Unsere kleine Gletscher-Weltreise bringt uns heute nach Asien. Wir starten in der russischen Arktis, auf den geheimnisvollen Inseln Sewernaja Semlja, Nowaja Semlja und Franz-Josef-Land. Diese Inseln im europäisch-asiatischen Grenzbereich sind teilweise vergletschert und sollten ein guter Indikator für den angeblich besonders schnell vornanschreitenden Klimawandel in der Arktis darstellen. Eine Forschergruppe um Moholdt et al. veröffentlichte 2012 in den Geophysical Research Letters eine satellitengestützte Studie zur Massenveränderung der Gletscher auf den drei Inseln. Zu ihrer Überraschung fanden sie, dass die Gletscher auf Franz-Josef-Land in den letzten Jahren gewachsen sind (Abbildung 1). Auch auf Sewernaja Semlja sucht man vergeblich nach einer Schmelzkatastrophe. Hier ist die Gletschermasse im letzten Jahrzehnt stabil geblieben. Lediglich auf Nowaja Semlja hat der Gletscher an Masse verloren. Ein Teil des Eisverlustes wurde jedoch 2011-2012 wieder ausgeglichen.
Abbildung 1: Gletschermasse auf Basis von GRACE-Satellitenmessungen 2003-2011 (Punkte). Trendlinie markiert ICESat-Trend 2003-2009. Aus Moholdt et al. 2012.
Aus dem hohen Norden jetzt in den Süden des Russischen Reiches, ins Altai-Gebirge. Ein russisch-österreichisches Team um A.R. Agatova vom Institute of Geology and Mineralogy in Novosibirsk untersuchte die Gletschergeschichte dieses Orogens für die vergangenen 7000 Jahre. Die Ergebnisse der Studie erschienen im Juni 2012 in den Quatenary Science Reviews. Die Forscher identifizierten drei Episoden während derer die Gletscher im Altai wuchsen, nämlich vor 4900-4200 Jahren, 2300-1700 Jahren und 750-150 Jahren. Die letzte Eiswachstumsphase entspricht dabei der Kleinen Eiszeit. Zwischen diesen Phasen ereigneten sich entsprechende Gletscherschmelzphasen. Eine besonders intensive Gletscherschmelze gab es in der Region in der Zeit von 7000-5000 Jahre vor heute, dem sogenannten mittelholozänen Klimaoptimum. Damals herrschten im Altai-Gebirge höhere Temperaturen als heute. Die Wissenschaftler nehmen an, dass die Gletscher während dieser langen Wärmephase in den Haupttälern vollständig abgeschmolzen waren. Auch in diesem Teil der Erde erweist sich die Idee von in der vorindustriellen Vergangenheit stets stabilen Gletscher als unwissenschaftliches Märchen.
Vom russischen Teil des Altai-Gebirges springen wir nun hinüber in den mongolischen Teil. Ein internationales Forscherteam um Pierre-Alain Herren vom Berner Oeschger Centre for Climate Change Research untersuchte einen 72m langen Eiskern aus dem Khukh Nuru Uul Gletscher. Auch hier das gleiche Bild wie auf der russischen Seite. Die Wissenschaftler fanden, dass das Untersuchungsgebiet vor 6000 Jahren wohl eisfrei war. Die heutigen Gletscher sind demnach nicht die Überreste aus der letzten Eiszeit, sondern stammen lediglich aus einer Wiedervergletscherungsphase nach dem mittelholozänen Klimaoptimum. Herren und Kollegen veröffentlichten ihre Ergebnisse im Juni 2013 in den Quaternary Science Reviews.
Reisen wir nun zweitausend Kilometer weiter Richtung Südwesten, über China hinweg in den Himalaya. Den dortigen Gletschern hatte der IPCC in seinem 2007er-Bericht nur noch wenige Jahre zu leben gegeben. Ein mittlerweile berühmter Trugschluss. Und nicht nur, dass der Todestag aufgrund eines Zahlendrehers um 250 Jahre vorverlegt wurde. Die reale Entwicklung der letzten Jahre sah nämlich zudem gänzlich anders aus: Die Gletscher verloren in den vergangenen 10 Jahren gar kein Eis, wie neue Studien zeigen konnten (siehe unsere Blogartikel „Überraschung: Himalaya-Gebirgsgletscher haben in den letzten 10 Jahren gar kein Eis verloren!“, „Heftiger Schneefall der letzten drei Jahre lässt Himalaya-Gletscher anwachsen“, „Himalaya-Schmelzkatastrophe abgeblasen: Das Neueste aus der Welt der Gletscher“ und „Neue Studie in Nature Geoscience: Himalaya-Flüsse werden auch 2100 noch genügend Wasser führen“). Auch eine im August 2012 im Wissenschaftsmagazin Nature publizierte Studie eines Teams um Andreas Kääb von der Universität Oslo kam zu dem Schluss, dass die Himalaya-Gletscher weniger stark abschmelzen als der weltweite Durchschnitt. Bereits Bali et al. hatten 2011 erkannt, dass sich der Himalaya-Gletscherschwund in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark abgebremst hat. Interessant ist vielleicht auch, dass es im März 2013 zu einem unverhofften Rekordschneefall im Himalaya kam.
