Am 3. März 2014 hatten wir an dieser Stelle über den Vortrag der Bremer Doktorandin Denise Müller zur Ethik des Klimawandels berichtet. Der entsprechende Artikel im Weser Kurier hinterließ den Eindruck, dass es es sich um einen klimaalarmistischen Ansatz handeln könnte. Frau Müller war mit dieser Einschätzung nicht zufrieden und meldete sich bei uns:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie haben am 3.3.2014 einen sehr angriffslustigen Artikel ueber meinen Vortrag zu ethischen Fragen in Zeiten des Klimawandels veroeffentlicht. Sie haben vermutlich nicht damit gerechnet, aber den habe ich gelesen. Ich finde es etwas schade, dass Sie Ihren Artikel auf einem sekundaeren Bericht beruhen lassen und sich nicht die Muehe gemacht haben, vorbeizukommen und den offenkundigen Anstoss, den Sie daran nehmen, mit mir selbst auszudiskutieren. Haetten Sie das getan, waere Ihnen vermutlich aufgefallen, dass ich in meinem Vortrag durchaus zur Sprache brachte, dass Klimaskepsis ein Thema der Klimaethik ist: Die Philosophie fragt naemlich danach, wie die Unsicherheit von Folgen im Blick auf Handlungen zu bewerten ist! Es waere Ihnen ausserdem leichter gefallen, meine Aussagen und die Aussagen der Weser Kurier- Autorin auseinanderzuhalten, aber das kann im Eifer des Gefechts ja mal passieren.
Haetten Sie sich ueberdies noch die Muehe gemacht und meine Masterarbeit zu diesem Thema gelesen (Lektuereempfehlung!), waere Ihnen ausserdem aufgefallen, dass ich “Die kalte Sonne” zitiere! Dies duerfte Sie vermutlich ueberraschen, aber es ist ja auch nicht schwer, jemanden zu ueberraschen, dessen Recherche fuer einen Blogeintrag allein die Stadtteilseite des Weser Kuriers umfasst. Die weiterhin zu klaerenden philosophischen Fragen, die Sie stellen (nun, die Fragen sind sehr polemisch, aber man koennte die durchaus sinnvoll umformulieren und philosophisch diskutieren), sind nicht uninteressant. Da Sie so forsch fuer eine groessere Offenheit gegenueber unterschiedlichen Meinungen eintreten, bin ich sicher, dass Sie auch dafuer offen sind, dieses Statement, das ich Ihnen sende, in Ihrem Blog als Antwort auf den Artikel zu veroeffentlichen.
Ich moechte zum Schluss noch eines loswerden. Klimaskeptiker (nicht “Leugner”) regen sich immer furchtbar darueber auf, dass die “anderen” Klimawissenschaftler nicht offen sind fuer “klimaskeptische” Argumente. Seien Sie doch mal ein bisschen offen fuer ein paar philosophische Ueberlegungen. Im Uebrigen machen Sie sich um das Ergebnis meiner Doktorarbeit mal keine Sorgen.
Ich erwarte mit Spannung Ihre Reaktion. Oder um es mit Ihren Worten zu sagen: Uebernehmen Sie!
