Noch vor 20.000 Jahren lag auf Teilen Norddeutschlands ein kilomerterhoher Eisblock. Entsprechend mühselig muss das Leben in Schleswig-Holstein gewesen sein, wenn man erst einen Eistunnel graben muss, um zum Aldi-Supermarkt zu kommen. Glücklicherweise setzte dann ein natürlicher Klimawandel ein und das Eis begann sich vor 18.000 Jahren allmählich zurückzuziehen. Die aktuelle Warmzeit in der wir leben – auch Holozän genannt – begann vor 12.000 Jahren. Das viele Schmelzwasser floss in die Ozeane und ließ den Meeresspiegel zügig um 150 m ansteigen, mit Anstiegsraten, die um ein Vielfaches höher lagen als heute. Ursache des Eiszeit-Warmzeit-Wechsels sind periodische Veränderungen in den Erdbahnparametern um die Sonne, was auch als Milankovitsch-Zyklik bekannt ist. Zyklik, das bedeutet aber auch, dass es vor der letzten Eiszeit bereits andere Eis- und Warmzeiten gegeben hat. So begann die letzte Warmzeit vor 126.000 Jahren und endete vor 115.000 Jahren. Sie wird Eem-Warmzeit genannt, nach dem Fluss Eem in den Niederlanden.
Interessanterweise war es während des Eem deutlich wärmer als heute. Daher kann uns das Eem als Indikator dienen, wie sich eine vom IPCC prognostizierte Klimaerwärmung auf die polaren Eismassen auswirken würde. Kollabiert der grönländische Eisschild wirklich schlagartig, falls sich die Erdtemperatur in den kommenden Jahrzehnten um weitere Zehntelgrade erhöhen sollte? Bereits im Februar wiesen wir an dieser Stelle auf eine im Fachmagazin Nature erschienene Arbeit zum Eem unter Beteiligung des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) hin (siehe: Neue Eiskern-Studie: Grönlands Eisschild schrumpfte während der Eem-Warmzeit nur minimal, siehe auch Artikel im Spiegel). Das Forscherteam fand laut AWI-Pressemitteilung:
Das überraschende Fazit ihrer Studie, die heute im Fachmagazin Nature erscheint: Bei Lufttemperaturen, die bis zu acht Grad Celsius höher waren als im 21. Jahrhundert, schrumpften die Eismassen im Vergleich zu heute weitaus weniger als vermutet.
Der Dokumentarfilm „Secrets oft he Ice“ gibt einen guten Einblick in die Arbeit der Wissenschaftler (Teil 1 unten, Teil 2 hier, weitere Teile und Filme des Niels-Bohr-Instituts hier):
Die überwiegend vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) lancierten Kippelement-Visionen wurden damit eindrucksvoll widerlegt (siehe unseren Blogbeitrag „Kipp-Element auf wackeliger fachlicher Grundlage: Grönlands Eismassen lassen sich vom Potsdam-Institut keine Angst einjagen“). Wir wollen im Folgenden weitere neue Forschungsergebnisse zum Eem diskutieren. Was sagen andere Wissenschaftlergruppen zur Eisschmelze vor 120.000 Jahren? Gibt es aus dieser Zeit nicht vielleicht doch irgendwelche Hinweise auf katastrophale Kipppunkte, die die Potsdamer Sichtweise unterstützen könnten?