Die Zeit, als sich die Welt vom IPCC mit dem Himalaya in Angst und Schrecken versetzen ließ, ist eindeutig vorbei. Die beiden indischen Wissenschaftler Ganjoo und Koul von der University of Jammu rückten die Verhältnisse in einer 2013 im Springer-Verlag erschienen Abhandlung im Rahmen des Buches „Earth System Processes and Disaster Management” zurecht. Weder schmelzen die Himalaya-Gletscher im Rekordtempo, noch stellt der globale Klimawandel den Hauptsteuerungsfaktor dar. Vielmehr müssen eine Reihe anderer Einflussgrößen berücksichtigt werden, wie Morphologie, Neotektonik und das Mikroklima. Hier die Kurzfassung des Artikels:
Response of Himalayan glaciers to climate change has been a subject of debate since the controversial report on Himalayan glaciers was published by the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) in their Assessment Report 4. Intensive and extensive studies on the glaciers of Himalaya, particularly in Northwest Himalaya, have brought forth sufficient convincing evidences that contradict the much-hyped idea of fast melting of glaciers in the Himalaya. Data from major glaciers from Ladakh Himalaya, namely the Siachen, Durung Drung and Kangriz, are presented herein to emphasize that changes in the geometry and morphology of the glaciers are not exclusively the result of change in climate but are influenced by various micro-climatic factors, terrain morphology and neotectonics. The secular movements of snout of glaciers in Ladakh Himalaya are complex phenomenon and are not related exclusively with change in climate as commonly believed and hyped.
Nordöstlich des Himalaya liegt das Tibet-Plateau. Ende Mai 2013 erreichte uns via Geophysical Research Letters eine Schocknachricht aus dieser Gegend: Laut Daten des GRACE-Schwerefeld-Satelliten hatte sich die Masse des inneren Tibetplateaus in den letzten Jahren ganz im Gegensatz zum Konzept der drohenden Klimakatastrophe auf mysteriöse Weise erhöht. Man mochte gar nicht daran denken: Ob vielleicht das Eis der Gletscher gewachsen ist? Das wäre natürlich gar nicht gut für die liebgewonnene Katastrophe. Ein chinesisches Forscherteam um Guoqing Zhang von der Chinese Academy of Sciences in Peking wusste zum Glück die Antwort: Nein, der Massezuwachs steckt nicht im Eis der Gletscher, sondern vielmehr in der Wassermasse der Seen auf dem Tibetplateau. So muss es sein. Und plötzlich war alles wieder bestens.
Folgt man dem Himalaya-Kamm nordwestwärts, gelangt man in das Karakoram-Gebirge, dem höchsten Gebirge der Erde mit dem zweithöchsten Berg der Welt, dem K2. Im Karakoram ist in den letzten 20 Jahren ein seltsames Phänomen aufgetreten: Immer wieder steigert sich die Fließgeschwindigkeit der Gletscher, und dies häufiger in der Zeit vor 1990. Was könnte dahinterstecken? Der gefährliche Klimawandel? Copland et al. (2011) haben sich dieses Phänomen etwas genauer angeschaut. Das Ergebnis ihrer Studie fällt eindeutig aus: Nein, nicht die Klimaerwärmung steckt hinter den „Surges“, sondern die simple Tatsache, dass im Karakoram in dieser Zeit mehr Schnee als zuvor gefallen ist. Diese positive Massenbilanz führt dazu, dass Schnee und Eis vermehrt abgeführt werden müssen, was durch schnelleres Fließen der Gletscher erreicht wird.
Was sagen die Satelliten hierzu? In einer Arbeit mit dem Titel „Slight mass gain of Karakoram glaciers in the early twenty-first century“, die im April 2012 in Nature Geoscience erschien, bestätigten Julie Gardelle und Kollegen die positive Massenbilanz für das Karakoram-Gebirge zwischen 1999 und 2008. Interessant folgender Satz aus der Kurzfassung der Arbeit:
Our measurements confirm an anomalous mass balance in the Karakoram region and indicate that the contribution of Karakoram glaciers to sea-level rise was −0.01 mm/yr for the period from 1999 to 2008 […].
Zum Mitschreiben: Die Karakoram-Gletscher haben im letzten Jahrzehnt den Meeresspiegel um einen hundertstel Millimeter pro Jahr absinken lassen. Mitte September 2013 erschien dann im Fachmagazin The Cryosphere ein weiterer Artikel zur Gletscherentwicklung im Karakoram-Gebirge. Ein Forscherteam um Rakesh Bhambri vom Wadia Institute of Himalayan Geology unter Beteiligung von Tobias Bolch von der Universität Zürich schaute sich die 2123 Gletscher im oberen Shyok Tal im nordöstlichen Karakoram per Satellit genauer an. In den 1970er und 80er Jahren schmolzen die Gletscher, während sie seitdem wieder wachsen. Auf Satellitenbildern ist der Vorschub der Gletscherstirn seit 1989 deutlich erkennbar, schreiben die Autoren. Hier ein Auszug aus der Kurzfassung der Arbeit:
The area of the investigated glaciers, including the 18 surge-type glaciers identified, showed no significant changes during all studied periods. However, the analysis provides a hint that the overall glacier area slightly decreased until about 1989 (area 1973: 1613.6 ± 43.6 km2; area 1989: 1602.0 ± 33.6 km2) followed by an increase (area 2002: 1609.7 ± 51.5; area 2011: 1615.8 ± 35.5 km2). Although the overall change in area is insignificant, advances in glacier tongues since the end of the 1980s are clearly visible.
Aktuell wachsende Gletscher, positive Eismassenbilanz und eisfreie Vergangenheit vor einigen tausend Jahren: Bevor man sich wieder von einer der klimaalarmistischen Gletscheralarm-Stories beeindrucken lässt, lohnt es sich wirklich, einmal einen Blick in die aktuellen Ergebnisse der seriösen Wissenschaft zu werfen. Denn erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.
Im nächsten Teil unserer kleinen Gletscherkunde geht es dann nach Amerika.