Am 24. Juli 2013 berichtete Christopher Schrader von der Süddeutschen Zeitung in einem Beitrag mit dem Titel „Ein teurer Rülpser„, dass der Klimawandel große Mengen an Methan aus dem Permafrost der Arktis befreien und dies die Menschheit teuer zu stehen kommen würde. Hier ein Auszug:
Schmilzt die Arktis weiter so schnell wie befürchtet, wird das eine teure Angelegenheit – vor allem für Länder, die keinen Zugang zum Polarmeer haben. 60 Billionen Dollar heutiger Kaufkraft könnte es die Weltwirtschaft bis zum Jahr 2200 kosten, wenn tauender Permafrost große Mengen Methan freisetzt und so den Klimawandel beschleunigt, haben drei Forscher von der Erasmus-Universität in Rotterdam und der Hochschule im britischen Cambridge errechnet. Die Zahl hat die Größenordnung der jährlichen Weltwirtschaftsleistung von 70 Billionen Dollar. 80 Prozent der Kosten müssten Entwicklungsländer in Afrika, Asien und Südamerika schultern (Nature, Bd. 499, S. 401, 2013). „Da tickt eine große ökonomische Zeitbombe, über die niemand spricht“, sagt Gail Whiteman von der Erasmus-Universität, eine der Autorinnen. „Wir brauchen endlich eine ausgewogene Diskussion über wirtschaftliche Chancen und Risiken, die vom Abschmelzen der Arktis ausgehen.“ […] Das Team um Whiteman hat die Simulation 10.000-mal durchlaufen lassen, die Kosten von 60 Billionen ergaben sich dabei als Mittelwert. „Wenn wir Glück haben, werden es vielleicht nur zehn Billionen Dollar – aber 225 Billionen, wenn wir Pech haben“, sagt Whiteman; für diese beiden Extreme gebe es jeweils eine fünfprozentige Chance. In jedem Fall käme zu der Zahl noch ein Betrag von 400 Billionen Dollar, die der Klimawandel schon ohne den Methan-Puls kosten dürfte, wenn die Welt keinen Klimaschutz betreibt.
Klimaalarm in der Süddeutschen Zeitung ist nichts Neues. Die große Liebe zum Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ist allseits bekannt. Allerdings passierte diesmal etwas Unerwartetes. Am 3. September 2013 entzauberten wir die spektakuläre Studie aus Cambridge hier in unserem Blog (siehe „In der Fachwelt durchgefallen: Fragwürdige arktische Methan-Schadensstudie ohne robuste wissenschaftliche Grundlage„). Wir wiesen darauf hin, dass eine Vielzahl von Fachkollegen den arktischen Methan-Katastrophismus nicht teilen. Unter anderem verlinkten wir einen Blogbeitrag der angesehenen Klimawissenschaftlerin Judith Curry. Diese Seite der wissenschaftlichen Diskussion hatte Schrader doch tatsächlich vergessen zu erwähnen.
War es Zufall oder hatte sich der SZ-Redakteur vielleicht doch ins Kalte-Sonne-Blog verirrt und die Kritik an seinem Beitrag dort gefunden? Wie auch immer, wenige Tage später, am 6. September 2013 meldete sich Schrader in der Süddeutschen Zeitung mit einer Richtigstellung unter dem Titel „Rülpser oder Bäuerchen?„. Plötzlich sah die Sache doch etwas anders aus (Auszug):
Jetzt haben sich im gleichen Blatt zwei Forscherteams mit Leserbriefen zu Wort gemeldet, die die Prämisse von Whiteman und ihren Kollegen anzweifeln: nämlich dass so viel Methan so schnell freikommt. Es wäre eine um den Faktor Tausend erhöhte Emission, schreiben drei deutsche Wissenschaftler um Dirk Notz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, und es gebe keine Anhaltspunkte in der Erdgeschichte, dass das möglich sei. Auch schwedische Forscher halten das Szenario aus der Whiteman-Berechnung für unwahrscheinlich (Bd. 500, S. 529, 2013). Bereits im SZ-Artikel hatte Hans-Wolfgang Hubberten vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam erklärt, eine solche schlagartige Freisetzung über wenige Jahrzehnte sei unrealistisch. Im Sommer 2012 hatten Wissenschaftler vom Kieler Forschungszentrum Geomar zudem Methanhydrate – eine Art Eis aus dem Gas – am Meeresboden vor Spitzbergen untersucht. Sie fanden in der Tat Orte, von denen Methan aufstieg, aber das tat es offenbar schon lange.
Lieber spät als nie. Es ist gut, dass die Süddeutsche Zeitung den Mut aufbrachte, die nicht-alarmistische Sichtweise nachzuschieben, zumal diese fachlich gut begründet ist. Mindestens einen bösen Anruf aus Potsdam wird es hierfür sicher in der Münchener Redaktion gegeben haben. Sicherlich ist dies auch eine gute Erinnerung daran, erst einmal eine gründliche Faktenprüfung und Plausibilitäts-Checks durchzuführen, bevor Horrorszenarien in Millionenauflage unter das Volk gestreut werden, insbesondere im Bereich der kontroversen Klimawissenschaften.