Im Juni 2012 erschien in den Geophysical Research Letters eine Arbeit eines Forscherteams um Henning Bauch vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, auch als Geomar bekannt. In einer Pressemitteilung des Geomar stellen die Autoren ihre Ergebnisse vor. Fazit: Zwar war das Eem ingesamt wärmer als heute, jedoch zog das Nordmeer nicht so richtig mit. Dort blieb es relativ kalt:
Die Gruppe um Dr. Bauch untersuchte nun Sedimentkerne aus dem Meeresboden, in denen Informationen über die Klimageschichte der vergangenen 500.000 Jahre gespeichert sind. Sie stammen aus dem Atlantik westlich von Irland und aus dem zentralen Nordmeer östlich der Insel Jan Mayen. In diesen Sedimentkernen sind unter anderem die Kalkschalen abgestorbener Kleinstlebewesen (Foraminiferen) enthalten. „Sowohl die Artenzusammensetzung in den jeweiligen Schichten als auch die Isotopenverhältnisse der einzelnen Kalkschalen geben uns Auskunft über die damaligen Wassertemperaturen und -bedingungen“, erklärt Dr. Bauch die Methoden der Klimarekonstruktion. Die Proben aus dem Atlantik lieferten die Eem-typischen Signale für Temperaturen, die über den heutigen lagen. Die Proben aus dem Nordmeer zeigten aber ein ganz anderes Bild. „Dort fanden sich in den Eem-Schichten vor allem Kälte anzeigende Foraminiferen-Arten. Die Isotopenuntersuchungen der Schalen, in Kombination mit vorherigen Studien der Arbeitsgruppe, deuten auf große Kontraste zwischen den Oberflächen dieser beiden Meeresgebiete“, sagt Dr. Bauch, „offensichtlich war also der atlantische Wärmetransport in die hohen nördlichen Breiten während des Eem viel schwächer ausgeprägt als heute.“ Seine Erklärung: „Die dem Eem vorangegangene Saale-Eiszeit war in Nordeuropa von viel größerer Ausdehnung als die Weichsel-Eiszeit vor unserer heutigen Warmzeit. Deshalb floss wohl beim Abtauen des Eisschildes über einen längeren Zeitraum viel mehr Süßwasser ins Nordmeer. Das hatte drei Folgen: Die nördliche Meeresströmung war abgeschwächt und im Winter konnte sich aufgrund des geringeren Salzgehaltes ausgedehnter Meereis bilden. Im Nordatlantik führte diese Abschwächung gleichzeitig zu einer ,Überhitzung’, da die Wärmezuführung von Süden weiter funktionierte“.
Könnte dies damals das grönländische Eis vor dem Kollaps gerettet haben? Sven Funder vom Naturkundemuseum der Universität Kopenhagen wies in einem Workshop-Beitrag von 2010 darauf hin, dass die Landtemperaturen über Grönland während des Eem um etwa 5°C über den heutigen lagen, und dies gleich für mehrere Jahrtausende. Da kann der Ozean noch so kalt sein, die Eiskappe schmilzt durch die Oberflächentemperaturen an Land, die direkt über der Eismasse herrschen. Funder fand in seinen Forschungen, dass trotz dieser extremen Erwärmung der Eisschild weiter existierte. Der heutige grönländische Eispanzer besitzt zwei Eisgipfelbereiche. Im Norden bei 72° Nord befindet sich der „Norddom“, der eine Höhe von 3290 m erreicht, während die Höhe des Süddoms bei 64° Nord fast 3000 m beträgt. Eiskernuntersuchungen im Süddom zeigten, dass dieser auch während der Eemzeit vor 120.000 Jahren Bestand hatte, wenn auch in reduzierter Form.
Im Februar 2013 erschien im Fachmagazin Climate of the Past eine Arbeit eines Teams um Aurelien Quiquet vom Laboratoire de Glaciologie et Geophysique de l’Environnement in Grenoble. Die Forscher führten dabei eine Meeresspiegelsimulation für das Eem durch, die sie mit Eiskernmessungen kalibrierten. In der Kurzfassung ihres Papers berichten die Autoren, dass der grönländische Eisschild diese bedeutende Warmzeit überdauerte, obwohl die Temperaturen etwa 3-5°C höher lagen als heute. Die Autoren fanden weiterhin, dass das grönländische Schmelzwasser dieser Phase den Meeresspiegel deutlich weniger stark ansteigen ließ als vormals angenommen. Das grönländische Eis hatte damals vermutlich nur einen Anstieg zwischen 0,7 und 1,5 m beigesteuert:
Ice core evidence suggests that the Greenland ice sheet (GIS) survived this warm period, but great uncertainties remain about the total Greenland ice reduction during the LIG. Here we perform long-term simulations of the GIS using an improved ice sheet model. Both the methodologies chosen to reconstruct palaeoclimate and to calibrate the model are strongly based on proxy data. We suggest a relatively low contribution to LIG sea level rise from Greenland melting, ranging from 0.7 to 1.5 m of sea level equivalent, contrasting with previous studies.
Eisfoto: Jolanta Dudzińska-Pettersen / Lizenz: Diese Datei ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 2.5 US-amerikanisch (nicht portiert) lizenziert