Die Antarktis ist das Sorgenkind der Klimaalarmismus-Bewegung. Das ostantarktische Eis ist stabil und die Ausdehnung des antarktischen Meereises bewegt sich auf Rekordniveau. Da könnte man fast schon auf dumme Gedanken kommen, dass die Klimakatastrophe vielleicht doch etwas überzeichnet dargestellt wurde. Wer könnte neuen antarktischen Klimaalarm produzieren? Die NASA konnte. Mitte Mai 2014 veröffentlichte eine NASA-Truppe in den Geophysical Research Letters eine Studie zur Westantarktis und kündigte Schlimmes an. Der Standard berichtete am 13. Mai 2014 über die Studie:
Studie: Eisschmelze in der Westantarktis womöglich bereits unumkehrbar
Die Westantarktis, also das Gebiet südlich von Südamerika, gilt schon seit einiger Zeit als Risikogebiet. Doch die Ergebnisse der zwei neuesten Untersuchungen übertreffen alle bisherigen Befürchtungen: Die westantarktische Eisschmelze könnte zu unumkehrbaren Kettenreaktionen führen, die das Meeresniveau langfristig um bis zu 1,2 Meter ansteigen lassen. Ein NASA-Forscherteam um Eric Rignot (University of California in Irvine) rekonstruierte in einer der beiden Studien den Rückgang aller sechs großen westantarktischen Gletscher an der Amundsen-See. Die Glaziologen verwendeten für ihre Untersuchungen Daten und Aufnahmen, die in den vergangenen Jahrzehnten von Satelliten, aus Flugzeugen und von Schiffen aus gesammelt wurden. Dabei zeigte sich unter anderem, dass sich der Pine-Island-Gletscher zwischen 1992 und 2011 um nicht weniger als 32 Kilometer zurückzog.
Aber können Daten aus den letzten 25 Jahren überhaupt die ganze Geschichte erzählen? Bereits im Januar 2014 hatten wir an dieser Stelle eine ähnliche Studie zum Pine-Island-Gletscher diskutiert. In der Tat war der längerfristige Kontext nicht ganz unwichtig. Das aktuelle Schmelzen der westantarktischen Gletscher ist nichts Neues (siehe unseren Blogbeitrag „Hilfe, der westantarktische Pine-Island-Gletscher schmilzt unaufhaltsam! British Antarctic Survey gibt Entwarnung: In den letzten 300 Jahren hat es in der Gletscherregion sogar noch intensivere Erwärmungsepisoden gegeben als heute“). Geht man noch weiter in der Geschichte dieses Gletschers zurück, fällt vor allem eine Phase vor 8000 Jahren ins Auge, als der Pine-Island-Gletscher jahrzehnte- bis jahrhundertelang schrumpfte. Dies berichteten Johnson et al. im Februar 2014 im Fachmagazin Science. Auszug aus der Kurzfassung:
We demonstrate, using glacial-geological and geochronological data, that Pine Island Glacier (PIG) also experienced rapid thinning during the early Holocene, around 8000 years ago. Cosmogenic 10Be concentrations in glacially transported rocks show that this thinning was sustained for decades to centuries at an average rate of more than 100 centimeters per year, which is comparable with contemporary thinning rates.
Die Presse interessiert sich in der Regel nicht für solche Feinheiten. Nur ungern möchte man auf die attraktive Katastrophengeschichte verzichten. Eigene Recherchen der Redaktion gibt es heute nicht mehr, die solche Fehlinterpretationen verhindern könnten.
Interessanterweise ist die westantarktische Panik-Prognose gar nicht so drängend wie aus dem ersten Teil der Nachricht vermutet werden könnte. Der Standard räumt ein:
Auch im 21. Jahrhundert wird sich die Lage noch nicht dramatisch ändern: So würde der Thwaites-Gletscher bis 2100 nur rund 2,5 Zentimeter zum Anstieg des Meeresniveaus beitragen. Doch danach dürften sich die Ereignisse rapide beschleunigen. Wie schnell, das sei noch unklar. Sie rechnen jedenfalls damit, dass allein das Abschmelzen der sechs westantarktischen Gletscher den Meeresspiegel um 120 Zentimeter erhöhen würden – in zwei bis spätestens neun Jahrhunderten.
Sehr praktisch: Die orakelte Beschleunigung der Gletscherschmelze findet erst statt, wenn alle Beteiligten bereits unter der Erde liegen. Wir lieben unüberprüfbare Horror-Langzeitprognosen !
Der Deutschlandfunk hielt es in seiner Berichterstattung nicht einmal für notwendig, auf den sehr langen Zeithorizont von 200-900 Jahren und mehr hinzuweisen. Und der Guardian verwendet kurioserweise in seinem Artikel zum Paper den Begriff „Kollaps“ in seiner Überschrift:
Western Antarctic ice sheet collapse has already begun, scientists warn
Nicht sehr passend für einen Prozess, der sich nach Modellierungsergebnissen über tausende von Jahren hinziehen soll und lediglich auf Daten von 25 Jahren basiert. Andrew Revkin von der New York Times erläutert:
To the public, collapse is a term applied to a heart attack victim on a street corner or a building stricken by an earthquake or bomb. To a glaciologist, it describes the transition to unavoidable loss of an ice sheet — a process that can take centuries to get into gear, and millenniums to complete.
