 826 stations, and is virtually identical to that of Hansen et al. 1999 [1]. The calculated temperature trend 1930-2010 is around 0,5 K colder than the updated 2011 GISS US temperature trend [2], and around 0,4 K Colder than temperature trend calculated from Hadcrut stations in USA. The increased warming trend found in the Hadcrut data appears to originate more due to the choice of temperature stations used than due to adjustments of station data.
Bereits Balling & Idso hatten 2002 auf das Problem in den Geophysical Research Letters hingewiesen. Eine weitere Betrachtung steuerte 2013 Paul Homewood bei. Jim Steele führt auf Landscapes & Cycles eine ganze Reihe an fragwürdigen Korrekturbeispielen aus den USA an.
Die Diskussion erstreckte sich auch auf die Behandlung einzelner Monate, so etwa den Juli-Wert (Real Science, WUWT). Walter Dnes wies am 23. August 2014 auf WUWT darauf hin, dass die verschiedenen Monate offenbar in unterschiedlicher Weise korrigiert werden. US-Temperaturen der jüngeren Jahre sind offenbar besonders stark nach oben korrigiert worden (hier, hier, hier). Auch wird die Korrektur mit jeder neu eingeführten Datensatzversion auf mysteriöse Weise stärker. Zum Teil scheinen die offiziell mitgeteilten Korrekturen nicht einmal in der hauseigenen Datenbank enthalten zu sein.
Noch Ende der 1980er Jahre hatte man die Wärme der 1930er Jahre klaglos anerkannt. In der New York Times war am 4. Februar 1989 Erstaunliches zu lesen:
Last week, scientists from the United States Commerce Department’s National Oceanic and Atmospheric Administration said that a study of temperature readings for the contiguous 48 states over the last century showed there had been no significant change in average temperature over that period. Dr. [Phil] Jones said in a telephone interview today that his own results for the 48 states agreed with those findings.
Selbst zehn Jahre später, 1999, konnte James Hansen über die US-Temperaturgeschichte nichts anderes berichten:
Empirical evidence does not lend much support to the notion that climate is headed precipitately toward more extreme heat and drought. […] in the U.S. there has been little temperature change in the past 50 years, the time of rapidly increasing greenhouse gases — in fact, there was a slight cooling throughout much of the country.
Mysteriöse Vorgänge auf Island
Ähnlich wie in den USA liegen in Island die heutigen Temperaturen auf dem Niveau der 1930er/40er Jahre. So berichtet es der Isländische Wetterdienst, und der sollte es wissen. Die globalen Datenkorrektoren sehen dies jedoch anders und haben kräftig mit ihrem Zauberstock in der Datensuppe herumgerührt. Schaut man sich die korrigierten Daten des Global Historical Climatology Network (GHCN) an, dann könnte man glauben, Island hätte sich in den letzten 70 Jahren erwärmt. Vormals harte Daten bekommen weiche Knie. Paul Homewood hat im Oktober 2012 auf WUWT die Misere detailliert protokolliert. Kurz darauf meldete sich auch David Stockwell auf der Webplattform zu Wort und zweifelte ebenfalls die Korrekturmethoden an. Wibjörn Karlén, ehemaliges Mitglied Royal Swedish Academy of Sciences, wirft GISS und NASA regelrechte Manipulation vor und geht auf das Island-Beispiel in einem Manuskript auf geoclimate.se ein. Im Tallbloke-Blog beschäftigte sich auch Roger Andrews mit den fragwürdigen Vorgängen auf Island. Zudem erschien im Dezember 2013 auf der Webseite der Swedish Stockholm’s Initiative ein Beitrag von Magnus Cederlöf, in dem die isländische Temperatur-Manipulation Schritt für Schritt enthüllt wurde.
Ganz ähnlich sieht die Situation übrigens in Norwegen aus. Hier eines der bekannten Vorher-Nachher-Charts von Steven Goddard:
Auch in den Niederlanden wurde kräftig korrigiert, wie Frank Lansner 2012 auf WUWT darlegte.
