Satelliten kreisen erst seit einigen Jahrzehnten über unseren Köpfen und verfolgen das bunte Treiben auf unserem Planeten in akribischer, flächendeckender Weise. Auch die Datenreihen zur polaren Meereisbedeckung sind relativ kurz, so dass kürzliche arktische Schmelzrekorde aber auch antarktische Meereismaxima mit Vorsicht zu genießen sind. Jedoch haben sich findige Geologen Methoden ausgedacht, mit denen die Meereisbedeckung auch für die Vor-Satelliten-Zeit ermittelt werden kann. Es ist bekannt, dass die Zysten bestimmter einzelliger Algen, der sogenannten Dinoflagellaten, in systematischer Weise durch das Meereis beeinflusst werden. Ein Forscherteam der Université du Québec in Montréal und Rimouski um Anne de Vernal hat nun 35 Sedimentkerne aus dem Meeresboden des nördlichen Nordatlantik und des Arktischen Ozeans untersucht und aus den Schichtenarchiven die Häufigkeit und Zusammensetzung der Dinozysten in feiner Detailarbeit analysiert. Aus diesen Daten konnten die Wissenschaftler die arktische Meereisbedeckung für die vergangenen 10.000 Jahre rekonstruieren. Die Ergebnisse sind in der November 2013-Ausgabe des Fachmagazins Quaternary Science Reviews erschienen.
Dabei fanden Vernal und Kollegen, dass die arktische Meereisbedeckung in vorindustrieller Zeit alles andere als monoton war. So beobachteten die Forscher in der Tschuktschensee sowie dem Barentsmeer starke Meereisschwankungen im Tausend-Jahres-Maßstab. In anderen Teilen der Arktis traten ähnliche Millenniumszyklen auf, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. In wiederum anderen Gebieten, wie etwa im Bereich der kanadischen Arktis, traten in den letzten 10.000 Jahren kaum Veränderungen auf. Eine besonders eisarme Phase gab es während des sogenannten mittelholozänen Klimaoptimums 6000 Jahre vor heute, als in der östlichen Framstraße, der nördlichen Baffin Bay und der Labradorsee Meereis-Minusrekorde verzeichnet wurden. Bereits 2008 war Anne Vernal an einer Arbeit im Canadian Journal of Earth Sciences beteiligt (McKay et al. 2008), in dem die nacheiszeitliche Meereisgeschichte der Tschuktschensee dokumentiert wurde. Auch hier entpuppte sich die warme mittelholozäne Phase als regelrechter Meereiskiller. Schon damals hoben die Autoren die charakteristische Zyklik mit Perioden zwischen 2500 und 3000 Jahren hervor. Es bleibt Spekulation, ob hier der solare Hallstatt-Zyklus möglicherweise eine Rolle spielt, der eine Periode von 2300 Jahren hat, oder ob es sich um klimasysteminterne Zyklen handelt. McKay und Kollegen stellten weiterhin fest, dass es in den letzten 10.000 Jahren durchaus Phasen gab, in denen es weniger Meereis gab als in den letzten Jahrzehnten. Hier ein Auszug aus dem Abstract von McKay et al. 2008:
Results indicate a decrease in sea-ice cover and a corresponding, albeit much smaller, increase in summer sea-surface temperature over the past 9000years. Superimposed on these long-term trends are millennial-scale fluctuations characterized by periods of low sea-ice and high sea-surface temperature and salinity that appear quasi-cyclic with a frequency of about one every 2500–3000 years. The results of this study clearly show that sea-ice cover in the western Arctic Ocean has varied throughout the Holocene. More importantly, there have been times when sea-ice cover was less extensive than at the end of the 20th century.
Unter dem Hintergrund der enormen natürlichen Schwankungsbereite der arktischen Meereisbedeckung der letzten 10.000 Jahre ist eine Beschränkung der Meereis-Schmelz-Diskussion auf die letzten Jahrzehnte wenig sinnvoll.
Abbildung 1: Meereisbedeckung in der Tschuktschensee während der letzten 10.000 Jahre (ka BP = tausend Jahre vor heute). Während mehrerer zyklisch auftretender Wärmephasen (grau hinterlegt) nahm das Meereis signifikant ab. Die letzten Jahrhunderte sind durch besonders viel Meereis ausgezeichnet. Aus McKay et al. 2008. Rote Ergänzungen WUWT. RWP/MWP= Römische und Mittelaterliche Wärmeperiode. NOW=Heute.
Meereisfoto: P199 / This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.