Neue Geomar-Studie: Einzeller tolerieren Ozeanversauerung

Im Zuge der ausbleibenden Erderwärmung wichen IPCC-Anhänger zwischenzeitlich auf einen Ersatz-Alarm aus, die Ozeanversauerung. Schon bald würden sich alle Organismen in der Säure auflösen und zurück bliebe ein totes Wasser, erklärte man. Die Forschungsmaschinerie lief an und zahlreiche Studien wurden gestartet, um das Phänomen zu erforschen. Aber oh Schreck, es kam nicht ganz das heraus, was herauskommen sollte. Ein Beispiel kommt nun aus der FAZ vom 3. Juli 2014:

KORALLENRIFFE IN DER KARIBIK – DAS STERBENDE PARADIES
Die meisten Korallenriffe in der Karibik drohen nach Erkenntnissen von Meeresforschern in den nächsten 20 Jahren abzusterben. Schuld seien jedoch weniger die Folgen des Klimawandels als vielmehr der Rückgang an Papageifischen und Seeigeln, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie der Internationalen Naturschutzunion (IUCN). Mehr als die Hälfte der Korallenriffe in der Karibik sind der Studie zufolge seit 1970 verschwunden. „Die Geschwindigkeit, mit der die Korallenriffe verschwinden, ist alarmierend“, sagte der IUCN-Direktor für Meeres- und Polarforschung Carl Gustaf Lundin. Bislang sei dafür vor allem der Klimawandel verantwortlich gemacht worden. Langzeituntersuchungen an 90 karibischen Korallenriffen zeigten aber, dass besonders der Verlust an Weidegängern diesen komplexen maritimen Ökosystemen zu schaffen mache. Weidegänger grasen unter Wasser auf großen Flächen Pflanzen ab, vor allem Algen.

Weiterlesen auf FAZ.net.

In der offiziellen IUCN-Pressemitteilung gibt es weitere Einzelheiten zur Rolle des Klimawandels:

Climate change has long been thought to be the main culprit in coral degradation. While it does pose a serious threat by making oceans more acidic and causing coral bleaching, the report shows that the loss of parrotfish and sea urchin – the area’s two main grazers – has, in fact, been the key driver of coral decline in the region. An unidentified disease led to a mass mortality of the sea urchin in 1983 and extreme fishing throughout the 20th century has brought the parrotfish population to the brink of extinction in some regions. The loss of these species breaks the delicate balance of coral ecosystems and allows algae, on which they feed, to smother the reefs. […] “Even if we could somehow make climate change disappear tomorrow, these reefs would continue their decline,“ says Jeremy Jackson, lead author of the report and IUCN’s senior advisor on coral reefs. „We must immediately address the grazing problem for the reefs to stand any chance of surviving future climate shifts.”

 

Siehe auch Artikel "Verschwinden der Weidegänger setzt Korallenriffen mehr zu als Klimawandel"im Standard, englischsprachiger Artikel auf Notrickszone sowie unsere Blogartikel "Welche Rolle spielt die Ozeanversauerung? Eine Wissenschaftssparte mit noch vielen Fragezeichen".

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Nachdem selbst die Internationale Naturschutzorganisation IUCN offenbar den Weg zurück zu den wahren Problemen gefunden hat, ebbt der Enthusiasmus für die Idee eines Massensterbens durch eine „Ozeanversauerung“ allmählich ab. Dazu passt auch eine neue Geomar-Studie von Haynert et al., die im März 2014 im Fachmagazin Biogeosciences erschien. Die Forscher setzten Einzeller (Foraminiferen) in einem Langzeit-Laborexperiment unterschiedlichen CO2-Konzentrationen aus, die bis zum Achtfachen des heutigen Wertes reichten. Die Foraminiferen wurden dabei in einem Substrat gehalten, dass ihrem natürlichen Lebensraum möglichst nahe kam. Das Ergebnis war überraschend: Die Einzeller zeigten sich unbeeindruckt, und der CO2-Gehalt der Laboratmosphäre blieb ohne Effekt auf den Lebenszyklus der untersuchten Foraminiferen. Hier ein Auszug aus der Kurzfassung der Geomar-Studie:

During 6 months of incubation, foraminiferal assemblages were kept and treated in natural sediment with pCO2-enriched seawater of 430, 907, 1865 and 3247 μatm pCO2. The fauna was dominated by Ammonia aomoriensis and Elphidium species, whereas agglutinated species were rare. After 6 months of incubation, pore water alkalinity was much higher in comparison to the overlying seawater. Consequently, the saturation state of Ωcalc was much higher in the sediment than in the water column in nearly all pCOtreatments and remained close to saturation. As a result, the life cycle (population density, growth and reproduction) of living assemblages varied markedly during the experimental period, but was largely unaffected by the pCO2 treatments applied. […] Our results emphasize that the sensitivity to ocean acidification of the endobenthic foraminifera Ammonia aomoriensis in their natural sediment habitat is much lower compared to the experimental response of specimens isolated from the sediment.