Asien, Ozeanien und Antarktis
In China sind Zhang et al. 2014 ebenfalls auf Korrekturprobleme gestoßen, die die Erwärmung offenbar stärker aussehen lassen, als sie in Wirklichkeit wohl ist. Eine ausführliche Diskussion des Papers gibt es auf WUWT von Anthony Watts. Auszug aus der Kurzfassung der Arbeit:
Effect of data homogenization on estimate of temperature trend: a case of Huairou station in Beijing Municipality
Our analysis shows that data homogenization for the stations moved from downtowns to suburbs can lead to a significant overestimate of rising trends of surface air temperature, and this necessitates a careful evaluation and adjustment for urban biases before the data are applied in analyses of local and regional climate change
Interessanterweise liegen die Originalmessungen des japanischen Wetterdienstes JMA (hellblaue Kurve) deutlich unter den korrigierten Japan-Werten der internationalen Temperaturdatenbanken:
Gehen wir nun nach Australien. Roger Andrews berichtet aus dem Outback 2012, wie dort per Korrekturformel theoretische Erwärmung herbeigerechnet wurde. Im November 2013 publizierte Alberto Boretti im Fachjournal Theoretical and Applied Climatology eine Untersuchung zur Temperaturentwicklung im Northern Territory für die letzten 130 Jahre. Boretti fand, dass kaum eine Erwärmung feststellbar ist, wenn man die Datenkorrektur solide durchführt. Hier die Kurzfassung (mit Dank an The Hockey Schtick):
The Northern Territory of Australia has a unique situation of an extension larger than France and a population of 200,000, with only three meteorology stations open for more than 40 years, Darwin(DW), Alice Springs (AS) and Tennant Creek, and only two of them, DW and AS, providing data over 100 years, and from 500 to more than 1,000 km separating these stations and the stations in the neighbouring states of Australia. Homogenizations of data in between different measuring sites for the same location as well as the way to derive the missed data to complete at least 100 years from the neighbouring locations are analysed in details and the effects on the temperature trends are straightforwardly investigated. Using properly homogenised data over 130 years and a linear fitting, the warming maximum and minimum temperatures are +0.009 and +0.057 °C/10 years for Alice Springs and −0.025 and 0.064 °C/10 years for Darwin. With the data available, the only option to produce warming trends is to overweight the cold years in the middle of the 1970s and the subsequent return to warmer temperatures. Starting from 1980, to compute trends, there is still a clear warming in Alice Springs, but also clear cooling in Tennant Creek, and a mixed behaviour with warming maximum temperatures and cooling minimum temperatures in Darwin.
Schöne australische Vorher-Nachher-Bilder gibt es im Hockey-Schtick Blog zu bewundern. Hier zwei Beispiele:
Am 23. August 2013 griff dann die Tageszeitung The Australian die fragwürdige Datenmanipulation in zwei Artikeln auf (Artikel 1, Artikel 2), was große Wellen schlug:
Heat is on over weather bureau ’homogenising’ temperature records
WHEN raging floodwaters swept though Brisbane in January 2011 they submerged a much-loved red Corvette sports car in the basement car park of a unit in the riverside suburb of St Lucia. On the scale of the billions of dollars worth of damage done to the nation’s third largest city in the man-made flood, the loss of a sports car might not seem like much. But the loss has been the catalyst for an escalating row that raises serious questions about the competence and integrity of Australia’s premier weather agency, the Bureau of Meteorology, stretching well beyond the summer storms. It goes to heart of the climate change debate, in particular, whether computer models are better than real data and whether temperature records are being manipulated in a bid to make each year hotter than the last.Bureau of Meteorology ‘altering climate figures’
THE Bureau of Meteorology has been accused of manipulating historic temperature records to fit a predetermined view of global warming. In a dispute with BOM that can be traced to the Brisbane floods in January 2011, researcher Jennifer Marohasy has claimed the adjusted temperature records resemble “propaganda” rather than science.