Denise Mueller
Gerne kommen wir der Bitte nach, die Email hier im Blog zu veröffentlichen. Die Förderung der klimawissenschaftliche Diskussion ist eines unserer Hauptanliegen. Frau Müllers Masterarbeit „Die Ethik des Klimawandels“ von 2012 ist übrigens als E-Book verfügbar und kann für €34,99 käuflich auf grin.com erworben werden. Die Hardcopy-Ausgabe gibt es für €44,99. Wem das zu teuer ist, der kann hier eine kurze Leseprobe finden (Word-Datei), die wie folgt beginnt:
George Tom verliert buchstäblich den Boden unter den Füßen. Den 61 Jahre alten Jäger vom Volk der Yup′ik in Alaska ereilte ein Schicksal, das er mit vielen indigenen Völkern in der Arktis teilt: Sein Haus versank im schmelzenden Permafrost. Grant Kashatok, der das gleiche Problem zu beklagen hat, fürchtet nicht nur um seinen Wohnsitz, sondern auch um seine Identität: „Wenn wir von hier weggehen, sind wir keine Yup′ik mehr. Das heißt wörtlich übersetzt ′der wahrhaftige Mensch′. Doch wenn wir von hier weggehen, sind wir nicht mehr wahrhaftig.“
Das liest sich sehr schön. Der Leser wird mit dem Alaskaner George Tom persönlich bekannt gemacht, der angeblich unter dem menschengemachten Klimawandel leiden soll. Durch die Einführung einer konkreten Figur wird Nähe aufgebaut, die in Verständnis für seine persönlichen Probleme sowie die globalen Klimaprobleme münden soll. Schreiten wir zum Faktencheck: Ist es wirklich das erste Mal, dass der Permafrostboden in der Arktis taut? Die Antwort ist ernüchternd. Nein, es gab in der vorindustriellen Vergangenheit bereits mehrfach die Situation eines Permafrost-Tauens. Der einzige Unterschied: Georg Tom war nicht dabei. Erlebt haben dies jedoch Toms Vorfahren. Beispiele sind die Mittelalterlichen und Römischen Wärmeperioden vor 1000 bzw. 2000 Jahren. Siehe „Mittelalterliche Wärmeperiode in Alaska„, „Und plötzlich taute ein ganzer Wald aus dem Gletscher aus: Während der Römischen Wärmephase vor 2000 Jahren waren Gletscher in Alaska und British Columbia kürzer als heute„, heute ist es in Alaska viel wärmer als früher? Schwierig. Siehe „Klimaindikator des Nenana River in Alaska mit neuem Rekord: Noch nie ist das
Eis später aufgebrochen als in diesem Jahr“ und „Neue AWI-Studie: Heutige Sommertemperaturen in der sibirischen Arktis unterscheiden sich kaum von denen der letzten Jahrtausende„.
Weiter in Denise Müllers Leseprobe:
Monira Khatun aus Bangladesch sagt, sie lebe von der Hand in den Mund. Sie erinnert sich, dass früher Reisanbau und Gemüse die Menschen in ihrem Dorf ernährten. Doch Überschwemmungen haben die Reisfelder weggespült, das Land ist unfruchtbar, das Wasser versalzen.
Überschwemmungen in Bangladesch, eine Folge des menschengemachten Klimawandels? Die Wissenschaft kann dies leider nicht bestätigen. Weder sind Hochwässer in Asien in den letzten Jahrzehnten häufiger geworden, noch können sie dem anthropogenen Klimawandel angelastet werden. Siehe „Keine Zunahme der Hochwässer in Nepal während der vergangenen 50 Jahre„, „Überraschung: Globale Niederschläge sind in den letzten 70 Jahren weniger extrem geworden„, „Gefährliche Hochwasserereignisse am Zustrom des Gelben Flusses vor 3000 Jahren„, „Rekonstruktion der vergangenen 1500 Jahre zeigt: Hochwasser in Nordchina war stets an Wärmeperioden gebunden“ und „Die schlimmsten Flutkatastrophen der letzten 2000 Jahre im chinesischen Jangtse-Gebiet fanden während der Römischen Wärmeperiode statt„).