Man muss dem Geomar dankbar sein, dass es die Studie am 9. April 2014 in einer Pressemitteilung der Öffentlichkeit vorstellte:

Im Schutz des Meeresbodens: Einzeller tolerieren Ozeanversauerung
GEOMAR-Forscher simulieren zukünftige Klimaszenarien

09.04.2014/Kiel. Der Gehalt von atmosphärischen Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid (CO2) steigt kontinuierlich an. Durch die Aufnahme von CO2 aus der Atmosphäre versauern die Ozeane zunehmend. Forscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel zeigen in einer aktuellen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Studie, dass kalkbildende Einzeller, sogenannte Foraminiferen, unter bestimmten Bedingungen auch mit sehr hohen CO2-Werten gut umgehen können. Die Ergebnisse sind jüngst in der internationalen Fachzeitschrift Biogeosciences erschienen.

Die Meere werden immer saurer. Diese Tatsache ist auf einen stetig steigenden, atmosphärischen CO2-Gehalt zurückzuführen. Durch den permanenten Gasaustausch zwischen Atmosphäre und Ozean führt das auch zu einer erhöhten CO2-Konzentration im Meer. Hier reagiert das gelöste CO2 mit dem Wasser zu Kohlensäure. Als Folgen dieser Reaktion sinkt der pH-Wert im Meer und die Konzentration von Karbonat nimmt ab. Diese Veränderung der Meereschemie trifft besonders Organismen, welche Karbonat zum Aufbau ihrer Kalkschalen und -skelette benötigen. Daher wird erwartet, dass auch die sogenannten Foraminiferen, Einzeller die ihre Schalen aus Karbonat aufbauen, besonders stark betroffen sind. So wurde in früheren Studien ein verringertes Wachstum beobachtet, im schlimmsten Fall löste sich die komplette Schale der Foraminiferen auf. Dr. Kristin Haynert vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel konnte jetzt jedoch, zusammen mit ihren GEOMAR-Kollegen Dr. Jörn Thomsen und Dr. Joachim Schönfeld (Projektleiter), sowie weiteren Kollegen aus Frankreich und Trinidad in einer Studie zeigen, dass Foraminiferen unter bestimmten Voraussetzungen sehr gut mit den erhöhten CO2 Bedingungen zurechtkommen. Die Studie erschien jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Biogeosciences.

Dr. Haynert  und ihre Kollegen haben sich mit den Effekten erhöhter CO2-Werte auf Foraminiferen in der Ostsee beschäftigt. In diesem Randmeer leben die Einzeller auf oder im Meeresboden. „In einer früheren Feldstudie konnten wir bereits beobachten, dass die Foraminiferen am Boden der Ostsee schon heute höheren CO2 Gehalten ausgesetzt sind, als es für die Ozeane für das Jahr 2100 erwartet wird. Nach dem bisherigen Kenntnisstand müssten diese Bedingungen dazu führen, dass sich ihre Schalen auflösen“, berichtet Dr. Haynert.

Um die Langzeitfolgen der Ozeanversauerung im Labor zu untersuchen, wählten Dr. Haynert und ihre Kollegen einen bisher einmaligen experimentellen Ansatz. Im Gegensatz zu früheren Laborstudien entfernten sie die Foraminiferen nicht aus dem Sediment, sondern hielten sie erstmals über sechs Monate in ihrem weitgehend naturgetreuen Lebensraum unter erhöhten CO2-Werten. Die gewählten CO2-Level entsprachen den gegenwärtig beobachteten CO2-Werten sowie Bedingungen, die zukünftig in der Ostsee erwartet werden. Das überraschende Ergebnis: Umgeben und geschützt vom Sediment tolerieren die Einzeller sehr hohe CO2-Werte.