Auszüge aus den nur für Abonnenten zugänglichen Artikeln finden Sie bei JoNova. Auch The Daily Caller griff das Thema auf. Im Laufe der sich daraufhin entwickelnden Diskussion kamen krasse Datenbehandlungsfehler durch den Australischen Wetterdienst ans Licht, so dass der Ruf nach personellen Konsequenzen laut wurde. Unter anderem redet sich der Dienst mit Wetterstationsverlegungen heraus, die er jedoch nicht belegen kann. Wiederum lohnt es sich, die Details bei JoNova nachzulesen.
Auch aus der Antarktis sind beeindruckende und erwärmende Korrekturen zu vermelden. Roger Andrews brachte dazu im Tallbloke-Blog eine schöne Vorher-Nachher-Graphik:
Globaler Korrekturwahn
Wenn man die Vielzahl der lokalen Korrekturen zusammenrechnet, kommt in der globalen Summe ein schöner Batzen zusammen. Ole Humlum von Climate4you zeigte im Juni-2014-Klimarundschreiben eine überraschende Graphik, in der die Entwicklung des Korrekturfaktors im Laufe der letzten 6 Jahre dargestellt wird (Abbildung unten). Während der Januar 2000 stetig künstlich wärmer gemacht wurde, gedachte man dem Januar 1915 das genaue Gegenteil an, nämlich man kühlte ihn immer weiter ab. Das National Climatic Data Center (NCDC) wird sicher eine gute Erklärung dazu haben?
Steven Goddard fand eine ganze Reihe von weiteren Korrekturen bei der NASA, angeregt durch den ehemaligen GISS-Chef und Klimaaktivisten James Hansen (hier, hier). Zum Teil wurden bereits frühere Archivversionen von der NASA vom Netz genommen bzw. gesperrt, damit die Entwicklung des Korrekturfaktors nicht mehr zurückverfolgt werden kann. Auch WUWT fand immer wieder Hinweise auf derlei mysteriöse Datenmodifikationen (hier, hier, hier, hier). Greg Goodman verfasste in Judith Currys Blog eine längere Analyse zur Problematik unter dem Titel „On the adjustments to the HadSST3 data set“. Goodman schlussfolgert, dass mit Ausnahme einiger Korrekturen für Werte aus dem Zweiten Weltkrieg, keine solide Basis für den Korrekturaktivismus vorliegt. Viele Veränderungen der Originaldaten basieren auf reiner Spekulation, die den Datensatz eher verschlechtern als verbessern. Die hinfort korrigierten „Anomalien“ stellen vermutlich oftmals reale Temperaturentwicklungen dar. Hier Goodmans Schlußfolgerungen im Orginal:
HadSST3 contains a series of adjustments. With the exception of the war-time glitch, they are not obvious from study of the record. Their existence is based on speculation and hypothesis. Calculation of the biases involves inverting a significant portion of written record’s meta-data for the period of the principal adjustment and ignoring detailed studies on the proportion and timing of changes in data sampling methods as well a speculation as to the magnitude of the various effects. The principal effect of these adjustments is to selectively remove the majority of the long term variation from the earlier 2/3 of the data record and to disrupt circa 10-11y patterns clearly visible in the data. These changes are fundamentally altering the character of the original data. The strong similarity in form between the variations in the original ICOADS data and the corrections deemed necessary to correct sampling biases is remarkable. All the more so in view of the lack of documentary information on which to base the estimated magnitude and timing of the adjustments. The analysis presented here indicates that, outside the immediate war-time period, these adjustments are distorting and degrading the data rather than improving it. A number of different analyses suggest that a simple correction to the war-time period (as was used before the creation of the Hadley Centre) provides a more coherent and credible result. Comparison to studies of non SST data suggest that much of the variation in ICOADS is quite possibly due to real climate signals, not instrument bias. These variations require proper investigation, not a priori removal from the climate record.
Quo vadis Temperaturkorrektur? Wann platzt die Blase?