Überhaupt ist das Wissen über den angeblichen „Kollaps“ des westantarktischen Eises nicht allzu robust. Hanna et al. wiesen in einem Nature-Artikel Mitte 2013 darauf hin, dass noch immer unklar ist, wieviel Eis die Westantarktis in den letzten Jahren eigentlich wirklich verloren hat. Auszug aus der Kurzfassung:
Whereas Greenland is losing ice mass at an increasing pace, current Antarctic ice loss is likely to be less than some recently published estimates. It remains unclear whether East Antarctica has been gaining or losing ice mass over the past 20 years, and uncertainties in ice-mass change for West Antarctica and the Antarctic Peninsula remain large. We discuss the past six years of progress and examine the key problems that remain.
Lesen Sie dazu auch den Beitrag von Radio Australia „Antarctic ice loss less severe than previous IPCC estimates: research“. King et al. hatten 2012 bereits eine GRACE-Satellitendatenauswertung für die Zeit von 2002-2010 vorgelegt, die keine Masseänderung des westantarktischen Eisschildes feststellen konnte.
Wie sieht es eigentlich mit der Behauptung aus, die aktuelle “Schmelze” wäre “irreversibel”? Hat es in diesen Zeitmaßstäben in der Vergangenheit nicht auch natürliche Kältephasen gegeben? Man erinnere sich an die Kleine Eiszeit um 1500 sowie die Kältephase der Völkerwanderungszeit um 500 n. Chr. Während der Kleinen Eiszeit haben sich die Alpengletscher stark ausgedehnt. Es ist das alte Problem, dass einige Zeitgenossen einen Trend in die weite Zukunft extrapolieren und gar nicht auf die Idee zyklischer Entwicklungen kommen. Geologen sind hier besser aufgestellt. Die Vergangenheit besteht aus einer langen Serie von zyklischen und anderen Klimaschwankungen. Schaut man sich die Daten genau an, so würde ein seriöser Geowissenschaftler niemals auf die Idee kommen, mithilfe eines Lineals oder Computermodellen Trends nur in die eine Richtung weiterzudenken.
Daher muss man schon fast schmunzeln, wenn IPCC-nahe Redakteure wie Christopher Schrader von der Süddeutschen Zeitung titeln:
„Der letzte Umkehrpunkt liegt hinter uns“
Die Gletscherschmelze in der Westantarktis ist wohl nicht mehr zu stoppen. Wissenschaftler zeichnen ein düstes Bild für die Zukunft der Eiskappen. Die Auswirkungen für den Meeresspiegel werden mit großer Wahrscheinlichkeit gravierend sein.
Kleine Nachhilfestunde für Herrn Schrader: Wie entwickelte sich das Gletschereis eigentlich in den früheren Wärmeperioden in der Antarktis? Erholte sich das Eis danach wieder, oder handelte es sich bereits damals um “irreversible” Vorgänge?
Der westantarktische Eisschild ist 33 Millionen Jahre alt (Wilson et al. 2013) und hat seit dem frühen Oligozän eine ganze Reihe von warmen Phasen erlebt. Laut Fogwill et al. (2012) hat der zentrale Eisdom des westantarktischen Eisschildes mindestens die letzte, wenn nicht sogar die letzten drei Warmzeiten (Intergaziale) überstanden, wenn auch in reduzierter Form. Auszug aus der Kurzfassung:
The implication is that although the West Antarctic Ice Sheet (WAIS) may have fluctuated in thickness during glacial cycles, the central dome has remained intact for at least 200 kyr and possibly even for 400 kyr.
In anderen Interglazialen ist das Eis der Westantarktis möglicherweise auch komplett verschwunden. Das Abschmelzen von Eis in Interglazialen ist daher kein unerwartetes Phänomen, sondern sogar zu erwarten. Das heutige Interglazial, in dem wir leben, sollte da keine Ausnahme bilden. Wenn es dann wieder kälter wurde, wuchs das Eis wieder an. Ein ganz natürliches Eis-Jo-Jo.
Interessant ist auch die Arbeit von Steig et al. aus dem April 2013 in Nature Geoscience. Die in der Westantarktis während der letzten Jahrzehnte beobachtete Eisschmelze unterscheidet sich laut Eiskernuntersuchungen der Autoren nicht von ähnlichen Schmelzepisoden wie sie in den 1830er und 1940er Jahren bereits aufgetreten sind. Die University of Washington erläutert die Studie:
In the last few decades, glaciers at the edge of the icy continent of Antarctica have been thinning, and research has shown the rate of thinning has accelerated and contributed significantly to sea level rise. New ice core research suggests that, while the changes are dramatic, they cannot be attributed with confidence to human-caused global warming, said Eric Steig, a University of Washington professor of Earth and space sciences. Previous work by Steig has shown that rapid thinning of Antarctic glaciers was accompanied by rapid warming and changes in atmospheric circulation near the coast. His research with Qinghua Ding, a UW research associate, showed that the majority of Antarctic warming came during the 1990s in response to El Niño conditions in the tropical Pacific Ocean. Their new research suggests the ’90s were not greatly different from some other decades – such as the 1830s and 1940s – that also showed marked temperature spikes. “If we could look back at this region of Antarctica in the 1940s and 1830s, we would find that the regional climate would look a lot like it does today, and I think we also would find the glaciers retreating much as they are today,” said Steig, lead author of a paper on the findings published online April 14 in Nature Geoscience.