Weiter in Denise Müllers Leseprobe:
Der chinesische Bauer Yang Guorui beklagt verdorrte Pflanzen auf seinen Äckern und fürchtet sich vor der Ausbreitung der Wüste. Tsering Tundup Chupko aus Ladakh in Indien bemerkt in seinem Umfeld soziale Spannungen. „Lange Zeit waren wir in diesem Dorf gute Freunde und Nachbarn, doch in der letzten Zeit ist es wegen des Wassermangels häufiger zu Auseinandersetzungen gekommen. Wir machen Veränderungen durch, wie ich sie in meinem Leben noch nicht erlebt habe.“
Auch hier verdrängt Frau Müller leider, dass es auch in der Vergangenheit in China Dürren gegeben hat, die mal häufiger und mal seltener waren. Hauptantrieb der Schwankungen der Dürrehäufigkeit war offenbar die Sonne, wie wissenschaftliche Studien herausfanden. Siehe „Über Feuchtigkeit und Trockenheit in Südchina entschied während der letzten 7000 Jahre unsere liebe Sonne: Millenniumszyklen im ostasiatischen Monsun„, „Neue Studie vom Tibet Plateau: Immer wenn die Sonne schwach wurde, blieb der Regen aus„, „Oasen der chinesischen Taklamakan-Wüste erblühten im Takt der solaren Millenniumszyklen“ und „Entspannung an der Extremwetterfront: Dürren sind in den letzten 60 Jahren nicht häufiger geworden„. Den Knackpunkt des Problems nennt Denise Müller selbst: Die Veränderungen mögen neu für die heutige Generation sein. Vorangegangene Gernationen haben dies jedoch bereits alles durchgemacht. Es ist daher sehr kurzsichtig und unverantwortlich, die historischen und geologischen Fakten hier einfach auszublenden.
Mit Verschwörungstheorien hat das Ganze natürlich nichts zu tun. Man sollte Verständnis für den Ärger der Klimarealisten haben, wenn man bedenkt, dass unbequeme vorindustrielle Klimaereignisse bewusst oder fahrlässig in der medialen Berichterstattung und klimaalarmistischen Sichtweise ignoriert werden. Es sollte klar sein, dass eine sinnvolle ethische Betrachtung der Klimathematik nur möglich ist, wenn man sich zuvor mit den wissenschaftlichen Grundlagen beschäftigt hat. Es ist natürlich schön, dass Frau Müller unser Buch „Die kalte Sonne“ erwähnt hat. In welchem Zusammenhang dies geschieht, ist allerdings unklar.
In einem Interview mit der taz wird zudem deutlich, dass Denise Müller offenbar fest auf der IPCC-Seite verankert ist und eine stark erwärmende Wirkung des CO2 à la Weltklimarat als Grundlage der Diskussion ansieht. Auszug aus dem Interview:
TAZ: Ist es gerecht, dass Menschen in verwundbareren Regionen leiden, weil wir so viel emittieren?
MÜLLER: Das ist die Denkrichtung, nach der der Verursacher zahlen soll. Wir emittieren aber schon seit 150 Jahren: Wer kommt für die Verschmutzung derjenigen auf, die schon verstorben sind?
TAZ: Ist es gerecht, den Schwellen- und Entwicklungsländern jetzt zu verbieten, diese Phase der Industrialisierung nachzuholen?
MÜLLER: Da halte ich es mit dem Philosophen Paul Harris, der gesagt hat, die Trennlinie zwischen Verursachern und Opfern des Klimawandels sei nicht zwischen Staaten zu ziehen, sondern zwischen Arm und Reich. Daraus leite ich ab, dass jemand, der es sich leisten kann, auch die Pflicht hat, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Und sei es auch nur, auf das Fliegen zu verzichten.
Nicht mehr fliegen? Dann sollte man vielleicht als erstes den Klimakonferenztourismus beenden, der keine Resultate bringt, aber zu den schönsten Reisezielen der Erde führt, auf Staatskosten. Bali und Rio lassen grüßen. Sorry, das war polemisch. Neuer Versuch: Was ist das Ziel des Flugverzichts? Sollte Fliegen wieder der reichen Oberschicht vorbehalten sein? Mit ein paar CO2-Klima-Ablasszahlungen fliegt es sich dann gänzlich ungeniert, während Obstfachverkäufer Frank Schmidt wieder mit dem Bus nach Spanien fahren muss oder zuhause auf Balkonien seine Ferien verbringt. Auch dies wäre übrigens einmal so eine ethische Frage, die es zu klären gäbe. Frau Müller, bitte übernehmen Sie.
Das Thema der Klimaethik ist offenbar so attraktiv, dass jetzt auch ein weiteres Autorengespann ein Buch dazu geschrieben haben. Das entsprechende Werk von Dominic Roser und Christian Seidel wurde im Februar 2014 in Spektrum der Wissenschaft besprochen.