Für die anpassungsfähigen Foraminiferen ist eine entscheidende Voraussetzung notwendig: In den obersten Zentimetern des Meeresbodens muss eine hohe Konzentration an Karbonat vorhanden sein. Entscheidend hierfür ist der Umstand, dass Abbauprozesse im Sediment sowohl Sauerstoff verbrauchen, gleichzeitig aber auch Karbonat erzeugen. Deshalb ist die Konzentration von Karbonat im sogenannten Porenwasser deutlich höher als im darüber liegenden Wasser. Die Folge: Der Lebensraum der Foraminiferen ist nur selten untersättigt in Bezug auf Karbonat. „Auf diese Weise sind die Schalen vor starker Auflösung geschützt und die Foraminiferen besiedeln einen Lebensraum, der es ihnen erlaubt auch unter hohen CO2 Konzentrationen zu überleben. Ein entscheidender Umstand, der in früheren Studien übersehen wurde“, so Dr. Haynert.

Die Ergebnisse dieser Studie unterstreichen die Notwendigkeit, die natürlichen Prozesse im Lebensraum bodenlebender Organismen zu verstehen, um die Folgen des Klimawandels besser abschätzen zu können.

Originalarbeit:
Haynert, K., Schönfeld, J., Schiebel, R., Wilson, B., and Thomsen, J. (2014): Response of benthic foraminifera to ocean acidification in their natural sediment environment: a long-term culturing experiment, Biogeosciences, 11, 1581-1597, http://dx.doi.org/10.5194/bg-11-1581-2014

Interesanterweise griff jedoch keine größere Zeitung das Thema auf. Offenbar ein zu heißes Eisen. Eine Google-Suche brachte nur einen einzigen Bericht nämlich in einem Haustier-Branchenblatt

Mit Dank an The Hockeyschtick.

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Auch Spiegel Online brachte am 8. April 2014 einen Artikel zur Ozeanversauerung mit dem Titel „Das Säure-Rätsel“ und zählt einige erstaunliche Fakten auf:

Die heimliche Königin der Meere ist die winzige Kalkalge Emiliania huxleyi. Sie ist so häufig, dass sie ungefähr die Hälfte der Masse aller Kalkorganismen im Ozean ausmacht. Und die Alge scheint sich in saurem Wasser wohl zu fühlen. Analysen haben gezeigt, dass Emiliania huxleyi wesentlich größere Schalen produzierte, nachdem Wasser im Labor mit CO2 angesäuert worden war. Auch Seepocken und viele Algen florieren in saurerem Wasser. CO2 wirke also nicht nur zersetzend, sondern regelrecht als Energiespender, heißt es im Uno-Klimabericht: Aus CO2 und Sonnenlicht betreiben Pflanzen ihren Stoffwechsel. „CO2 funktioniert wie Treibstoff“, sagt Maria Cristina Gambi, Meeresforscherin an der Stazione Zoologica Anton Dohrn in Neapel. Manche Organismen würden deshalb eher profitieren von der Zufuhr des Treibhausgases, resümiert der Uno-Klimarat. Viele Kalkalgen-Schalen seien seit Beginn der Industrialisierung um 40 Prozent gewachsen – und das im Zuge der fortschreitenden Versauerung.

[…]

Manche Organismen blühen auf

Vielerorts leben Organismen schon heute in saurerem Milieu: „In vielen Gewässern liegt der pH-Wert von Natur aus so niedrig, wie es weltweit für die Zukunft vorhergesagt wird“, sagt Ian Joint von der Marine Biological Association von Großbritannien. Im Ozean in wenigen hundert Metern Tiefe, oder in manchen Seen bespielsweise. Und am Marianengraben siedeln unmittelbar neben Fontänen aus sauren Gasen üppige Muschelkolonien. Können Organismen in sauren Meeren womöglich doch bestehen? „Allein der ph-Wert scheint keine Barriere für Bakterien und Plankton zu sein“, sagt Joint. „In Regionen mit saurerem Wasser florieren Lebewesen, die an das spezielle Milieu angepasst sind“, entgegnet Ulf Riebesell vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Die Versauerung würde viele Lebewesen treffen, die das neue Milieu nicht tolerieren könnten. Auch die bedeutendsten Korallen aber, die Steinkorallen der Ordnung Scleractinia, würden die Versauerungskrise wohl überstehen – allerdings ziemlich nackt. Experimente über ein Jahr haben gezeigt, dass sie selbst bei extrem niedrigen pH-Werten von 7,3 leben können. Zwar lösten sich die Skelette der Koralle auf, ihre Weichteile aber blieben intakt und mit dem Boden verbunden. Und als das Wasser entsäuert worden war, bauten sie ihre Skelette wieder auf. Der Versuch könnte womöglich erklären, warum die Korallen auch schwere Umweltkrisen der Erdgeschichte überleben konnten.

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