Abbildungen hierzu gibt es auf The Resilient Earth.
Aus gegebenem Anlass wollen wir jetzt noch einige andere aktuelle Arbeiten zur Antarktis anschauen. Der NIPCC brachte im April 2014 eine aufschlussreiche Übersicht zu Arbeiten, die die Mittelalterliche Wärmeperiode sowie die Römische Wärmeperiode in der Antarktis dokumentieren. In der antarktischen Shackleton Range fanden Hodgson & Bentley (2013), dass die Temperaturen 4300 bis 2250 Jahre vor heute höher lagen als heute. Der Seespiegel von untersuchten Seen in der Region lag damals aufgrund des verstärkten Schmelzwasserzustroms bis zu 70m über dem heutigen Niveau.
Cook et al. publizierten 2013 in Nature Geoscience eine Studie zur Ostantarktis. Die Autoren fanden für das Pliozän (5,3–2.6 Millionen Jahre vor heute) eine natürliche warme Phase, die den Eisrand um einige hundert Kilometer ins Landesinnere verlagert hat.
Feakins et al. 2012 beschreiben eine natürliche Wärmephase in der Antarktis während des Miozäns, 15 bis 20 Millionen Jahre vor heute. Die Sommertemperaturen waren damals 11 Grad höher als heute. Die Eisschilde schrumpften und Vegetation machte sich breit. Auszug aus der Kurzfassung der Arbeit:
From 20 to 15 million years (Myr) ago, a period of global warmth reversed the previous ice growth on Antarctica, leading to the retreat of the West Antarctic Ice Sheet and the contraction of the East Antarctic Ice Sheet. Pollen recovered from the Antarctic shelf indicates the presence of substantial vegetation on the margins of Antarctica 15.7 Myr ago. […] We find that vegetation persisted from 20 to 15.5 Myr ago, with peak expansions 16.4 and 15.7 Myr ago coinciding with peak global warmth and vegetation growth. Our model experiments are consistent with a local moisture source in the Southern Ocean. Combining proxy measurements with climate simulations, we conclude that summer temperatures were about 11 °C warmer than today, and that there was a substantial increase in moisture delivery to the Antarctic coast.
Jamieson et al. zeigten 2012 in einer Arbeit, dass das antarktische Eis selbst in Wärmephasen für mehrere Jahrzehnte bis sogar wenige Jahrhunderte stabil bleiben kann.
Während das arktische Meereis schrumpft, expandiert das antarktische Meereis immer weiter. Könnte hier ein Zusammenhang bestehen? Ja, sagen Oh et al. in einer Arbeit, die im Januar 2014 in den Quaternary Science Reviews erschien. Im Jahrtausendmaßstab ist das Klima der Antarktis mit dem von Grönland verknüpft, allerdings mit einer Pi-Halbe-Phasenverschiebung.
Abschließend lassen wir Ulli Kulke zu Wort kommen, der in der Welt vom 13. Mai 2014 die richtigen Worte fand (siehe auch einen Blogbeitrag auf Donner + Doria):
Trotz – gebotenem – Konjunktiv: Da ist es, das große Wort: unabwendbar, unumkehrbar – all das, was scheinbar politisch verantwortliche Wissenschaftler bislang vermieden, um den Mensch weiterhin zur Umkehr, zur „großen Transformation“ zu veranlassen. Eines ist klar: Ihre „Unumkehrbarkeit“ dürfte den US-Forschern Aufmerksamkeit bescheren. Aber unabhängig davon, ob der Begriff berechtigt ist, ob oder inwieweit der Mensch an einer solchen Unumkehrbarkeit schuld ist und ob die ganze Prognose, die auf Computermodellen fußt, überhaupt wahrscheinlich ist, könnte diese Sprachregelung uns an etwas anderes erinnern. Nämlich daran, dass die Anpassung an einen Klimawandel mindestens so wichtig ist wie die in mancher Ausprägung unsinnigen Versuche, ihn zu stoppen. Nach der letzten Eiszeit (in der sich die Temperatur öfters binnen 40 Jahren schockartig um acht Grad erhöhte) stieg der Meeresspiegel einmal innerhalb von 500 Jahren um acht Meter, insgesamt um über 120 Meter. Eine solche Anpassung ist bei bald zehn Milliarden Erdbewohnern anspruchsvoller als in der Jungsteinzeit. Aber sie ist nötig. Und wer von ihr ablenken will, nur um jene „große Transformation“ zu erzwingen, handelt verantwortungslos.